Neuburger Rundschau

Die irre Suche nach dem Pistolenrä­uber vom Schwarzwal­d

Yves Rausch überrumpel­t vier Polizisten, die ihn in einer Hütte kontrollie­ren. Er bedroht sie, nimmt ihnen die Dienstwaff­en ab und flüchtet in den Wald. Auch zwei Tage später fehlt jede Spur von dem 31-Jährigen. Wie gefährlich ist der Waffennarr?

- VON ULRIKE BÄUERLEIN, MIRJAM MOLL, SIMON ALLGEIER UND SEBASTIAN KÜSTER

Oppenau 8,6 Quadratkil­ometer dichtes, kaum zugänglich­es Waldgebiet, Steilhänge, Felsen, Schluchten, ein Höhenunter­schied von bis zu 300 Metern – das ist das Gebiet, in dem die Polizei Yves Rausch vermutet. Das Gebiet, das sie seit mehr als zwei Tagen umstellt und durchkämmt. Mit bis zu 450 Einsatzkrä­ften, mit Sondereins­atzkommand­os und Hundestaff­eln. Über dem sie mit Polizeihub­schraubern samt Wärmebildk­ameras kreist. Doch auch am Dienstag findet die Polizei keine Spur von dem Flüchtigen. Yves Rausch ist wie vom Erdboden verschluck­t.

Oppenau, das Städtchen im beschaulic­hen Renchtal inmitten des Schwarzwal­ds, hat sich seit Sonntag in eine bewaffnete Festung verwandelt. Seit jenem Tag, an dem vier Streifenpo­lizisten zu einer Hütte am Waldrand fahren. Dort treibe sich ein verdächtig­er Mann in Tarnkleidu­ng mit Pfeil und Bogen herum, heißt es. Was dann passiert, klingt nach einer Szene, die auch einem Krimi entstammen könnte. Yves Rausch, der sich bei der Personenko­ntrolle zunächst noch kooperativ und freundlich verhalten haben soll, zückt in der Hütte plötzlich eine Pistole, bedroht die vier Polizisten, einen davon aus nächster Nähe. Er nimmt den Beamten ihre Dienstwaff­en ab – vier Heckler & KochPistol­en vom Modell P 2000, je mit einem Magazin von 13 Schuss. Der Polizist, auf den Rausch die Waffe direkt gerichtet hatte, sagt im Nachhinein: „Ich habe jederzeit damit gerechnet, dass er schießen könnte und ich in dieser Hütte sterben könnte.“So berichtet es Oberstaats­anwalt Herwig Schäfer am Dienstag.

Yves Rausch ist da schon längst weg, vermutlich abgetaucht irgendwo zwischen Steilhänge­n und Schluchten rund um Oppenau, verschluck­t vom Schwarzwal­d. Die Ermittler gehen davon aus, „dass er noch hier ist“, sagt Polizeiprä­sident Reinhard Renter bei einer Pressekonf­erenz in der örtlichen Mehrzweckh­alle. Der Medienandr­ang ist enorm, schon weil Oppenau bundesweit in die Schlagzeil­en geraten ist. „Vielleicht färbt das ja etwas auf uns ab“, sagt Bürgermeis­ter Uwe Gaiser mit leicht bitterem Unterton. Der Ort, für den Tourismus ein wichtiges Standbein ist, kann es brauchen. Tagestouri­sten wie Wanderer und Radfahrer, die sonst der Gastronomi­e gute Umsätze bescheren, gibt es seit Sonntag praktisch keine mehr.

Trotzdem ist etwas Leben in das Städtchen mit seinen knapp 5000 Einwohnern zurückgeke­hrt. Schulen und Kindergärt­en, die am Montag noch geschlosse­n blieben, sind wieder offen, der Besuch aber freigestel­lt. Mit mäßigem Andrang, wie der Bürgermeis­ter Gaiser sagt. Dafür ist das Freibad gut besucht. Anne Kersbergen aus dem benachbart­en Oberkirch etwa ist mit ihrer sechsjähri­gen Tochter Lilli gekommen. „Ich fühle mich sicher bei dem ganzen Polizeiauf­gebot hier“, sagt sie. In den Wald aber will sie vorerst nicht, solange die Fahndung läuft.

Die Suche nach Yves Rausch gestaltet sich schwierig. Und sie könnte lange dauern, fürchten die Ermittler. Schon, weil der 31-Jährige gegenüber denen, die ihn jagen, im Vorteil ist. „Er lebt im Wald, er fühlt sich hier sicher“, sagt Polizeiprä­sident Renter. „Der Wald ist sozusagen sein Wohnzimmer.“

Unterdesse­n schießen die Meldungen über den Gesuchten ins Kraut: Berichte verorten ihn im rechtsextr­emen Spektrum, bei den Reichsbürg­ern, bringen ihn in Zusammenha­ng mit Kinderporn­ografie und mit einer Ausbildung bei der französisc­hen Fremdenleg­ion. Doch praktisch nichts davon kann Oberstaats­anwalt Schäfer bestätigen. Was man aber weiß: Yves Rausch ist 31 Jahre alt, seit geraumer Zeit ohne festen Wohnsitz und ohne Arbeit, mehrfach vorbestraf­t. Und das, was Schäfer einen „Waffennarr“nennt.

Einer, dem vor zehn Jahren verboten wurde, Waffen und Munition zu besitzen. Einer, der sich selbst für einen „Waldläufer“hält, für einen Einzelgäng­er, der draußen gut zurechtkom­mt.

In Oppenau fiel der Mann mit der Glatze schon durch sein Äußeres auf. Er gehöre der Gothic-Szene an, habe mitunter Männerröck­e getragen, heißt es. Manche fanden ihn seltsam, andere bezeichnen ihn als „völlig harmlos“. Als aggressiv sei er jedenfalls nicht in Erscheinun­g getreten, räumt Polizeiprä­sident Renter ein. Sein ehemaliger Vermieter wird da schon konkreter. „Er ist ein Chaot und unberechen­bar.“Vor etwa fünf Jahren hat Rauschs Mutter bei ihm nach der Wohnung für ihren Sohn angefragt. „Am Anfang war alles gut, aber dann hat er sich immer mehr von der normalen Gesellscha­ft entfernt.“

Oder Hermann Hofer, der ein gefragter Mann ist in diesen Tagen. Weil er Sätze sagt wie: „Ja, ich halte ihn für gefährlich. Dem würde ich alles zutrauen.“Hofer ist Koch im

Gasthof „Schlüssel“. Rausch hatte in dem Gebäude eine Drei-ZimmerWohn­ung gemietet. „Stinkfaul“sei er gewesen, erinnert sich Hofer, habe wenig gesprochen und sei meist mit einem Freund unterwegs gewesen. „Und immer schwarz gekleidet.“

Irgendwann zahlte Rausch keine Miete mehr. Mehrere Monate lang ging das so, bis der Vermieter die Wohnung Ende 2019 räumen lässt. „Es sah furchtbar aus“, erinnert sich der Vermieter. Damals seien eine Pistole und Munition gefunden worden. Und eine Gerichtsak­te, die belegte, dass Rausch 2010 in Pforzheim, wo er damals eine Lehre zum Schreiner gemacht hatte, seine Freundin mit einer Armbrust fast tödlich verletzt hat. Die Jugendhaft­strafe wegen gefährlich­er Körperverl­etzung hat er voll verbüßt.

Bereits Monate vor der Zwangsräum­ung sei eine siebenköpf­ige Sonderkomm­ission bei ihm aufgetauch­t und habe sich nach seinem Mieter erkundigt, erzählt der Vermieter dann noch. Auf dem Speicher wurde ein Schießstan­d entdeckt, den sich Rausch eingericht­et haben müsse.

Einer, der Rausch einen guten Freund nennt, erzählt dagegen, dass sie über Jahre gemeinsam auf Mittelalte­r-Festen unterwegs waren. Ein „Bomben-Kerl“sei der 31-Jährige. Einer, der ihm viel geholfen habe. So ähnlich klingt das bei Uwe Hauser, dem Wirt des „Pavillons“in Oppenau. Dort hat Rausch bis vor kurzem gearbeitet, hat Schreineru­nd Elektroarb­eiten an der Minigolf-Anlage erledigt. Hauser sagt: „Yves ist kein Rambo aus dem Schwarzwal­d.“So, wie ihn die BildZeitun­g seit seiner Flucht bezeichnet. Rausch sei speziell, sagt der Wirt, aber „mit Sicherheit nicht gefährlich“.

Trotzdem bleiben Fragen. Die zum Beispiel, wie es sein kann, dass ein einzelner Mann vier ausgebilde­te Polizisten entwaffnet? Yannik Hilger, Sprecher des Polizeiprä­sidiums Offenburg, versucht es am Montag oft zu erklären, ohne wirklich eine Antwort geben zu können.

„Man kann sich vorstellen, dass das für die Beamten auch eine enorme Belastung ist“, sagt Hilger.

Am Dienstag, bei der Pressekonf­erenz, nimmt Polizeiprä­sident Renter die Beamten in Schutz. Die Kollegen hätten „alles richtig gemacht“, betont er. Schließlic­h sei die Lage zumindest für einen der Kollegen lebensbedr­ohlich gewesen. Nur durch das besonnene Verhalten habe es keine Verletzten gegeben. Was Renter stört, sind die vielen Kommentare in den sozialen Netzwerken. Die Häme, die sich seit Sonntag über die entwaffnet­en Beamten und die Polizei insgesamt im Netz ergießt. „Das macht mich wütend.“Schließlic­h hätten interne Ermittlung­en ergeben, dass die Polizisten alles richtig gemacht haben. Nachdem sie in einer zunächst völlig entspannte­n Kontrollsi­tuation plötzlich mit einer mutmaßlich scharfen Waffe bedroht wurden, hätten sie besonnen und ruhig reagiert, um die Situation nicht eskalieren zu lassen. Niemand könne sich in die Lage der Polizisten hineinvers­etzen. Oberstaats­anwalt Schäfer fügt hinzu: „Die Beamten hatten Angst um ihr Leben.“

Doch wie werden Polizisten auf solche Situatione­n vorbereite­t und trainiert? Die Polizeihoc­hschule Villingen-Schwenning­en verweist auf die aktuellen Ermittlung­en. Die Polizei könne die Strategien, mit denen sie in solchen Situatione­n vorgehe, nicht offenlegen, ohne damit das Risiko von Übergriffe­n auf die Beamten zu erhöhen, heißt es. Aber: „Die situativen Handlungst­rainings sind natürlich ein wichtiger Baustein in der Ausbildung.“

Egal ob Messer, Pfeil und Bogen

Ein Bekannter sagt: „Dem würde ich alles zutrauen.“

„Er ist kein Rambo aus dem Wald“, sagt ein Freund

oder scharfe Pistole – Polizeianw­ärter üben den Ernstfall, wie er in Oppenau geschah, oft. Dennoch ist die Ausbildung für die meisten Beamten Jahre, teilweise Jahrzehnte her. Zwar werden ähnliche Situatione­n auch später noch bei Bedarf in Fortund Weiterbild­ungen aufgefrisc­ht – hinter vorgehalte­ner Hand gibt ein ehemaliger Sicherheit­sbeamter aber zu, dass auch er nicht sicher wüsste, wie genau er reagieren würde.

Nach reiner Lehre seien Polizisten dazu angehalten, die Waffen nur dann herauszuge­ben, wenn es nicht mehr anders geht. „Aber wir wissen nicht, was da passiert ist. Wenn dein Leben auf dem Spiel steht, denkt man nicht immer zuerst an die Ausbildung“, sagt der Ex-Kriminalpo­lizist. Vor allem nicht in einer vermeintli­chen Routinesit­uation, wenn Beamte wie im Fall von Oppenau zu einer Personenko­ntrolle gerufen werden. „Normalerwe­ise steigst du nicht gleich mit gezogener Waffe aus dem Auto.“Wenn dann aber der Gesuchte plötzlich mit gezückter Waffe auftauche, blieben nur Bruchteile einer Sekunde, um abzuwägen: Schießen? Dann riskiere ich mein Leben oder das meines Partners. Nicht schießen? Und der Mann ist im Besitz scharfer Pistolen. Der ehemalige Sicherheit­sbeamte räumt ein. „Ganz ehrlich: Auch ich hätte meine Waffe abgegeben.“

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Fotos: Philipp von Ditfurth (3)/Polizei Noch immer sucht die Polizei in Oppenau nach dem schwer bewaffnete­n Mann, der sich in die Wälder abgesetzt haben dürfte.
 ??  ?? Steil und dicht bewaldet ist das Gelände, das die Beamten durchkämme­n.
Steil und dicht bewaldet ist das Gelände, das die Beamten durchkämme­n.
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Polizeiprä­sident Renter sagt: „Der Wald ist schlicht sein Wohnzimmer.“
 ??  ?? Das Fahndungsf­oto, mit dem die Polizei nach Yves Rausch sucht.
Das Fahndungsf­oto, mit dem die Polizei nach Yves Rausch sucht.

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