Mahner als Sündenbock
Trump diskreditiert seinen Top-Virologen
Washington Draußen vor dem Weißen Haus tobt die Pandemie mit täglich neuen Rekord-Infektionsraten und steigenden Todeszahlen. Doch drinnen wird über „Dr. Doom and Gloom“, über „Doktor Schwarzmaler“gelästert. Der Vize-Kommunikationsdirektor postet bei Facebook eine diffamierende Karikatur. Und die Pressestelle verbreitet eine Liste mit angeblichen Fehleinschätzungen des Untergangspropheten. Die Regierung hat den Kampf aufgenommen – nicht mit dem Virus, sondern mit dem wichtigsten eigenen Experten. Seit Anfang Juni hat sich Donald Trump von seinem Top-Immunologen Anthony Fauci nicht mehr unterrichten lassen. „Fauci ist ein netter Mann, aber er hat viele Fehler gemacht“, ätzte der Präsident.
Seither vergeht kein Tag, an dem aus dem Weißen Haus nicht gegen den 79-Jährigen intrigiert wird. Es ist der infame Versuch der Diskreditierung des Direktors des Nationalen Instituts für Infektionskrankheiten, der einen untadeligen Ruf genießt und fünf US-Präsidenten, republikanische wie demokratische, während HIV-Ausbruch und EbolaKrise beraten hat. Senator Chris Murphy, Demokrat aus Connecticut, nennt es „atomgranatenmäßig verrückt“, dass das Weiße Haus inmitten einer Pandemie, die schon mehr als 130000 Amerikaner das Leben gekostet hat, die Autorität des Top-Immunologen untergrabe.
Doch genau darum geht es Trump: Er will einen Sündenbock für das Versagen der eigenen Regierung brandmarken und den prominentesten Kritiker seiner überstürzten Öffnungspolitik aus dem Weg räumen. Tatsächlich hatte Fauci anfangs die Schließung der Grenzen kritisiert und vom Maskentragen abgeraten. Diese Positionen korrigierte der Wissenschaftler rasch. Mit seinem kenntnisreichen wie uneitlen Auftreten war er der Star bei Trumps Pressekonferenzen. Doch jetzt stören Trump die Warnungen vor einer Normalisierung der Wirtschaft um jeden Preis, mit der er die Wahl gewinnen will. Seit Wochen behauptet er, in Amerika laufe alles prima – und Fauci widerspricht. Die Frage ist, wie lange noch? Und: Traut sich Trump, ihn zu feuern?