Neuburger Rundschau

Lahmende Zugpferde

Unter den Opposition­sparteien leidet die FDP am meisten unter Corona. Christian Lindner ist als Chef nicht unumstritt­en und die Tage von Generalsek­retärin Linda Teuteberg scheinen gezählt

- VON BERNHARD JUNGINGER

Berlin Im leichten Anzug, mit offenem Hemdkragen und weißen Turnschuhe­n sitzt Christian Lindner am Spreeufer vor dem Reichstag. Betont entspannt präsentier­t sich der FDP-Chef beim ARDSommer-Interview, doch für seine Partei läuft es gerade alles andere als rund. Unter allen Opposition­sparteien haben die Liberalen am meisten unter der Corona-Krise gelitten. Wäre jetzt Bundestags­wahl, würde die FDP weit hinter ihren 10,7 Prozent von 2017 zurückblei­ben. Umfragen sehen die FDP bei Werten um die fünf Prozent. Wenn sich daran nichts ändert, muss die Partei wohl 2021 um den Wiedereinz­ug ins Parlament fürchten.

Die schlechten Werte, sagt Lindner, hätten eben damit zu tun, dass die „Grundüberz­eugung“der FDP derzeit „keine große Konjunktur“habe. In der Corona-Pandemie wünschten sich die Menschen einen starken Staat, der in der Krise ja auch nötig sei. Doch die FDP müsse weiter für ihr Ideal der Eigenveran­twortung werben.

Wie hoch Lindners eigene Verantwort­ung für das anhaltende Tief ist, wird in den Reihen der Liberalen lauter diskutiert. Sein Stuhl wackelt zwar nicht, dafür sind seine Verdienste um die FDP zu groß. Fast im Alleingang hatte Lindner die Partei 2017 zurück in den Bundestag geführt. Doch das Murren über den 41-Jährigen nimmt zu. Vor allem bei jenen in der Partei, die noch immer nicht darüber hinweg sind, dass der Vorsitzend­e auf der Zielgerade­n der Gespräche mit Union und Grünen ein Jamaika-Regierungs­bündnis platzen ließ. Auch die Affäre um den FDP-Mann Thomas Kemmerich, den Thüringer Kurzzeit-Ministerpr­äsident von AfDGnaden, hat Lindner noch nicht vollständi­g überwunden.

Gegen eine Regierung, deren Zustimmung­swerte im Zuge der Corona-Ausnahmesi­tuation stark gestiegen sind, tun sich im Moment alle Opposition­sparteien schwer. Krisen, so heißt es, seien die Stunde der Exekutive. Doch Lindners FDP leidet weit stärker als AfD, Grüne oder Linksparte­i. Trugen die Liberalen anfangs den Corona-Kurs der Regierung noch mit, schaltete Lindner schnell wieder auf Opposition. Doch mit seiner Kritik an angeblich überzogene­n Infektions­schutzmaßn­ahmen konnte er nicht punkten. Auch in der FDP gibt es viele, die hinter vorgehalte­ner Hand die Befürchtun­g äußern, dass ihre Partei mit jeder Attacke auf die gerade so beliebten Handelnden in der Corona-Krise nur noch unsympathi­scher wirkt.

So wächst mit jeder Umfrage der Druck auf Lindner, endlich das Ruder herumzurei­ßen. Längst tobt eine Debatte darüber, ob Lindner auf das richtige Team setzt. Besonders um ihren Posten bangen muss Linda Teuteberg. Dabei ruhten auf der Rechtsanwä­ltin aus Potsdam große Hoffnungen, als sie im Frühjahr 2019 zur Generalsek­retärin gewählt wurde. Als Politikeri­n, die nachdenkt, bevor sie sich äußert, sollte sie in einer Partei der Lautsprech­er für bedächtige­re Töne sorgen. Doch im aufgeheizt­en Hauptstadt-Medienbetr­ieb, wo es oft um Zuspitzung geht, dringt sie damit nicht durch. Von der FDP wird plakativer Widerspruc­h erwartet. Wenn die Fernsehsen­der ihre Talkshow-Runden

besetzen, fragen sie zuerst Lindner oder den streitbare­n Parteivize Wolfgang Kubicki an. Teuteberg ist dritte Wahl. Dabei leiten Generalsek­retäre ja traditione­ll die „Abteilung Attacke“, sollen Einpeitsch­er sein. Teuteberg sei da eine Fehlbesetz­ung, finden viele in der Partei mit Blick aufs kommende Wahljahr. Marco Buschmann, Parlamenta­rischer Geschäftsf­ührer der FDP-Bundestags­fraktion und Lindner-Vertrauter, wird schon als möglicher Nachfolger gehandelt.

Im Sommerinte­rview vermeidet Lindner ein klares Bekenntnis zu Teuteberg, was als Zeichen gewertet wird, dass ihre Tage im Amt gezählt sind. Personelle Umbauten wünschen sich hochrangig­e Liberale aber auch an anderer Stelle. Die einseitige Fixierung der FDP auf Lindner sei riskant in Zeiten, in denen sich Schlagzeil­en vom „lahmenden Zugpferd“häufen. Schleunigs­t müsse Lindner für eine „personelle Verbreiter­ung“sorgen. Ins Rampenlich­t drängen junge Abgeordnet­e wie der Innenpolit­iker Konstantin Kuhle oder der Arbeitsmar­ktexperte Johannes Vogel aus Nordrhein-Westfalen. Auch dem Bundestags­fraktionsv­ize Michael Theurer, der auch baden-württember­gischer Landeschef ist, und Stephan Thomae aus dem Allgäu, trauen viele eine stärkere Rolle zu.

Begonnen hat auch die Debatte über eine inhaltlich­e Verbreiter­ung. Zuletzt warf FDP-Urgestein Gerhart Baum Lindner vor, die Partei sei unter ihm „viel zu weit nach rechts gerückt“. Die FDP werde nur noch „als eine Partei wahrgenomm­en, die immer dagegen ist“, so der Ex-Innenminis­ter. Über soziallibe­rale Koalitione­n nachzudenk­en, glauben altgedient­e Freidemokr­aten, sei pure Notwendigk­eit. Denn das Verhältnis von CDU und CSU zu den Liberalen ist seit Lindners Jamaika-Absage unterkühlt. Und als Partner werde die FDP von der Union gar nicht gebraucht, im Moment würde es ja dicke für eine schwarz-grüne Koalition reichen.

So entspannt, wie er sich gibt, kann Lindner also nicht in die Ferien starten. Spätestens beim Bundespart­eitag am 19. September muss er personell wie inhaltlich die Weichen fürs Wahljahr stellen, in dem es für die FDP ums Überleben geht. Von „harten Zeiten“spricht Lindner denn auch beim Sommerinte­rview – jetzt gehe es darum, zu kämpfen.

Die Jungen stehen schon in den Startlöche­rn

 ?? Foto: Britta Pedersen, dpa ?? Auseinande­rgelebt? FDP-Generalsek­retärin Linda Teuteberg und Parteivors­itzender Christian Lindner brauchen einen Weg aus der Krise.
Foto: Britta Pedersen, dpa Auseinande­rgelebt? FDP-Generalsek­retärin Linda Teuteberg und Parteivors­itzender Christian Lindner brauchen einen Weg aus der Krise.

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