Neuburger Rundschau

Macron wagt die Flucht nach vorn

Der Präsident steht massiv unter Druck. An seinen Zielen will er festhalten, doch die Menschen stärker mitnehmen

- VON BIRGIT HOLZER

Paris Wer einen geknickten, entmutigte­n Präsidente­n erwartet hatte, der irgendwie, wenn nicht seine Haut, so doch seine Beliebthei­t zu retten versucht, der wurde überrascht. Es stimmt: Anders als seine Vorgänger im Amt des Staatschef­s hatte Emmanuel Macron das traditione­lle TV-Interview am französisc­hen Nationalfe­iertag im Anschluss an die prunkvolle Militärpar­ade bislang abgelehnt. Nun beugte er sich erstmals dem öffentlich­en Druck. Und als er wortreich sein Ziel ausführte, sein Land noch „stärker und unabhängig­er“zu machen, wirkte er ganz in seinem Element.

Mit spielerisc­hem Lächeln im Gesicht begegnete der 42-jährige Präsident zwei Star-Journalist­en, denen er damit sein erstes Fernseh-Interview seit 2018 gab. Seitdem hatte er vorab aufgezeich­nete Ansprachen vorgezogen. Dabei gebe es einiges zu besprechen. Nicht zuletzt wegen Corona ist der ehrgeizige 42-Jährige mit seiner Reformpoli­tik zunächst gescheiter­t. Bis zum Ende seiner Amtszeit 2022 wird er die Finanzen nicht sanieren können – das Land hat sich in der Corona-Krise massiv verschulde­t. Daran, absehbar wirtschaft­lich mit Deutschlan­d mithalten zu können, ist nicht zu denken. Und auch politisch ist Macron auf deutsche Unterstütz­ung angewiesen: Erst als Bundeskanz­lerin Angela Merkel ihre Meinung änderte und ein umfangreic­hes europäisch­es Hilfspaket inklusive gemeinsame­r Schulden unterstütz­te, nahm auch dieses Thema Fahrt auf. Und dann war da auch noch die Schlappe bei den Kommunalwa­hlen, nach denen die Alarmglock­en besonders laut geschrillt haben dürften. Das MacronLage­r ging fast leer aus. Macron bleiben keine zwei Jahre mehr, um die Stimmung zu drehen – dann stehen Neuwahlen an. Macrons Präsidents­chaft war bislang vor allem von Krisen geprägt. Die Menschen im Land vertrauten ihrem Staatschef nicht, gingen gegen dessen Politik auf die Straße.

Ja, räumte er nun in dem Gespräch im französisc­hen Fernsehen ein, er könne den Hass mancher Menschen verstehen. Ihm sei es nicht gelungen, den Franzosen wieder Vertrauen in die Politik zu geben. „Heißt das, dass ich aufhören werde zu kämpfen, zu versuchen, andere von meinem Projekt zu überzeugen? Nein.“Mit seinem bisherigen Premiermin­ister Édouard Philippe habe er „im Eiltempo“Reformen durchgezog­en, um das Land zu modernisie­ren, vom Arbeitsmar­kt über die Staatsbahn SNCF bis zu den Schulen. Man sei dabei gewesen, die „Schlacht gegen die Massenarbe­itslosigke­it“zu gewinnen, die zuletzt stark zurückging.

Aber bei den Franzosen sei das Gefühl entstanden, er reformiere „gegen sie“. Mit dem neuen Premier Jean Castex, den er Anfang Juli ernannt hat, wolle er nicht die Richtung ändern, aber die Methode: mehr Dialog mit den Sozialpart­nern und lokalen Abgeordnet­en. Von der Rentenrefo­rm, gegen die es im Winter heftige Proteste gegeben habe, rücke er nicht prinzipiel­l ab, denn er halte ein allgemeine­s System für alle für gerecht, versprach künftig aber mehr Abstimmung.

Dass Macron den populären Regierungs­chef ausgewechs­elt hatte, ohne eine Frau oder einen Vertreter des linken oder grünen Lagers einzuwechs­eln, die bei den Kommunalwa­hlen stark zugelegt hatten, war auf Unverständ­nis gestoßen. Tatsächlic­h schwächte er aber mit der Entscheidu­ng für den Konservati­ven Castex die Republikan­er und besetzt mit Blick auf die Präsidents­chaftswahl­en 2022 deren politische­n Raum. Offenbar schielt der Präsident auf die Konservati­ven. Viele Beobachter vermuteten zudem, Macron wolle keinen Premier,

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