Ganz schön clever
Ob bei der Lufthansa oder in der Corona-Krise bei Beatmungsgeräten: Die Firma Celonis in München mit rund 1000 Mitarbeitern schafft es, mit Künstlicher Intelligenz die Welt zu optimieren. Die Wurzeln reichen bis in unsere Region
München Wenn es einen Schatz für die Industrie im 21. Jahrhundert gibt, dann ist es nicht mehr Öl, nicht Kohle, nicht Stahl. Es sind Daten. Was mit großen Datenmengen und Mitteln der Künstlichen Intelligenz möglich ist, wie sich damit die Abläufe in Flughäfen, im Autobau oder bei der Finanzierung von Unternehmen optimieren lassen, das zeigt das Unternehmen Celonis in München. Der Phase eines Start-ups ist Celonis längst entwachsen und beschäftigt inzwischen rund 1000 Mitarbeiter. Das Unternehmen entstammt dem Reich der Wirtschaftsinformatik. Die Technologie, die bei Celonis weiterentwickelt und angewandt wird, kann zum Beispiel helfen, ganz reale Probleme in der CoronaKrise zu lösen. Sie könnte auch dazu beitragen, dass nach der Krise ein effizienter Neustart der Wirtschaft gelingt. Und auch wenn das Unternehmen im Zentrum von München ansässig ist, gibt es aus der Studienzeit der Gründer Verbindungen nach Augsburg.
Bastian Nominacher, 35, ist Mitgründer von Celonis und einer der drei Unternehmenschefs. Was sie bei Celonis genau machen, erklärt er gerne anhand von Beispielen. Eines davon stammt aus der Luftfahrt. Flughäfen sind Orte, wo die Abläufe streng getaktet sind und es auf jede Minute ankommt. Flugzeuge rollen zum Gate, werden betankt, das Catering muss an Bord gebracht werden, die Passagiere müssen pünktlich und rasch an Bord gehen. Die Fluglinien haben ein großes Interesse daran, dass die Prozesse zügig, effizient und kostensparend ablaufen. Celonis hat der Lufthansa-CityLine noch vor der Corona-Krise geholfen, die Abläufe zu verbessern. „Am Ende lässt sich die Pünktlichkeit und somit auch die Kundenzufriedenheit erhöhen“, sagt Nominacher.
Wie aber geht dies genau? „Jeder Vorgang hinterlässt Datenpunkte“, erklärt Nominacher. Diese Daten brachliegen zu lassen, findet das Team von Celonis zu schade. „Die Daten in den bestehenden IT-Systemen der Unternehmen lassen sich nutzen, um die Abläufe zu analysieren und zu verbessern“, erklärt der Unternehmensgründer. Jobs werden dadurch nicht gefährdet, ist er sich sicher. „Es geht darum, ineffiziente Abläufe zu entdecken und die Kundenzufriedenheit zu erhöhen, nicht darum, Mitarbeiter zu ersetzen“, sagt er.
Die Technologie, welche die Spezialisten aus München entwickelt haben und anwenden, wird unter den Fachleuten als „Process Mining“bezeichnet. Gemeint ist damit
In der Corona-Krise wechselten zwar auch die Celonis-Mitarbeiter in das Homeoffice. Die Arbeit ging aber trotzdem nicht aus: Für das international verzweigte Medizingeräte-Unternehmen Medtronic hat Celonis zum Beispiel die Lieferketten untersucht. Viele Bauteile werden heute im Ausland hergestellt und weltweit gehandelt. Aufgrund der Corona-Epidemie sind solche Lieferketten gefährdet. Daten geben Aufschluss darüber, welche Lieferungen funktionieren und wo dagegen der Lieferprozess gefährdet ist. Mit den Erkenntnissen lassen sich die Produktion als auch die Auslieferung optimieren, berichtet Nominacher. „Am Ende trägt dies dazu bei, dass Beatmungsgeräte schneller bei den Kliniken ankommen.“
In der Krise entwickelte Celonis auch eine kostenlose App, die Unternehmen hilft, nicht in Finanznöte zu geraten. Die App analysiert die Zahlungsströme. „Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel Rechnungen rechtzeitig stellen“, erklärt Nominacher. Durch die Anwendung sei es gelungen, einem mittelständischen Unternehmen mit 5000 Mitarbeitern größere Summen an Liquidität zu verschaffen.
Celonis zeigt auch, wie sich die Technologien der Künstlichen Intelligenz in der Praxis nutzen lassen. Künstliche Intelligenz – also die Arbeit mit großen Datenmengen und selbstlernenden Computerprogrammen – gilt als Zukunftstechnologie. Die Bundesregierung hatte 2019 beschlossen, eine halbe Milliarde Euro zusätzlich in die Förderung der Künstlichen Intelligenz zu investieren. Für ihre innovative Technologie hat Celonis 2019 den Deutschen Zukunftspreis gewonnen, eine Auszeichnung, die von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier für Technik und Innovation verliehen wird.
Dabei hat das Unternehmen auch eine Verbindung nach Augsburg. Bastian Nominacher stammt aus der oberbayerischen Gemeinde Forstern, seine Eltern betrieben eine Bäckerei. Nominacher studierte an der TU München und an der Uni Augsburg den Elitenetzwerk-Studiengang Finance & Information Management, der Kenntnisse in den Wirtschaftswissenschaften und in der Informatik vermittelt. Im Jahr 2011 machte er seinen Abschluss.
Damals gab es die ersten Veröffentlichungen über Process Mining, erinnert er sich. Beim Bayerischen Rundfunk bekam das Team die Chance, die Kundenbetreuung zu analysieren und zu verbessern. Damals waren sie noch als studentische Unternehmensberatung aktiv.
Zusammen mit Alexander Rinke und Martin Klenk – zwei weiteren Absolventen der TU München – gründete Nominacher dann vor rund neun Jahren Celonis. „Schnell konnten wir dann Siemens und andere bekannte Kunden gewinnen“, erinnert er sich. Damit begann das rasche Wachstum. Im November 2019 erreichte das Unternehmen inzwischen eine Bewertung von 2,5 Milliarden US-Dollar, berichtete das Handelsblatt. Einhörner, englisch „Unicorns“, nennen Fachleute solche Jungunternehmen, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind. Celonis ist heute eines davon.
An der Universität Augsburg ist man überzeugt, dass Beispiele wie Celonis zeigen, wie sich Investitionen in die WirtschaftsinformatikAusbildung auszahlen. „Den Elitenetzwerk-Studiengang Finance & Information Management gibt es inzwischen seit 15 Jahren. Aus seinem Umfeld sind viele erfolgreiche Startups entstanden“, sagt Studiengangsleiter und Wirtschaftsinformatiker Professor Hans Ulrich Buhl.
Dass in der Informatik und speziell in der Künstlichen Intelligenz eine große Wachstumschance für den schwäbischen Raum liegt, davon ist man auch an der Industrieund Handelskammer Schwaben überzeugt. Eine Studie des PrognosInstituts für die Kammer hat kürzlich gezeigt, dass IT und Telekommunikation der Wirtschaftsbereich ist, der zwischen 2015 und 2019 in Schwaben mit Abstand am stärksten gewachsen ist – um satte 52 Prozent. Er gibt im Großraum Augsburg rund 5600 Menschen Arbeit. Und in Zukunft, ist man bei der IHK überzeugt, sind noch deutlich mehr Arbeitsplätze möglich.