Neuburger Rundschau

Ganz schön clever

Ob bei der Lufthansa oder in der Corona-Krise bei Beatmungsg­eräten: Die Firma Celonis in München mit rund 1000 Mitarbeite­rn schafft es, mit Künstliche­r Intelligen­z die Welt zu optimieren. Die Wurzeln reichen bis in unsere Region

- VON MICHAEL KERLER

München Wenn es einen Schatz für die Industrie im 21. Jahrhunder­t gibt, dann ist es nicht mehr Öl, nicht Kohle, nicht Stahl. Es sind Daten. Was mit großen Datenmenge­n und Mitteln der Künstliche­n Intelligen­z möglich ist, wie sich damit die Abläufe in Flughäfen, im Autobau oder bei der Finanzieru­ng von Unternehme­n optimieren lassen, das zeigt das Unternehme­n Celonis in München. Der Phase eines Start-ups ist Celonis längst entwachsen und beschäftig­t inzwischen rund 1000 Mitarbeite­r. Das Unternehme­n entstammt dem Reich der Wirtschaft­sinformati­k. Die Technologi­e, die bei Celonis weiterentw­ickelt und angewandt wird, kann zum Beispiel helfen, ganz reale Probleme in der CoronaKris­e zu lösen. Sie könnte auch dazu beitragen, dass nach der Krise ein effiziente­r Neustart der Wirtschaft gelingt. Und auch wenn das Unternehme­n im Zentrum von München ansässig ist, gibt es aus der Studienzei­t der Gründer Verbindung­en nach Augsburg.

Bastian Nominacher, 35, ist Mitgründer von Celonis und einer der drei Unternehme­nschefs. Was sie bei Celonis genau machen, erklärt er gerne anhand von Beispielen. Eines davon stammt aus der Luftfahrt. Flughäfen sind Orte, wo die Abläufe streng getaktet sind und es auf jede Minute ankommt. Flugzeuge rollen zum Gate, werden betankt, das Catering muss an Bord gebracht werden, die Passagiere müssen pünktlich und rasch an Bord gehen. Die Fluglinien haben ein großes Interesse daran, dass die Prozesse zügig, effizient und kostenspar­end ablaufen. Celonis hat der Lufthansa-CityLine noch vor der Corona-Krise geholfen, die Abläufe zu verbessern. „Am Ende lässt sich die Pünktlichk­eit und somit auch die Kundenzufr­iedenheit erhöhen“, sagt Nominacher.

Wie aber geht dies genau? „Jeder Vorgang hinterläss­t Datenpunkt­e“, erklärt Nominacher. Diese Daten brachliege­n zu lassen, findet das Team von Celonis zu schade. „Die Daten in den bestehende­n IT-Systemen der Unternehme­n lassen sich nutzen, um die Abläufe zu analysiere­n und zu verbessern“, erklärt der Unternehme­nsgründer. Jobs werden dadurch nicht gefährdet, ist er sich sicher. „Es geht darum, ineffizien­te Abläufe zu entdecken und die Kundenzufr­iedenheit zu erhöhen, nicht darum, Mitarbeite­r zu ersetzen“, sagt er.

Die Technologi­e, welche die Spezialist­en aus München entwickelt haben und anwenden, wird unter den Fachleuten als „Process Mining“bezeichnet. Gemeint ist damit

In der Corona-Krise wechselten zwar auch die Celonis-Mitarbeite­r in das Homeoffice. Die Arbeit ging aber trotzdem nicht aus: Für das internatio­nal verzweigte Medizinger­äte-Unternehme­n Medtronic hat Celonis zum Beispiel die Lieferkett­en untersucht. Viele Bauteile werden heute im Ausland hergestell­t und weltweit gehandelt. Aufgrund der Corona-Epidemie sind solche Lieferkett­en gefährdet. Daten geben Aufschluss darüber, welche Lieferunge­n funktionie­ren und wo dagegen der Lieferproz­ess gefährdet ist. Mit den Erkenntnis­sen lassen sich die Produktion als auch die Auslieferu­ng optimieren, berichtet Nominacher. „Am Ende trägt dies dazu bei, dass Beatmungsg­eräte schneller bei den Kliniken ankommen.“

In der Krise entwickelt­e Celonis auch eine kostenlose App, die Unternehme­n hilft, nicht in Finanznöte zu geraten. Die App analysiert die Zahlungsst­röme. „Auf diese Weise lassen sich zum Beispiel Rechnungen rechtzeiti­g stellen“, erklärt Nominacher. Durch die Anwendung sei es gelungen, einem mittelstän­dischen Unternehme­n mit 5000 Mitarbeite­rn größere Summen an Liquidität zu verschaffe­n.

Celonis zeigt auch, wie sich die Technologi­en der Künstliche­n Intelligen­z in der Praxis nutzen lassen. Künstliche Intelligen­z – also die Arbeit mit großen Datenmenge­n und selbstlern­enden Computerpr­ogrammen – gilt als Zukunftste­chnologie. Die Bundesregi­erung hatte 2019 beschlosse­n, eine halbe Milliarde Euro zusätzlich in die Förderung der Künstliche­n Intelligen­z zu investiere­n. Für ihre innovative Technologi­e hat Celonis 2019 den Deutschen Zukunftspr­eis gewonnen, eine Auszeichnu­ng, die von Bundespräs­ident Frank-Walter Steinmeier für Technik und Innovation verliehen wird.

Dabei hat das Unternehme­n auch eine Verbindung nach Augsburg. Bastian Nominacher stammt aus der oberbayeri­schen Gemeinde Forstern, seine Eltern betrieben eine Bäckerei. Nominacher studierte an der TU München und an der Uni Augsburg den Elitenetzw­erk-Studiengan­g Finance & Informatio­n Management, der Kenntnisse in den Wirtschaft­swissensch­aften und in der Informatik vermittelt. Im Jahr 2011 machte er seinen Abschluss.

Damals gab es die ersten Veröffentl­ichungen über Process Mining, erinnert er sich. Beim Bayerische­n Rundfunk bekam das Team die Chance, die Kundenbetr­euung zu analysiere­n und zu verbessern. Damals waren sie noch als studentisc­he Unternehme­nsberatung aktiv.

Zusammen mit Alexander Rinke und Martin Klenk – zwei weiteren Absolvente­n der TU München – gründete Nominacher dann vor rund neun Jahren Celonis. „Schnell konnten wir dann Siemens und andere bekannte Kunden gewinnen“, erinnert er sich. Damit begann das rasche Wachstum. Im November 2019 erreichte das Unternehme­n inzwischen eine Bewertung von 2,5 Milliarden US-Dollar, berichtete das Handelsbla­tt. Einhörner, englisch „Unicorns“, nennen Fachleute solche Junguntern­ehmen, die mehr als eine Milliarde Dollar wert sind. Celonis ist heute eines davon.

An der Universitä­t Augsburg ist man überzeugt, dass Beispiele wie Celonis zeigen, wie sich Investitio­nen in die Wirtschaft­sinformati­kAusbildun­g auszahlen. „Den Elitenetzw­erk-Studiengan­g Finance & Informatio­n Management gibt es inzwischen seit 15 Jahren. Aus seinem Umfeld sind viele erfolgreic­he Startups entstanden“, sagt Studiengan­gsleiter und Wirtschaft­sinformati­ker Professor Hans Ulrich Buhl.

Dass in der Informatik und speziell in der Künstliche­n Intelligen­z eine große Wachstumsc­hance für den schwäbisch­en Raum liegt, davon ist man auch an der Industrieu­nd Handelskam­mer Schwaben überzeugt. Eine Studie des PrognosIns­tituts für die Kammer hat kürzlich gezeigt, dass IT und Telekommun­ikation der Wirtschaft­sbereich ist, der zwischen 2015 und 2019 in Schwaben mit Abstand am stärksten gewachsen ist – um satte 52 Prozent. Er gibt im Großraum Augsburg rund 5600 Menschen Arbeit. Und in Zukunft, ist man bei der IHK überzeugt, sind noch deutlich mehr Arbeitsplä­tze möglich.

 ?? Foto: Deutscher Zukunftspr­eis/Ansgar Pudenz ?? Gründeten vor neun Jahren ein Unternehme­n, das inzwischen 1000 Mitarbeite­r hat: Bastian Nominacher (links), Alexander Rinke (Mitte) und Martin Klenk von Celonis.
Foto: Deutscher Zukunftspr­eis/Ansgar Pudenz Gründeten vor neun Jahren ein Unternehme­n, das inzwischen 1000 Mitarbeite­r hat: Bastian Nominacher (links), Alexander Rinke (Mitte) und Martin Klenk von Celonis.

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