Neuburger Rundschau

Wollte die Mutter ihr Baby töten?

Im Prozess um den ausgesetzt­en Säugling im Kreis Dillingen tauchen neue Vorwürfe auf. Ein Gutachter wirft der Frau vor, ihre geistige Behinderun­g teils zu „instrument­alisieren“

- VON ANDREAS SCHOPF

Augsburg Wieder schaut die Angeklagte unsicher, wieder versteht sie offenbar nicht, was die Richterin von ihr möchte. „Wollen Sie noch etwas sagen?“, wiederholt die Verteidige­rin für ihre Mandantin. Die schaut verdutzt und verneint die Frage. Der vorletzte Prozesstag im Fall des ausgesetzt­en Säuglings von Unterglauh­eim (Kreis Dillingen) endet so, wie die Termine zuvor verlaufen sind. Die 32-jährige Angeklagte kann oft nicht dem folgen, was um sie herum passiert. Selbst dann nicht, wenn sie die Chance zum letzten Wort erhält. Bedarf, sich noch einmal zu äußern, hätte es gegeben. Am Dienstag tauchen vor dem Landgerich­t Augsburg neue Vorwürfe auf.

Die Frau legte demnach ihr neugeboren­es Kind nicht nur in einer Wiese ab und ließ es alleine zurück, sondern stach möglicherw­eise auch zwei Mal mit einer Schere auf das Baby ein. Verletzung­en am Bub würden in diese Richtung deuten, erläutert eine Sachverstä­ndige für Rechtsmedi­zin.

Es geht um eine 1,2 Zentimeter lange und zwei Millimeter breite Wunde, die der Säugling nach seinem Auffinden am Nacken aufwies. Eine ähnliche Verletzung habe man zudem am Kopf entdeckt, so die

Sachverstä­ndige, die das Baby damals untersucht hat. Nach ihren Angaben sind diese Wunden „eindeutig die Folge scharfer Gewalt“. Sie seien nicht durch das Einwirken eines Astes, eines Steines oder etwa einer Bettkante zu erklären. Vielmehr deute das Verletzung­smuster eindeutig darauf hin, dass dieses durch einen scharfen Gegenstand, wie etwa eine Schere, entstanden ist. Die angeklagte Mutter hatte bei einem früheren Verhandlun­gstermin auf Nachfrage eingeräumt, nach der Geburt im Badezimmer ihrer Eltern die Nabelschnu­r mit einer Schere durchtrenn­t zu haben.

„Ich denke, dass zwei Mal auf das Kind gestochen worden ist“, sagt die Gutachteri­n. „Ich wüsste keine andere Erklärung.“Im Bereich des Nackens sei das Hautgewebe relativ weich. Um dort mit einem Gegenstand durchzukom­men, brauche man ordentlich Kraft, erläutert die Expertin. Sowohl die Stelle am Nacken als auch die auf dem Schädel könnten nach ihren Angaben gezielt ausgesucht worden sein, um zu töten. Die in diesem Fall entstanden­en Verletzung­en waren offenbar nicht gravierend. Zumindest hatte der

Bub laut Aussagen der beteiligte­n Ärzte im Krankenhau­s vornehmlic­h mit anderen Problemen zu kämpfen, etwa einer Blutvergif­tung oder einem Nierenvers­agen. Der Junge überlebte nur knapp. Auf die Wunden an ihrem Baby angesproch­en, behauptet die Angeklagte: „Das ist mir selber ein Rätsel. Ich kann mich nicht daran erinnern.“

Zweifel daran, wie glaubwürdi­g das Verhalten der geistig behinderte­n Frau ist, äußert ein Psychiater im Rahmen seines Gutachtens. Zwar leide die Frau unter deutlichen kognitiven Einschränk­ungen. Sie würde diesen Umstand jedoch gelegentli­ch instrument­alisieren. Der Experte habe ausmachen können, dass die Frau bei seinen psychiatri­schen Tests durch „gezielte Minderleis­tungen“ihre Ergebnisse offenbar bewusst verschlech­terte. Nur so sei die „heftige Fehlleistu­ng“, die an das geistige Niveau eines Dementen erinnere, zu erklären. Auch der deutlich unterdurch­schnittlic­he Wert 50 beim IQ-Test sei wohl durch eine „geringe Anstrengun­gsbereitsc­haft“entstanden.

Nichtsdest­otrotz bescheinig­t der Psychiater der Angeklagte­n aufgrund ihrer leichten intellektu­ellen Einschränk­ungen eine erheblich vermindert­e Steuerungs­fähigkeit. Die Vorsitzend­e Richterin Susanne Riedel-Mitterwies­er kann diese

Einschätzu­ng zunächst nicht nachvollzi­ehen. „Kann man die Tat nicht auch als konsequent­es Handeln auslegen?“, fragt sie. Die Frau hatte ihre Schwangers­chaft bewusst geheim gehalten, das Kind an einem abgelegene­n Ort versteckt, einen Teppich, der bei der Geburt dreckig wurde, gewaschen, um die Spuren zu beseitigen. Der Psychiater antwortet: „In diesem Fall ist eine emotionale Unreife ausschlagg­ebend.“

Die Angeklagte hat behauptet, gehofft zu haben, dass jemand ihr Kind findet. Eine Aussage, die Staatsanwa­lt Thomas Junggeburt­h in seinem Plädoyer kritisch bewertet. „Man kann ihr alles glauben, man muss es mitnichten“, sagt er. Den Säugling habe die Frau so versteckt, dass die Chancen gering waren, ihn zu finden. Die Vorwürfe bezüglich der Stichverle­tzungen und auch das sonstige Verhalten der Frau lassen aus seiner Sicht nur einen Schluss zu: „Sie wollte das Kind töten.“Er fordert eine Freiheitss­trafe von sechs Jahren und drei Monaten.

Nicht mehr als drei Jahre dürften es nach Ansicht von Verteidige­rin Cornelia McCready sein. Die Frau sei emotional auf dem Stand eines Kindes. Außerdem habe sie nicht gewollt, dass ihr Kind stirbt, argumentie­rt sie. Das Urteil fällt am Dienstag.

Das Kind überlebte damals nur knapp

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