Wollte die Mutter ihr Baby töten?
Im Prozess um den ausgesetzten Säugling im Kreis Dillingen tauchen neue Vorwürfe auf. Ein Gutachter wirft der Frau vor, ihre geistige Behinderung teils zu „instrumentalisieren“
Augsburg Wieder schaut die Angeklagte unsicher, wieder versteht sie offenbar nicht, was die Richterin von ihr möchte. „Wollen Sie noch etwas sagen?“, wiederholt die Verteidigerin für ihre Mandantin. Die schaut verdutzt und verneint die Frage. Der vorletzte Prozesstag im Fall des ausgesetzten Säuglings von Unterglauheim (Kreis Dillingen) endet so, wie die Termine zuvor verlaufen sind. Die 32-jährige Angeklagte kann oft nicht dem folgen, was um sie herum passiert. Selbst dann nicht, wenn sie die Chance zum letzten Wort erhält. Bedarf, sich noch einmal zu äußern, hätte es gegeben. Am Dienstag tauchen vor dem Landgericht Augsburg neue Vorwürfe auf.
Die Frau legte demnach ihr neugeborenes Kind nicht nur in einer Wiese ab und ließ es alleine zurück, sondern stach möglicherweise auch zwei Mal mit einer Schere auf das Baby ein. Verletzungen am Bub würden in diese Richtung deuten, erläutert eine Sachverständige für Rechtsmedizin.
Es geht um eine 1,2 Zentimeter lange und zwei Millimeter breite Wunde, die der Säugling nach seinem Auffinden am Nacken aufwies. Eine ähnliche Verletzung habe man zudem am Kopf entdeckt, so die
Sachverständige, die das Baby damals untersucht hat. Nach ihren Angaben sind diese Wunden „eindeutig die Folge scharfer Gewalt“. Sie seien nicht durch das Einwirken eines Astes, eines Steines oder etwa einer Bettkante zu erklären. Vielmehr deute das Verletzungsmuster eindeutig darauf hin, dass dieses durch einen scharfen Gegenstand, wie etwa eine Schere, entstanden ist. Die angeklagte Mutter hatte bei einem früheren Verhandlungstermin auf Nachfrage eingeräumt, nach der Geburt im Badezimmer ihrer Eltern die Nabelschnur mit einer Schere durchtrennt zu haben.
„Ich denke, dass zwei Mal auf das Kind gestochen worden ist“, sagt die Gutachterin. „Ich wüsste keine andere Erklärung.“Im Bereich des Nackens sei das Hautgewebe relativ weich. Um dort mit einem Gegenstand durchzukommen, brauche man ordentlich Kraft, erläutert die Expertin. Sowohl die Stelle am Nacken als auch die auf dem Schädel könnten nach ihren Angaben gezielt ausgesucht worden sein, um zu töten. Die in diesem Fall entstandenen Verletzungen waren offenbar nicht gravierend. Zumindest hatte der
Bub laut Aussagen der beteiligten Ärzte im Krankenhaus vornehmlich mit anderen Problemen zu kämpfen, etwa einer Blutvergiftung oder einem Nierenversagen. Der Junge überlebte nur knapp. Auf die Wunden an ihrem Baby angesprochen, behauptet die Angeklagte: „Das ist mir selber ein Rätsel. Ich kann mich nicht daran erinnern.“
Zweifel daran, wie glaubwürdig das Verhalten der geistig behinderten Frau ist, äußert ein Psychiater im Rahmen seines Gutachtens. Zwar leide die Frau unter deutlichen kognitiven Einschränkungen. Sie würde diesen Umstand jedoch gelegentlich instrumentalisieren. Der Experte habe ausmachen können, dass die Frau bei seinen psychiatrischen Tests durch „gezielte Minderleistungen“ihre Ergebnisse offenbar bewusst verschlechterte. Nur so sei die „heftige Fehlleistung“, die an das geistige Niveau eines Dementen erinnere, zu erklären. Auch der deutlich unterdurchschnittliche Wert 50 beim IQ-Test sei wohl durch eine „geringe Anstrengungsbereitschaft“entstanden.
Nichtsdestotrotz bescheinigt der Psychiater der Angeklagten aufgrund ihrer leichten intellektuellen Einschränkungen eine erheblich verminderte Steuerungsfähigkeit. Die Vorsitzende Richterin Susanne Riedel-Mitterwieser kann diese
Einschätzung zunächst nicht nachvollziehen. „Kann man die Tat nicht auch als konsequentes Handeln auslegen?“, fragt sie. Die Frau hatte ihre Schwangerschaft bewusst geheim gehalten, das Kind an einem abgelegenen Ort versteckt, einen Teppich, der bei der Geburt dreckig wurde, gewaschen, um die Spuren zu beseitigen. Der Psychiater antwortet: „In diesem Fall ist eine emotionale Unreife ausschlaggebend.“
Die Angeklagte hat behauptet, gehofft zu haben, dass jemand ihr Kind findet. Eine Aussage, die Staatsanwalt Thomas Junggeburth in seinem Plädoyer kritisch bewertet. „Man kann ihr alles glauben, man muss es mitnichten“, sagt er. Den Säugling habe die Frau so versteckt, dass die Chancen gering waren, ihn zu finden. Die Vorwürfe bezüglich der Stichverletzungen und auch das sonstige Verhalten der Frau lassen aus seiner Sicht nur einen Schluss zu: „Sie wollte das Kind töten.“Er fordert eine Freiheitsstrafe von sechs Jahren und drei Monaten.
Nicht mehr als drei Jahre dürften es nach Ansicht von Verteidigerin Cornelia McCready sein. Die Frau sei emotional auf dem Stand eines Kindes. Außerdem habe sie nicht gewollt, dass ihr Kind stirbt, argumentiert sie. Das Urteil fällt am Dienstag.
Das Kind überlebte damals nur knapp