„Das war für uns eine völlig neue Spur“
Die Wendung im Fall Maddie hat auch Rudi Cerne, den langjährigen Moderator von „Aktenzeichen XY… ungelöst“überrascht. Er ist überzeugt, dass der Fall nun gelöst werden kann
Auf die Spur des jetzt Verdächtigen im Fall Maddie McCann kam die Polizei nach einem Hinweis aus Ihrer ZDFSendung „Aktenzeichen XY… ungelöst“. Was löst so etwas in Ihnen aus? Rudi Cerne: Na ja, es gab ja verschiedene Varianten, was da hätte passiert sein können. Zum Beispiel, dass sie entführt wurde. Weil Portugal ja auch das Tor nach Südamerika ist, hätte sie dort im Auftrag entführt worden sein können. Die Wendung, dass nun der Tatverdächtige ein Deutscher ist, kam für mich schon sehr überraschend. Das ist für uns alle eine völlig neue Spur gewesen.
Wissen Sie, wie es Maddies Eltern heute geht?
Cerne: Nein, das weiß ich nicht. Aber ich hatte damals, 2013, als wir über den Fall berichteten, Kontakt mit ihnen, besuchte sie zu einem Vorgespräch in Birmingham. Natürlich kann ich mich auch sehr intensiv an den Auftritt der Eltern bei uns im Studio erinnern. Das war schon sehr emotional. Betroffene oder Angehörige im Studio zu haben, das ist noch mal eine andere Dimension, als nur über einen Fall zu berichten.
Die Eltern standen ja zwischenzeitlich auch in Verdacht, am Verschwinden ihrer Tochter beteiligt gewesen zu sein. Haben Sie das jemals geglaubt? Cerne: Nein, das habe ich nie geglaubt. Man kann Menschen zwar nur vor den Kopf schauen und nicht rein. Aber das habe ich nie als Möglichkeit in Betracht gezogen, schon gar nicht, nachdem ich sie getroffen habe.
Sie sagten zuletzt: „Ich habe den Eindruck, die Schlinge zieht sich um den aktuellen Verdächtigen immer weiter zu.“Glauben Sie, dass der Fall Maddie McCann gelöst werden kann? Cerne: Ja, ich denke schon. Da bin ich zuversichtlich. Das Bundeskriminalamt hat ja zuletzt hunderte von Hinweisen bekommen. Wir erfahren die allerdings meistens erst kurz vor der Sendung. Wir haben ja keine Standleitung zum Bundeskriminalamt. Die Ermittler haben in diesem Fall alle Hände voll zu tun und sind damals offensiv auf uns zugekommen, um in einer konzertierten Aktion neue Fakten bekannt zu machen. Das hat sich als gelungen herausgestellt.
Kommt der Fall Maddie McCann auch in der heutigen Sendung vor? Cerne: Ich denke ja. Aber an Fragen wird im Bundeskriminalamt noch gearbeitet. Ich denke, dass die brandaktuelle Nachricht erst kurz vor der Sendung kommen wird.
Ist es oft so, dass Sie in dieser Form auf den letzten Drücker arbeiten müssen? Cerne: Das kommt regelmäßig vor. Gerade, wenn es um Kindesmissbrauch geht. Es passiert häufiger, dass das Bundeskriminalamt immer wieder am Tag der Sendung das Bild eines Kinderschänders dechiffrieren kann oder wir zeigen aktuelle Fotos aus der Wohnung eines Opfers. Dann ist das ein Studiofall. Die Aufklärungsrate ist meist sehr hoch, weil oft Leute anrufen, die sagen: „Dazu kann ich etwas sagen.“
Im Schnitt werden Sie von rund fünf Millionen Zuschauern unterstützt. Wie ist die Erfolgsquote?
Cerne: Die Statistik besagt, dass rund 40 Prozent der Fälle, die bei „Aktenzeichen“präsentiert worden sind, auch aufgeklärt werden können. Viele durch direkte Hinweise.
Was macht den Erfolg dieses TVDauerbrenners aus?
Cerne: Danach werde ich oft gefragt. Ist es der Schauer, der einem über den Rücken läuft oder liegt es daran, selbst etwas unternehmen zu können? Als Eduard Zimmermann diese Sendung ins Leben rief, hat er sicher nicht darüber nachgedacht, ein interaktives Format zu erfinden. Aber den Bildschirm zur Verbrechensbekämpfung zu nutzen, das ist schon eine bemerkenswerte Idee. Und bei uns ist alles Realität, das entstammt keinem Drehbuch. Authentischer kann Fernsehen nicht sein.
Lassen Sie uns noch ein anderes, aktuelles Thema besprechen. Warum lehnen so viele Leute die Polizei ab? Cerne: Ich bin darüber fassungslos, auch über das, was vor kurzem in Stuttgart passiert ist. Ich kann nicht verstehen, dass Leute aus der Lust an Gewalt und Ausschreitungen so über die Stränge schlagen. Wie man da nun effektiv reagieren könnte, dazu hätte ich jetzt auch keine Lösung parat. Dieses neue gesellschaftliche Phänomen ist beunruhigend und die deutsche Polizei kommt ja auch längst nicht so martialisch daher wie in den USA. Die oberste Devise lautet: Deeskalation.
Sie sind ja der Fernsehfahnder der Nation. Was heißt das für Sie privat? Cerne: Ich erlebe immer wieder, dass mir am Flughafen der ein oder andere Polizist freundlich zunickt. Manche fragen mich auch nach meiner Arbeit. Darüber freue ich mich! Als damals die ZDF-Verantwortlichen auf mich zukamen und fragten, ob ich die Sendung übernehmen wolle, war ich völlig überrascht. Ich habe an so manche Moderation gedacht, aber nicht an die von „Aktenzeichen XY“. Darum habe ich es erst einmal ein bisschen auf mich wirken lassen, bis ich zusagte. Aus heutiger Sicht war es die Chance meines Lebens. Dafür bin ich dem ZDF sehr dankbar. Die Sendung macht einen Riesenspaß, weil sie auch sinnstiftend und relevant ist. Wir helfen der Polizei, knifflige Fälle aufzuklären, bei denen die herkömmlichen Ermittlungsmethoden erschöpft sind. Da sagt man dann am Ende der Sendung schon manchmal: Donnerwetter, das hat sich gelohnt!
Sie haben selbst schon Bekanntschaft mit der Polizei gemacht und wurden festgenommen. Wie war das?
Cerne: Der Tag ist mir unvergesslich, der 27. Dezember 1978. Ich hatte mir beim traditionellen Weihnachtsschaulaufen in Garmisch-Partenkirchen bei einem Sturz die Schulter ausgekugelt. So bin ich mit dem Arm in der Schlinge von München nach Düsseldorf geflogen. Und auf dem Flug glaubte ein Passagier, ich wäre der RAF-Terrorist Christian Klar. Es gab damals ein Fahndungsfoto von Klar, auf dem ich ihm sehr ähnlich sah. Es war die heiße Zeit des RAF-Terrorismus. In Düsseldorf gelandet, bin ich von einem Empfangskomitee der Polizei aufgehalten worden. Da standen mehrere Polizisten mit vorgehaltener Waffe. Einer forderte mich auf: „Hände hoch! Stehenbleiben!“
Aber ist alles gut ausgegangen, oder? Cerne: Das Ganze hat vielleicht eine Viertelstunde gedauert. Es ist mir aber damals viel länger vorgekommen. Ich hatte glücklicherweise meinen Pass dabei. So wurde ich erst einmal in einem Raum abgesetzt, wo mich ein Polizist mit Maschinenpistole bewachte. Anschließend kam ein Polizeikommissar, entschuldigte sich und bat um Verständnis und erklärte, die Polizei habe einen Hinweis bekommen. Der Polizist, der mich mit Pistole empfangen hatte, hat mir übrigens dann geholfen, den Koffer vom Gepäckband zu tragen.
Welche Rolle spielt eigentlich der Eiskunstlauf noch in Ihrem Leben? Cerne: Der Eiskunstlauf an sich spielt gar keine so große Rolle mehr bei mir. Aber der Leistungssport hat mich schon sehr geprägt. In der Zeit gab es auch viele Niederlagen. Auch in der TV-Branche läuft nicht immer alles geschmeidig und glatt. Wie im richtigen Leben halt. Aber im Sport habe ich gelernt: Mund abputzen, die nächste Kür muss besser werden.
Belastet es Sie, nie Olympiasieger geworden zu sein? 1984 wurden Sie in Sarajevo ja Vierter.
Cerne: Nein. Die Konkurrenz war damals einfach zu gut. Ich bin ein realistischer Mensch: Die ersten drei waren in Sarajewo schlichtweg besser. Aber wenn du selbst bis zum letzten Starter auf dem BronzeRang liegst und dann bekommt der letzte Läufer seine Wertung und du rutschst auf den vierten Platz ab – das ist ein Schlag ins Kontor! Allerdings sage ich heute auch: Macht nix! Wer weiß, wofür es gut war.