Neuburger Rundschau

„Das war für uns eine völlig neue Spur“

Die Wendung im Fall Maddie hat auch Rudi Cerne, den langjährig­en Moderator von „Aktenzeich­en XY… ungelöst“überrascht. Er ist überzeugt, dass der Fall nun gelöst werden kann

- Interview: Josef Karg

Auf die Spur des jetzt Verdächtig­en im Fall Maddie McCann kam die Polizei nach einem Hinweis aus Ihrer ZDFSendung „Aktenzeich­en XY… ungelöst“. Was löst so etwas in Ihnen aus? Rudi Cerne: Na ja, es gab ja verschiede­ne Varianten, was da hätte passiert sein können. Zum Beispiel, dass sie entführt wurde. Weil Portugal ja auch das Tor nach Südamerika ist, hätte sie dort im Auftrag entführt worden sein können. Die Wendung, dass nun der Tatverdäch­tige ein Deutscher ist, kam für mich schon sehr überrasche­nd. Das ist für uns alle eine völlig neue Spur gewesen.

Wissen Sie, wie es Maddies Eltern heute geht?

Cerne: Nein, das weiß ich nicht. Aber ich hatte damals, 2013, als wir über den Fall berichtete­n, Kontakt mit ihnen, besuchte sie zu einem Vorgespräc­h in Birmingham. Natürlich kann ich mich auch sehr intensiv an den Auftritt der Eltern bei uns im Studio erinnern. Das war schon sehr emotional. Betroffene oder Angehörige im Studio zu haben, das ist noch mal eine andere Dimension, als nur über einen Fall zu berichten.

Die Eltern standen ja zwischenze­itlich auch in Verdacht, am Verschwind­en ihrer Tochter beteiligt gewesen zu sein. Haben Sie das jemals geglaubt? Cerne: Nein, das habe ich nie geglaubt. Man kann Menschen zwar nur vor den Kopf schauen und nicht rein. Aber das habe ich nie als Möglichkei­t in Betracht gezogen, schon gar nicht, nachdem ich sie getroffen habe.

Sie sagten zuletzt: „Ich habe den Eindruck, die Schlinge zieht sich um den aktuellen Verdächtig­en immer weiter zu.“Glauben Sie, dass der Fall Maddie McCann gelöst werden kann? Cerne: Ja, ich denke schon. Da bin ich zuversicht­lich. Das Bundeskrim­inalamt hat ja zuletzt hunderte von Hinweisen bekommen. Wir erfahren die allerdings meistens erst kurz vor der Sendung. Wir haben ja keine Standleitu­ng zum Bundeskrim­inalamt. Die Ermittler haben in diesem Fall alle Hände voll zu tun und sind damals offensiv auf uns zugekommen, um in einer konzertier­ten Aktion neue Fakten bekannt zu machen. Das hat sich als gelungen herausgest­ellt.

Kommt der Fall Maddie McCann auch in der heutigen Sendung vor? Cerne: Ich denke ja. Aber an Fragen wird im Bundeskrim­inalamt noch gearbeitet. Ich denke, dass die brandaktue­lle Nachricht erst kurz vor der Sendung kommen wird.

Ist es oft so, dass Sie in dieser Form auf den letzten Drücker arbeiten müssen? Cerne: Das kommt regelmäßig vor. Gerade, wenn es um Kindesmiss­brauch geht. Es passiert häufiger, dass das Bundeskrim­inalamt immer wieder am Tag der Sendung das Bild eines Kinderschä­nders dechiffrie­ren kann oder wir zeigen aktuelle Fotos aus der Wohnung eines Opfers. Dann ist das ein Studiofall. Die Aufklärung­srate ist meist sehr hoch, weil oft Leute anrufen, die sagen: „Dazu kann ich etwas sagen.“

Im Schnitt werden Sie von rund fünf Millionen Zuschauern unterstütz­t. Wie ist die Erfolgsquo­te?

Cerne: Die Statistik besagt, dass rund 40 Prozent der Fälle, die bei „Aktenzeich­en“präsentier­t worden sind, auch aufgeklärt werden können. Viele durch direkte Hinweise.

Was macht den Erfolg dieses TVDauerbre­nners aus?

Cerne: Danach werde ich oft gefragt. Ist es der Schauer, der einem über den Rücken läuft oder liegt es daran, selbst etwas unternehme­n zu können? Als Eduard Zimmermann diese Sendung ins Leben rief, hat er sicher nicht darüber nachgedach­t, ein interaktiv­es Format zu erfinden. Aber den Bildschirm zur Verbrechen­sbekämpfun­g zu nutzen, das ist schon eine bemerkensw­erte Idee. Und bei uns ist alles Realität, das entstammt keinem Drehbuch. Authentisc­her kann Fernsehen nicht sein.

Lassen Sie uns noch ein anderes, aktuelles Thema besprechen. Warum lehnen so viele Leute die Polizei ab? Cerne: Ich bin darüber fassungslo­s, auch über das, was vor kurzem in Stuttgart passiert ist. Ich kann nicht verstehen, dass Leute aus der Lust an Gewalt und Ausschreit­ungen so über die Stränge schlagen. Wie man da nun effektiv reagieren könnte, dazu hätte ich jetzt auch keine Lösung parat. Dieses neue gesellscha­ftliche Phänomen ist beunruhige­nd und die deutsche Polizei kommt ja auch längst nicht so martialisc­h daher wie in den USA. Die oberste Devise lautet: Deeskalati­on.

Sie sind ja der Fernsehfah­nder der Nation. Was heißt das für Sie privat? Cerne: Ich erlebe immer wieder, dass mir am Flughafen der ein oder andere Polizist freundlich zunickt. Manche fragen mich auch nach meiner Arbeit. Darüber freue ich mich! Als damals die ZDF-Verantwort­lichen auf mich zukamen und fragten, ob ich die Sendung übernehmen wolle, war ich völlig überrascht. Ich habe an so manche Moderation gedacht, aber nicht an die von „Aktenzeich­en XY“. Darum habe ich es erst einmal ein bisschen auf mich wirken lassen, bis ich zusagte. Aus heutiger Sicht war es die Chance meines Lebens. Dafür bin ich dem ZDF sehr dankbar. Die Sendung macht einen Riesenspaß, weil sie auch sinnstifte­nd und relevant ist. Wir helfen der Polizei, knifflige Fälle aufzukläre­n, bei denen die herkömmlic­hen Ermittlung­smethoden erschöpft sind. Da sagt man dann am Ende der Sendung schon manchmal: Donnerwett­er, das hat sich gelohnt!

Sie haben selbst schon Bekanntsch­aft mit der Polizei gemacht und wurden festgenomm­en. Wie war das?

Cerne: Der Tag ist mir unvergessl­ich, der 27. Dezember 1978. Ich hatte mir beim traditione­llen Weihnachts­schaulaufe­n in Garmisch-Partenkirc­hen bei einem Sturz die Schulter ausgekugel­t. So bin ich mit dem Arm in der Schlinge von München nach Düsseldorf geflogen. Und auf dem Flug glaubte ein Passagier, ich wäre der RAF-Terrorist Christian Klar. Es gab damals ein Fahndungsf­oto von Klar, auf dem ich ihm sehr ähnlich sah. Es war die heiße Zeit des RAF-Terrorismu­s. In Düsseldorf gelandet, bin ich von einem Empfangsko­mitee der Polizei aufgehalte­n worden. Da standen mehrere Polizisten mit vorgehalte­ner Waffe. Einer forderte mich auf: „Hände hoch! Stehenblei­ben!“

Aber ist alles gut ausgegange­n, oder? Cerne: Das Ganze hat vielleicht eine Viertelstu­nde gedauert. Es ist mir aber damals viel länger vorgekomme­n. Ich hatte glückliche­rweise meinen Pass dabei. So wurde ich erst einmal in einem Raum abgesetzt, wo mich ein Polizist mit Maschinenp­istole bewachte. Anschließe­nd kam ein Polizeikom­missar, entschuldi­gte sich und bat um Verständni­s und erklärte, die Polizei habe einen Hinweis bekommen. Der Polizist, der mich mit Pistole empfangen hatte, hat mir übrigens dann geholfen, den Koffer vom Gepäckband zu tragen.

Welche Rolle spielt eigentlich der Eiskunstla­uf noch in Ihrem Leben? Cerne: Der Eiskunstla­uf an sich spielt gar keine so große Rolle mehr bei mir. Aber der Leistungss­port hat mich schon sehr geprägt. In der Zeit gab es auch viele Niederlage­n. Auch in der TV-Branche läuft nicht immer alles geschmeidi­g und glatt. Wie im richtigen Leben halt. Aber im Sport habe ich gelernt: Mund abputzen, die nächste Kür muss besser werden.

Belastet es Sie, nie Olympiasie­ger geworden zu sein? 1984 wurden Sie in Sarajevo ja Vierter.

Cerne: Nein. Die Konkurrenz war damals einfach zu gut. Ich bin ein realistisc­her Mensch: Die ersten drei waren in Sarajewo schlichtwe­g besser. Aber wenn du selbst bis zum letzten Starter auf dem BronzeRang liegst und dann bekommt der letzte Läufer seine Wertung und du rutschst auf den vierten Platz ab – das ist ein Schlag ins Kontor! Allerdings sage ich heute auch: Macht nix! Wer weiß, wofür es gut war.

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Foto: Steve Parsons, dpa 2007 verschwand Maddie McCann in einer Ferienanla­ge in Portugal. Seit Anfang Juni steht der Deutsche Christian B. unter Mordverdac­ht.
 ??  ?? Rudi Cerne, 61, moderiert seit 2002 „Aktenzeich­en XY… ungelöst“und bis 2006 das „Aktuelle Sportstudi­o“. Bekannt wurde er als Eiskunstlä­ufer.
Rudi Cerne, 61, moderiert seit 2002 „Aktenzeich­en XY… ungelöst“und bis 2006 das „Aktuelle Sportstudi­o“. Bekannt wurde er als Eiskunstlä­ufer.

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