Entwicklungshilfe auf den Färöern
Kevin Schindler spielte für Werder Bremen, den FC Augsburg und St. Pauli. Nun ist der 32-jährige Co-Trainer des HB Tórshavn auf dem Inselstaat – und genießt dort einen Luxus: Corona gilt als besiegt, Fans dürfen in die Stadien
Tórshavn Beim HB Tórshavn geht alles noch familiär zu. Wer beim Fußball-Rekordmeister der Färöer anruft und angibt, mit der Pressestelle sprechen zu wollen, erntet am anderen Ende der Leitung ein Lachen. Und den Hinweis darauf, dass man keine Presseabteilung habe. Der Kontakt zu Tórshavns prominentestem Mitarbeiter läuft dafür sehr unkompliziert ab: Kevin Schindler meldet sich mit einem norddeutschen „Moin“am Handy, bittet aber höflich darum, das Gespräch tags darauf führen zu können, weil er gerade auf der Insel Mykines (nicht zu verwechseln mit Mykonos, wie er betont) eine Wandertour macht.
Der 32-Jährige, der in der Jugend des SV Werder Bremen ausgebildet wurde und später unter anderem für den FC Augsburg (Juli bis Dezember 2009), Hansa Rostock und den FC St. Pauli spielte, ist seit Anfang des Jahres beim Hauptstadtklub angestellt – eigentlich als Co-Trainer. Wegen der Verletztenmisere kam der ehemalige U21-Nationalspieler aber zuletzt auch als Spieler zum Einsatz. Damit ist er der zweite Deutsche nach einem gewissen Dieter Ferber, der Ende der 60er Jahre für den B36 Tórshavn spielte.
Eine historische Dimension, die Schindler nicht im Kopf hatte, als er auf dem Atlantik-Archipel anheuerte. Den Kontakt stellte der Trainer der Dortmunder U23 her, der wie Tórshavns Coach Jens Berthel Askou Däne ist. Schindler sagt: „Eigentlich habe ich meine Karriere beendet und will mich als Trainer beweisen. Jetzt bin ich ein Spieler für den Notfall, der unsere Mannschaft voranbringen will.“Das klappt ganz gut: Aktuell steht Pokalsieger Tórshavn an der Tabellenspitze und hat Kurs in Richtung 24. Meisterschaft genommen. Das Leistungsniveau der Top-Klubs könne man in etwa mit der deutschen Regionalliga vergleichen sagt Schindler.
Ein großer Pluspunkt auf den
Färöern: In den Stadien gibt es keine Corona-Beschränkungen mehr, der Liga-Betrieb wurde nach dem verspäteten Ligastart schrittweise nach oben gefahren und läuft nun ganz normal. Aktuell sind beim HB Tórshavn rund 1000 Menschen im Stadion, die sich völlig frei bewegen können. Die Pandemie gilt auf den Färöern, die von knapp 50 000 Menschen bewohnt werden, seit Mitte Mai als besiegt. Alle 188 Personen, die sich auf dem Inselstaat mit dem Virus infiziert hatten, sind wieder genesen. Es gab keinen Todesfall. Schindler erinnert sich: „Es gab auch hier einen Lockdown, die Regierung hat für vier, fünf Wochen alles abgeriegelt. Aber wir mussten nie einen Mundschutz tragen oder zu Hause bleiben.“
Dass Corona die Färöer weit weniger hart traf, liegt nicht nur an der Abgeschiedenheit der Inselgruppe, sondern auch an der Lachszucht: Vor 20 Jahren bedrohte ein Virus einen der wichtigsten Industriezweige des Landes. Eine der Folgen ist bis heute die exzellente LaborInfrastruktur. Dass schon im Mai die Fußball-Liga der Färöer wieder spielen konnte, hat der Betrideildin, der höchsten Spielklasse des Landes, großen Zulauf beschert. Schindler: „Die Aufmerksamkeit von Fernsehteams aus Dänemark und Norwegen war groß. Das wäre sonst undenkbar gewesen.“
So undenkbar, wie es vor kurzem noch für Schindler selbst gewesen wäre, auf den Färöern zu kicken. Seine Anknüpfungspunkte waren bislang überschaubar: „Ich konnte mich noch dran erinnern, dass die Nationalmannschaft sich hier immer bei Qualifikationsspielen sehr schwergetan hat – das war’s dann aber auch.“Mittlerweile hat er das Leben auf der Insel kennen und schätzen gelernt. Schindler, dessen Heimatstadt Delmenhorst mit 70000 Einwohnern deutlich größer ist als die Färöer, schätzte sich selbst immer als Stadtmensch ein – und lernte nun die Natur kennen. Wandern auf Mykines eben. „Ich komme hier ganz gut zurecht.“
Wie familiär es auf der Inselgruppe zugeht, erfuhr er, als er mit seiner Freundin eine Bootstour unternahm: „Danach bin ich zu unserem Stadion gefahren, weil wir Training hatten. Und jeder im Verein wusste schon Bescheid, dass ich auf dem Boot war.“Des Rätsels Lösung: Ein Vereinsmitglied arbeitete am Ufer, hatte ein Fernglas zur Hand und entdeckte den prominenten Mitarbeiter. Schindler lacht: „Der hat es einem weitererzählt. Und dann wussten es alle.“Wie lange er noch auf dem Inselstaat bleibt, kann er selbst nicht sagen: „Mein Vertrag läuft bis zum Ende des Jahres, dann sehen wir weiter. Jetzt wollen wir Meister und Pokalsieger werden.“
Auf die Frage, was ihm noch zum völligen Glück fehlt, kommt die Antwort wie aus der Pistole geschossen: „Besseres Wetter!“Selbst jetzt im Juli steigen die Temperaturen selten auf mehr als 14 Grad. „Die letzten Tage war es windstill und es regnete nicht, das ist schon mal viel wert.“Das sollte man dann auch nutzen – etwa mit einer Wandertour auf Mykines. Wirklich nicht zu verwechseln mit Mykonos.