Die Sängerknaben aus dem Donaumoos
Vor 100 Jahren hat sich in Karlshuld der Männergesangsverein gegründet. Doch die anfängliche Euphorie verflog bald. Warum der damalige Chorleiter den Verein schon zwei Jahre später frustriert auflösen wollte
Karlshuld Zeitweise zwei Dirigenten, ein Vorsitzender, der selbst den Antrag stellte, den Verein aufzulösen, und ein Klavier, das während der Inflation finanziert wurde – der Männergesangverein (MGV) Harmonie Karlshuld schaut auf eine bewegte Geschichte zurück, bis hin zum coronabedingt abgesagten Jubiläumsjahr mit Gausängertreffen und Konzert zum 100-Jährigen. Warum aber der Geburtstag auch noch 2021 passend gefeiert werden könnte, geht aus der Chronik hervor.
Die hat der dienstälteste Sänger, Walter Reindl, bereits zum 75. Jubiläum vor einem Vierteljahrhundert geschrieben und nun um eine Kurzfassung mit Schwerpunkt auf die jüngere Geschichte ergänzt. Der 82-jährige Karlshulder ist seit 60 Jahren aktiver Sänger, sein Vater Michael, Jahrgang 1895, gehörte zu den Musikanten der ersten Stunde, und gegründet wurde der MGV Harmonie im Café Reindl, das wiederum dessen Vater betrieb.
Schon um 1915 herum musizierten sangesfreudige Burschen und Musikanten in verschiedenen Wirtschaften im Donaumoos. Sie gelten als Vorläufer des MGV. Ab 1920 gab es regelmäßige Treffen und Auftritte. Es war die Zeit der Chorgründungen im Donaumoos, und nachdem in Oberlehrer Roth ein Dirigent gefunden war, stand der offiziellen Gründung von „Harmonie“am 2. Oktober 1921 nichts mehr im Wege. Die heuer ausgefallene Jubiläumsfeier um ein Jahr zu verschieben, ließe sich also durchaus rechtfertigen.
Gründungsvorsitzender war Ludwig Forster. 50 Pfennige zahlten die Mitglieder damals monatlich, dazu einmalig drei Mark bei der Aufnahme in den Chor. Weil die Instrumente nicht reichten oder auch nicht immer verfügbar waren, wurde als erstes für 4600 Mark ein Klavier angeschafft. 600 Mark besaß der Verein, je 2000 wurden von Peter Glöckl und Ulrich Heigl geliehen. Innerhalb von drei Jahren sollten die Darlehen zurückgezahlt werden. Doch dann kam die Inflation und ab Juni 1922 betrug die Aufnahmegebühr schon zehn, zu Jahresende bereits 50 Mark.
Die Zeiten waren unsicher, doch dass Vorsitzender Georg Maurer den Verein 1924 bereits wieder auflösen wollte, lag schlicht am zu geringen Probenbesuch. Weshalb der neue Dirigent, Lehrer Imhof, sein Amt nicht antreten wollte. Die Mitglieder lehnten die Vereinsauflösung ab und so ging es weiter – in eine erste Blütezeit zwischen den beiden Weltkriegen, bis zur Gleichschaltung 1933, als Proben und sämtliche Aktivitäten eingestellt wurden.
1950 gab ein Gastspiel des Liederkranzes Ingolstadt-Hauptbahnhof den Anstoß zur Wiederbelebung des Vereins unter dem Vorsitzenden Adolf Reindl, dem Onkel des Chronisten, und Dirigent Josef Neubauer, dem der spätere Schulleiter Peter Stempfle folgte. Die nächste Hochphase begann, schnell stieg die Sängerzahl von 28 im Jahr 1951 auf 34 ein Jahr später. 1958 gab es kurioserweise sogar zwei Dirigenten: Stempfle zum Einstudieren neuer Lieder und Pfarrer Anton Eiberger zum Wiederholen der älteren. Mitgliederschwund, Dirigenten- und Vorstandswechsel, Verlust des Vereinslokals und zuletzt der Siegeszug Fernsehens führten dazu, dass der Verein 1966 die Proben einstellte, ab 1974 sogar ganz ruhte.
Erst 1983 wurde der Chor von sieben ehemaligen und zehn neuen Sängern wiederbelebt. Vorsitzender war Heinz Edler, Dirigent Peter Neumair. Ab 1988 leitete Andreas Strahl den Chor und trug ihn zu neuer Blüte mit zeitweise 30 aktiven Sängern. Als 2004 das Jägerheim (ehemals Café Reindl) abgerissen wurde, bauten die Aktiven den Dachboden des Pfarrheims zu ihrer neuen Bleibe aus, die sie mit der zunächst als Abteilung des MGV gegründeten Blaskapelle Karlshuld teilen. Zuletzt sind wieder schwierigere Zeiten angebrochen, rund 20 Sänger sind seit 1988 verstorben und Nachwuchs ist rar.
Verblieben sind 15 Sangesbrüder und Dirigent Andreas Strahl. Die dürften sich jetzt eigentlich wieder zum Proben treffen, noch aber steht es in den Sternen, wann es weitergeht. „Abstand könnten wir schon einhalten, aber wir sind halt lauter Risikopatienten“, sagt Vorsitzender Michael Mayr, der noch nicht sagen kann, wann wieder gesungen wird und ob beziehungsweise in welcher Form das Jubiläum nachgeholt wird. „Das Hygienekonzept beeindes trächtigt uns schon sehr beim Singen“, erklärt Strahl, zudem sei Singen aufgrund der Aerosolbildung grundsätzlich problematisch, weshalb er momentan noch davon Abstand nimmt, den Probenbetrieb wieder aufzunehmen.
Die Gesundheit gehe vor. Singen im Abstand von zwei Metern sieht der erfahrene Chorleiter als problematisch an. „Profis können das“, sagt er, „aber für Laien ist das sehr schwierig“. Das sieht auch Walter Reindl so, schließlich müssten die Sänger während des Singens aufeinander hören können.