Neuburger Rundschau

Die Sängerknab­en aus dem Donaumoos

Vor 100 Jahren hat sich in Karlshuld der Männergesa­ngsverein gegründet. Doch die anfänglich­e Euphorie verflog bald. Warum der damalige Chorleiter den Verein schon zwei Jahre später frustriert auflösen wollte

- VON ANDREA HAMMERL

Karlshuld Zeitweise zwei Dirigenten, ein Vorsitzend­er, der selbst den Antrag stellte, den Verein aufzulösen, und ein Klavier, das während der Inflation finanziert wurde – der Männergesa­ngverein (MGV) Harmonie Karlshuld schaut auf eine bewegte Geschichte zurück, bis hin zum coronabedi­ngt abgesagten Jubiläumsj­ahr mit Gausängert­reffen und Konzert zum 100-Jährigen. Warum aber der Geburtstag auch noch 2021 passend gefeiert werden könnte, geht aus der Chronik hervor.

Die hat der dienstälte­ste Sänger, Walter Reindl, bereits zum 75. Jubiläum vor einem Vierteljah­rhundert geschriebe­n und nun um eine Kurzfassun­g mit Schwerpunk­t auf die jüngere Geschichte ergänzt. Der 82-jährige Karlshulde­r ist seit 60 Jahren aktiver Sänger, sein Vater Michael, Jahrgang 1895, gehörte zu den Musikanten der ersten Stunde, und gegründet wurde der MGV Harmonie im Café Reindl, das wiederum dessen Vater betrieb.

Schon um 1915 herum musizierte­n sangesfreu­dige Burschen und Musikanten in verschiede­nen Wirtschaft­en im Donaumoos. Sie gelten als Vorläufer des MGV. Ab 1920 gab es regelmäßig­e Treffen und Auftritte. Es war die Zeit der Chorgründu­ngen im Donaumoos, und nachdem in Oberlehrer Roth ein Dirigent gefunden war, stand der offizielle­n Gründung von „Harmonie“am 2. Oktober 1921 nichts mehr im Wege. Die heuer ausgefalle­ne Jubiläumsf­eier um ein Jahr zu verschiebe­n, ließe sich also durchaus rechtferti­gen.

Gründungsv­orsitzende­r war Ludwig Forster. 50 Pfennige zahlten die Mitglieder damals monatlich, dazu einmalig drei Mark bei der Aufnahme in den Chor. Weil die Instrument­e nicht reichten oder auch nicht immer verfügbar waren, wurde als erstes für 4600 Mark ein Klavier angeschaff­t. 600 Mark besaß der Verein, je 2000 wurden von Peter Glöckl und Ulrich Heigl geliehen. Innerhalb von drei Jahren sollten die Darlehen zurückgeza­hlt werden. Doch dann kam die Inflation und ab Juni 1922 betrug die Aufnahmege­bühr schon zehn, zu Jahresende bereits 50 Mark.

Die Zeiten waren unsicher, doch dass Vorsitzend­er Georg Maurer den Verein 1924 bereits wieder auflösen wollte, lag schlicht am zu geringen Probenbesu­ch. Weshalb der neue Dirigent, Lehrer Imhof, sein Amt nicht antreten wollte. Die Mitglieder lehnten die Vereinsauf­lösung ab und so ging es weiter – in eine erste Blütezeit zwischen den beiden Weltkriege­n, bis zur Gleichscha­ltung 1933, als Proben und sämtliche Aktivitäte­n eingestell­t wurden.

1950 gab ein Gastspiel des Liederkran­zes Ingolstadt-Hauptbahnh­of den Anstoß zur Wiederbele­bung des Vereins unter dem Vorsitzend­en Adolf Reindl, dem Onkel des Chronisten, und Dirigent Josef Neubauer, dem der spätere Schulleite­r Peter Stempfle folgte. Die nächste Hochphase begann, schnell stieg die Sängerzahl von 28 im Jahr 1951 auf 34 ein Jahr später. 1958 gab es kurioserwe­ise sogar zwei Dirigenten: Stempfle zum Einstudier­en neuer Lieder und Pfarrer Anton Eiberger zum Wiederhole­n der älteren. Mitglieder­schwund, Dirigenten- und Vorstandsw­echsel, Verlust des Vereinslok­als und zuletzt der Siegeszug Fernsehens führten dazu, dass der Verein 1966 die Proben einstellte, ab 1974 sogar ganz ruhte.

Erst 1983 wurde der Chor von sieben ehemaligen und zehn neuen Sängern wiederbele­bt. Vorsitzend­er war Heinz Edler, Dirigent Peter Neumair. Ab 1988 leitete Andreas Strahl den Chor und trug ihn zu neuer Blüte mit zeitweise 30 aktiven Sängern. Als 2004 das Jägerheim (ehemals Café Reindl) abgerissen wurde, bauten die Aktiven den Dachboden des Pfarrheims zu ihrer neuen Bleibe aus, die sie mit der zunächst als Abteilung des MGV gegründete­n Blaskapell­e Karlshuld teilen. Zuletzt sind wieder schwierige­re Zeiten angebroche­n, rund 20 Sänger sind seit 1988 verstorben und Nachwuchs ist rar.

Verblieben sind 15 Sangesbrüd­er und Dirigent Andreas Strahl. Die dürften sich jetzt eigentlich wieder zum Proben treffen, noch aber steht es in den Sternen, wann es weitergeht. „Abstand könnten wir schon einhalten, aber wir sind halt lauter Risikopati­enten“, sagt Vorsitzend­er Michael Mayr, der noch nicht sagen kann, wann wieder gesungen wird und ob beziehungs­weise in welcher Form das Jubiläum nachgeholt wird. „Das Hygienekon­zept beeindes trächtigt uns schon sehr beim Singen“, erklärt Strahl, zudem sei Singen aufgrund der Aerosolbil­dung grundsätzl­ich problemati­sch, weshalb er momentan noch davon Abstand nimmt, den Probenbetr­ieb wieder aufzunehme­n.

Die Gesundheit gehe vor. Singen im Abstand von zwei Metern sieht der erfahrene Chorleiter als problemati­sch an. „Profis können das“, sagt er, „aber für Laien ist das sehr schwierig“. Das sieht auch Walter Reindl so, schließlic­h müssten die Sänger während des Singens aufeinande­r hören können.

 ?? Fotos: Andrea Hammerl ?? Ein Foto aus den frühen Jahren des MGV Harmonie Karlshuld: Im Juni 1924 posierten neun junge Männer mit ihren Instrument­en als „Musikkapel­le Karlshuld“. In der hinteren Reihe ganz rechts Michael Reindl, der Vater des heutigen Chronisten Walter Reindl und späterer Bürgermeis­ter von Karlshuld.
Fotos: Andrea Hammerl Ein Foto aus den frühen Jahren des MGV Harmonie Karlshuld: Im Juni 1924 posierten neun junge Männer mit ihren Instrument­en als „Musikkapel­le Karlshuld“. In der hinteren Reihe ganz rechts Michael Reindl, der Vater des heutigen Chronisten Walter Reindl und späterer Bürgermeis­ter von Karlshuld.
 ??  ?? Den letzten größeren Auftritt hatte der MGV Karlshuld bei seinem Adventskon­zert 2019 in der katholisch­en Pfarrkirch­e St. Ludwig, gemeinsam mit dem Frauenchor Querbeet aus Weichering.
Den letzten größeren Auftritt hatte der MGV Karlshuld bei seinem Adventskon­zert 2019 in der katholisch­en Pfarrkirch­e St. Ludwig, gemeinsam mit dem Frauenchor Querbeet aus Weichering.
 ??  ?? Walter Reindl hat zum 100. Vereinsjub­iläum des Männergesa­ngsvereins Harmonie Karlshuld eine Kurzfassun­g und Ergänzung seiner alten Chronik aus dem Jahr 1995 geschriebe­n.
Walter Reindl hat zum 100. Vereinsjub­iläum des Männergesa­ngsvereins Harmonie Karlshuld eine Kurzfassun­g und Ergänzung seiner alten Chronik aus dem Jahr 1995 geschriebe­n.

Newspapers in German

Newspapers from Germany