Neuburger Rundschau

Scharfe Kritik in süße Zuckerwatt­e verpackt

Die 21-jährige Elena Habelt aus Neuburg ist Poetry Slammerin. Mit ihren Gedichten will die Lehramtsst­udentin über psychische Krankheite­n bei Kindern und Jugendlich­en aufklären. Warum ihre Texte auf Englisch rationaler sind

- VON LAURA FREILINGER

Neuburg/London Die Poetry Slammerin Elena Habelt aus Neuburg betritt ihre Bühne – eine digitale Bühne. „Alles, was ich hör’, ist Schweigen“, sagt die 21-jährige Studentin wütend. Die Zeile stammt aus ihrem kritischen Gedicht „Fahrt vorsichtig!“, das über die Tabuisieru­ng psychische­r Krankheite­n im Schulallta­g handelt. Elena tritt als Künstlerin im Rahmen eines Poetry Slams auf. Aufgrund der CoronaPand­emie aber nicht in einer Schulaula oder auf einer Kleinkunst­bühne, sondern digital via Videokonfe­renz. Auf dem Bildschirm des Laptops erkennt sie nicht mal die Gesichter ihrer Zuschauer, die Interaktio­n mit dem Publikum bleibt online fast aus.

Elena liebt das Dichten, seit sie schreiben kann. „Schon in der ersten Klasse habe ich über Schokolade­nnikoläuse gedichtet“, erinnert sie sich. Lange veröffentl­ichte sie die Werke nicht, lediglich ihre Familie oder enge Freunde durften sie lesen. Gleichzeit­ig wollte Elena aber auf der Bühne stehen. Sie entdeckte das Theaterspi­elen für sich. Sie beteiligte sich am Schultheat­er und am Neuburger Volkstheat­er. Inzwischen trägt sie ihre selbst geschriebe­nen Texte vor. Im Poetry Slam sieht sie eine Brücke zwischen dem Schreiben und der Schauspiel­erei. „Für mich ist das die perfekte Mischung aus theatralis­cher Darstellun­g und Selbstausd­ruck.“

Neu in der Szene sind PoetrySlam-Abende in digitaler Form. Die Idee hierfür kam dem Kollektiv „Poetry Connects“bereits während des ersten Corona-Lockdowns im Frühjahr. „Wir fühlten uns kulturell unterverso­rgt“, erinnert sich Elena, die dem Kollektiv angehört. „Wir wollten unsere Leidenscha­ft nicht aufgeben, nur weil die Bühnen geschlosse­n sind.“Seit dem ersten Lockdown werden einmal pro Quartal Slams veranstalt­et. Die digitalen Auftritte zeigen, wie Poesie trotz Kontaktbes­chränkung verbindet.

Nachdem sie den ersten SlamAbend gewonnen hatte, trat Elena Anfang des Monats auch beim zweiten auf. Dort ging es weniger um den Wettstreit unter den Slammern, sondern viel mehr um das Spenden. Sieben Künstler stellten ihre Texte, die von Beziehungs­problemen bis Rassismus handelten, vor. Anstatt Eintritt zu zahlen, konnte das Publikum auf freiwillig­er Basis an die „Deutsche Depression­shilfe“oder an den „Malala Fund“, der sich für Mädchenbil­dung einsetzt, spenden.

Elena trug ihren Text „Fahr vorsichtig!“vor. Das Gedicht thematisie­rt die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en. Die liegt Elena besonUnd

ders am Herzen. Sie studiert nämlich Gymnasiall­ehramt für die Fächer Englisch und Ethik in München. Ein Schwerpunk­t ihres Studiums ist Schulpsych­ologie. In der Vorbereitu­ng für ihr Staatsexam­en für das Fach Pädagogik hatte sie in sämtlichen Lehrplänen vergeblich

nach Inhalten zu mentaler Gesundheit gesucht. In Deutschlan­d werden psychische Krankheite­n wie Depression ein immer größeres Thema. Trotzdem werden diese Krankheite­n in der Schule nicht behandelt, sagt Elena. „Das macht mich unglaublic­h wütend.“ bleiben und alles, was ich hör’, ist Schweigen.

Alles, was ich hör’, ist Schweigen. Hörst du nicht die Menschen schweigen, Menschensc­hweigen. Alles, was ich hör’ ist Schweigen. von Elena Habelt

das verdeutlic­ht sie auch in ihrem Slam-Text. Sie fordert für Schüler eine jährliche Untersuchu­ng der psychische­n Gesundheit oder ein Verkehrsei­nmaleins für psychische Krankheite­n. Depression­en und Suizid, so die angehende Lehrerin, seien unter jungen Erwachsene­n ein Problem, das nicht totgeschwi­egen werden darf. Beim digitalen Vortragen des Slams fehlt die unmittelba­re Reaktion. „Ich weiß nicht, ob die Leute lachen, weinen oder ob sie schon gar nicht mehr vor dem Bildschirm sitzen“, sagt sie. „Man trägt seinen Text vor und weiß nicht so recht, wie er ankommt.“Umso mehr freue sie sich dann, wenn nach ihrem Vortrag lobende Worte in den Chat gepostet werden oder kurz der Ton angeschalt­et wird, um zu klatschen.

Elenas Texte entstehen häufig in zwei Stufen: einer sogenannte­n HotBrain-Phase und einer Cold-BrainPhase. In welcher Phase sich die 21-Jährige gerade befindet, sei stimmungsa­bhängig, erzählt sie. „Wenn ich ein ‘Hot Brain’ habe, dann brennt mir etwas auf der Seele und die Ideen kommen fast von selbst“, erklärt sie. Solche Phasen passieren entweder gezielt bei einem inspiriere­nden Spaziergan­g durch die Natur oder unterbewus­st durch ein Erlebnis oder durch ihr Umfeld.

Um nichts zu vergessen, schreibt Elena sich Handynotiz­en, die sie dann erst einmal ein paar Tage beiseitele­gt. Während der Cold-BrainPhase kann sie ihre Gedanken rational reflektier­en und arbeitet an Details wie der Formatieru­ng oder Stilmittel­n. „Poesie ist alles für mich. Durch sie finde ich meine Stimme. Ich kann mein Inneres nach außen bringen. Manchmal wirkt es wie Psychother­apie auf mich“, schwärmt sie über das Dichten.

Derzeit macht die Neuburgeri­n ein Auslandsja­hr in London – dank Videoschal­te kann sie dennoch im deutschspr­achigen Raum auftreten. „Auf Englisch zu dichten oder zu schreiben ist ganz anders. Ich dichte rationaler, weil es nicht meine Mutterspra­che ist“, schildert sie. Sie habe sich auch schon über Poetry Slams in England informiert, die wegen Corona aber abgesagt werden mussten.

Ihren Schreibsti­l beschreibt Elena als etwas „zwischen Gesellscha­ftskritik und Zuckerwatt­enpoesie“. Ob Liebesgedi­chte, Naturbesch­reibungen oder politische Texte über Gleichbere­chtigung und mentale Gesundheit: Ihre Lyrik regt immer zum Nachdenken an. „Ich finde es wichtig, die Stimme der Kunst für solche Zwecke zu nutzen.“Dies machte sie sich während des ersten Lockdowns zum Vorteil, als sie ihren eigenen Poesie-Instagram-Kanal erstellte, der bereits jetzt über 1300 Follower hat. Besonders spannend ist dort ihr Format „Einzeiler sucht Zweizeiler“. Hier dürfen Elenas Follower den zweiten Vers ergänzen.

OSoziale Medien Mehr Informatio­nen über Elena Habelt und ihre Texte fin‰ dest du auf Instagram und Youtube

 ?? Foto: Habelt ?? Elena Habelt aus Neuburg macht Kunst aus Worten: Die 21‰jährige Poetry Slammerin bricht mit ihren Texten Tabus wie die psy‰ chische Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en. Bis ein Gedicht fertig ist, durchläuft es zwei Phasen.
Foto: Habelt Elena Habelt aus Neuburg macht Kunst aus Worten: Die 21‰jährige Poetry Slammerin bricht mit ihren Texten Tabus wie die psy‰ chische Gesundheit von Kindern und Jugendlich­en. Bis ein Gedicht fertig ist, durchläuft es zwei Phasen.

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