Verlieben in CoronaZeiten
Der Wunsch nach Zweisamkeit plagt viele Singles. Verlieben ist schon in normalen Zeiten nicht immer einfach, aber während einer Pandemie fast unmöglich. Wie das Herz trotz Corona höherschlagen kann
In der Region 10 wohnen 93.000 Menschen allein. Die LockdownRegeln treffen sie hart. Wie trotz Beschränkungen neue Bekanntschaften entstehen.
Neuburg Die Lockdown-Regeln treffen jeden, besonders hart treffen sie Singles. Die Bundesregierung empfiehlt zurzeit eine feste Kontaktperson aus einem fremden Haushalt. In der Region 10, zu der auch der Landkreis NeuburgSchrobenhausen zählt, wohnen 93.000 Menschen – gewollt und ungewollt – allein. Sie stehen vor der Wahl, ob sie die beste Freundin, den Bruder oder doch ein Elternteil als Kontaktperson wählen. Ein Kennenlernen im Café oder ein erstes Date beim Italiener sind ganz weit weg. Statt Schmetterlinge im Bauch bleibt nur eine quälende Leere.
Dass Singles unter den Beschränkungen leiden, bestätigt die Psychologin Rosmarie Scholz. Sie leitet die Psychologische Beratungsstelle für Ehe-, Familien- und Lebensfragen mit Niederlassungen in Neuburg, Schrobenhausen und Pfaffenhofen. Über 600 Menschen suchen jährlich die kirchliche Einrichtung auf. Im Corona-Jahr seien die Anfragen deutlich gestiegen, sagt Rosmarie Scholz. Einsamkeit sei zwar meist nicht der Hauptgrund, aber oft auch ein Thema der Ratsuchenden.
Dating-Apps bieten die Möglichkeit, trotz Abstandsregeln neue Bekanntschaften zu knüpfen – digitale Nähe bei analoger Distanz. Ein elektronischer Kontakt sei besser, als einsam daheim zu sitzen, sagt Pfarrer Steffen Schiller von der Neuburger Christuskirche. Während der vergangenen Monate habe er im Gespräch mit Gläubigen oft zwischen den Zeilen von deren Einsamkeit und Sehnsucht nach einer Partnerschaft erfahren. DatingApps sind für ihn ein guter Helfer, um neue Leute kennenzulernen, vor allem in Zeiten von Kontaktbeschränkungen.
Vor zehn Jahren traute der evangelische Pfarrer sein erstes Ehepaar, das sich im Netz gefunden hatte. Inzwischen sei das Kennenlernen per Dating-App nichts Außergewöhnliches mehr. Vor allem bei Singles ab seien sie weit verbreitet, sagt der Pfarrer. Egal ob im realen Leben oder im Netz, es gehe immer um Ernsthaftigkeit und Respekt, betont Steffen Schiller. Das einzige Problem an Dating-Apps sieht er darin, dass sich viele hinter schönen Bildern verstecken. „Aber die Ecken und Kanten kommen spätestens beim ersten Treffen heraus. Wahrhaftigkeit zahlt sich hier aus“, rät der Seelsorger den Nutzern.
Die Paartherapeutin Iris Lang aus Neuburg sieht in Tinder, Lovoo und Co. ebenfalls eine gute Alternative zum realen Kennenlernen. Nicht der erste Kontakt sei entscheidend, sondern welche Geschichte das Paar gemeinsam schreibt, sagt Iris Lang. „Es gibt Paare, die haben eine gute Geschichte. Auf die kann es in schweren Zeiten zurückgreifen“, erklärt sie. Ohne diese positiven Erinnerungen ist eine lange, gemeinsame Zukunft schwierig.
Die digitale Partnersuche wird immer beliebter. Knapp die Hälfte ihrer Paare hat sich im Netz gefunden, betont die Therapeutin.„Und ich kenne keinen Single, der es noch nie ausprobiert hat“, ergänzt sie. Iris Lang ist nicht nur Ansprechpartnerin für kriselnde Pärchen, sondern hilft auch Alleinstehenden. In der Single-Beratung begleitet sie durch Liebeskummer oder reflektiert Be30 ziehungsmuster aus früheren Partnerschaften.
Die Psychologin Rosmarie Scholz rät bei Dating-Apps zur Vorsicht. Zwar sei für sie ein elektronischer Kontakt besser als kein Kontakt, aber nicht hinter jedem Profil verstecke sich die große Liebe. „Man muss sich auf Enttäuschungen einstellen“, sagt die Leiterin der Beratungsstelle. Das Chatten verleite dazu, viel mehr über sich zu erzählen als in einem ersten Gespräch.
Statt sich auf die Suche eines Partners zu versteifen, rät sie ihren Klienten, rauszugehen und alte Interessen wieder zu entdecken. Und das selbst in der Corona-Krise. Ein
Spaziergang an der frischen Luft, einem Passanten trotz Maske anlächeln oder ein netter Plausch mit der Bäckereiverkäuferin – all das lasse das Gefühl der Einsamkeit schnell verschwinden, erklärt die Psychologin.
Dass sich eine Partnerschaft ohne Suche entwickelt, sondern einfach passiert, haben Michaela Kunz aus Neuburg und Willi Kovacs aus Rennertshofen am eigenen Leib erfahren. Das Pärchen hat sich im Tanzkurs kennengelernt. Seit 2014 sind die beiden Mittfünfziger ein Paar, zunächst nur auf der Tanzfläche. Sie waren beide bereits verheiratet und haben erwachsene Kinder. Nach der Scheidung wollte Michaela Kunz wieder ihrem alten Hobby, dem Paartanz, nachgehen. „Mir ist es damals nur ums Tanzen gegangen“, erinnert sie sich zurück.
Da sie zu dem Zeitpunkt keinen Partner hatte, bat sie Tanzlehrer Bernhard Gems um Hilfe. Gems spielte Vermittler und stellte sie bereits vor dem Kurs einander vor. „Ein Blind Date auf der Tanzfläche klappt nie“, sagt der Chef der Neuburger Tanzschule Taktgefühl. Seit Jahren vermittelt er alleinstehenden Tanzschülern Partner. Und was auf dem Parkett gut klappt, funktioniert oft auch im Privaten.
Über 30 Paare hat Gems im Laufe der Jahre zusammengebracht. Die Hälfte davon hat sogar geheiratet und Kinder bekommen. „Wir machen uns die Kunden von morgen selbst“, sagt er schmunzelnd. Als analoge Dating-App versteht sich Gems aber nicht, im Mittelpunkt stehe das Tanzen und nicht das Verlieben. „Wir sind keine Partnervermittlung.“
Dating-Apps haben Michaela Kunz und Willi Kovacs nie probiert. „Das ist überhaupt nicht meine Welt“, sagt Michaela Kunz energisch. Viele ihrer jüngeren Kolleginnen stöbern in Apps nach einem Partner. Statt verzweifelt zu suchen, rät sie, einfach rauszugehen. „Sobald man zu suchen aufhört, passiert was.“Davon ist sie überzeugt.