Hongkongs Aktivisten sind müde
Joshua Wong, die Galionsfigur der Freiheitskämpfer, geht ins Gefängnis. Viele seiner Mitstreiter ziehen sich zurück
Peking Er muss erneut hinter Gitter, dieses Mal jedoch aus nahezu freien Stücken: Der prominente Hongkonger Aktivist Joshua Wong hatte bereits im Vorfeld seiner Verhandlung angekündigt, sich schuldig zu bekennen, einen unerlaubten Protest organisiert zu haben. Seine zwei Mitstreiter, die in Japan populäre Agnes Chow und Ivan Lam, haben dies ebenfalls getan. Wenig überraschend nahmen die Behörden die drei Demokratieaktivisten sofort hinter Gitter, wo sie mindestens bis zur Urteilsverkündung am 2. Dezember ausharren müssen. Bei einem Schuldspruch drohen bis zu fünf Jahren Haft.
Der 24-jährige Wong erklärte sein Vorgehen damit, die mediale Aufmerksamkeit nutzen zu wollen, etwa auf das von Peking infiltrierte Justizsystem Hongkongs. „Was wir jetzt machen, ist der Welt den Wert der Freiheit zu erklären“, ließ der Aktivist auf seinem Twitter-Account verkünden.
Chinas Staatsmedien verschwiegen erwartungsgemäß die Motive der führenden Köpfe der Protestbewegung. Auf den sozialen Medien wird stattdessen darüber spekuliert, dass sich Joshua Wong mit dem Schuldspruch auf moralisch unlauterem Wege eine geringere Haftstrafe erschleichen möchte. „Wenn sie keinen Ärger mehr machen können, dann versuchen sie Aufmerksamkeit zu erhaschen, indem sie ins Gefängnis gehen“, zitiert die Global Times, linientreues Sprachrohr der Kommunistischen Partei, einen Experten. Das ist an Zynismus kaum zu überbieten. In einem Punkt jedoch trifft die These einen wahren Kern: Wong spielt zwar nach wie vor eine wichtige Rolle für die Protestbewegung, aber der „Personenkult“um ihn – für den er sicher nicht verantwortlich ist, den er aber geschickt für sich zu nutzen weiß – hat in den letzten Jahren überhandgenommen. Die Heldengeschichte des einen männlichen Widerstandskämpfers übersieht dabei nicht nur, dass die Protestbewegung ohne Führungsriege auskommen möchte. Mehr noch werden dadurch die unzähligen weiblichen Demonstranten in den Schatten gestellt, die innerhalb der Bewegung eine zunehmend wichtige Rolle spielen.
Die jetzige Zäsur ist ein guter Zeitpunkt für eine Bestandsaufnahme im prodemokratischen Lager. „Der Drops ist gelutscht“, sagte unlängst ein europäischer Diplomat in Peking nach der Einführung des Nationalen Sicherheitsgesetzes. Spätestens mit dem Rücktritt der politischen Opposition von Mitte November lässt sich der etwas inflationär verwendete Niedergang des alten Hongkongs wohl zu Recht konstatieren. Resignation ist die vorherrschende Stimmung innerhalb der Protestbewegung. Manche Aktivisten ziehen sich ins Private zurück. Einige wenige hingegen werden wohl das andere Extrem wählen und sich im Untergrund radikalisieren. Ihr Frust lässt sich nicht nur mit dem Mangel an Demokratie erklären. Es geht auch um wirtschaftliche Aspekte. Mietwohnungen ähneln oftmals eher Schuhkartons, Parkplätze werden nicht selten für umgerechnet mehrere hunderttausend Euro verkauft. Nirgendwo auf der Welt gibt die Bevölkerung einen größeren Teil ihres Einkommens für ihre Unterkunft aus. Gleichzeitig liegt der Mindestlohn bei nur knapp über vier Euro. Hier kommen die ökonomische und die politische Misere zusammen. Denn es sind vor allem die Prinzlinge der chinesischen Parteiund Unternehmenselite, die in Hongkong zuhauf Luxuswohnungen aufgekauft und damit die Situation für die lokale Bevölkerung massiv verschärft haben.