MAN will das Land fit für die Energiewende machen
Es ist eine Kunst, den schwankenden Strom aus unzähligen Windrädern, Solaranlagen, Gaskraftwerken und anderem mehr zu einer stabilen Stromversorgung zu verknüpfen. In Augsburg ist man zusammen mit Wissenschaftlern kurz davor, das Problem zu lösen
Augsburg Die Sonne scheint nicht immer, der Wind bläst mal stärker, mal schwächer. Dass die Stromerzeugung aus erneuerbaren Energien schwankt, gilt als Herausforderung der Energiewende. Klassische Kraftwerke oder Stromspeicher müssen dann die Lücken füllen. MAN Energy Solutions mit Sitz in Augsburg erprobt derzeit, wie unter diesen schwierigen Bedingungen eine stabile Energieversorgung möglich ist und die Kosten zugleich im Rahmen bleiben. Ziel ist ein intelligentes Energiemanagementsystem, das zu einem entscheidenden Bauteil für die Energiewende wird. Mit an Bord sind Informatiker des Softwarespezialisten Xitaso und Wissenschaftler der FraunhoferProjektgruppe Wirtschaftsinformatik, die an die Uni Augsburg, die Hochschule Augsburg und die Uni Bayreuth angedockt ist.
Im MAN-Museum in Augsburg ist der erste Versuchsmotor zu sehen, den Rudolf Diesel in den Jahren 1893 – 95 in Augsburg baute und testete. Hinter dem Gebäude, in einer unscheinbaren Seitenstraße, entsteht heute vielleicht ähnlich Innovatives wie damals. In den vergangenen Monaten ist dort ein kleines Abbild der künftigen Energiewelt entstanden.
Auf einem Hallendach erzeugt eine Photovoltaikanlage Strom. In einem Container brummt ein Erdgasmotor – groß genug, um einen mittleren Produktionsbetrieb oder ein Wohnquartier mit Energie zu versorgen. In einem weiteren Container befinden sich Batterien, dicht an dicht, die Strom liefern, wenn er im Netz knapp ist. Es ist ein Mix an
Energiequellen und Speichern, wie man ihn immer häufiger findet. Erneuerbare Energien gelten als preiswert und umweltschonend, ihre Bedeutung steigt im Kampf gegen den Klimawandel. Europa beispielsweise will den Windstrom von Anlagen vor den Küsten binnen zehn Jahren verfünffachen.
Der Ausbau der erneuerbaren Energien erfordert allerdings neue technische Lösungen. Denn es muss sichergestellt werden, dass die verschiedenen größeren und kleineren Energiequellen genau so viel Strom liefern, wie im Augenblick benötigt wird. „Wir sehen das intelligente Zusammenspiel verschiedener Energiequellen als kritischen Punkt und große Herausforderung der Zukunft“, sagt Michael Raila, der das Projekt Illumine bei MAN Energy Solutions leitet.
Herzstück des Projekts ist also nicht der kleine Kraftwerkspark, der auf dem MAN-Gelände entstanden ist, sondern eine Software. Diese stimmt das Stromangebot auf die Stromnachfrage ab. Über die Plattform wird zum Beispiel der Gasmotor an- und ausgeschaltet, Strom wird in Batterien gespeichert oder von dort bezogen. Ziel ist es in erster Linie, das Netz stabil zu halten, erklärt Raila. Denn die Folgen eines Stromausfalls sind in Fabriken oder den betroffenen Regionen immens. „Die benötigte Software-Plattform muss in der Lage sein, den Energiebedarf durch eine intelligente Steuerung der angebundenen Stromerzeuger und -verbraucher flexibel decken zu können“, erläutert Professor Björn Häckel von der Hochschule Augsburg, der das Projekt zusammen mit Professor Hans Ulrich Buhl seitens Fraunhofer leitet.
Eine stabile Stromversorgung unter den Bedingungen der Energiewende aufrecht zu erhalten, ist nicht so einfach. Bereits wenn sich Wolken vor die Sonne schieben, sinkt die Stromerzeugung einer Photovoltaikanlage deutlich. Das System, das in Augsburg derzeit getestet wird, arbeitet deshalb mit Wetterdaten. Es kann prognostizieren, wie viel wie wenig Strom die Solaranlage in der nächsten Viertelstunde liefern wird. Falls nötig, können rechtzeitig andere Energiequellen zugeschaltet werden.
„Unser zweites Ziel ist es, die Energiekosten zu minimieren“, sagt Raila, sodass dem Kunden eine möglichst kostenoptimale Betriebsweise der Anlage gelingt. Genutzt werden soll stets die Energiequelle, die im Moment am günstigsten ist. Es habe zum Beispiel keinen Sinn, in kurzen Abständen einen Gasmotor hoch- und runterzufahren, weil Wolkenfelder über den Himmel ziehen und der Solarstrom gerade schwankt. Der Verschleiß wäre zu groß, neue Kosten würden entstehen. Ein intelligentes System eroder kennt dies und greift dann auf Strom aus den Batteriespeichern zurück oder prüft, ob Strom aus dem Netz nicht billiger wäre.
Für die Experten ist das System nach vielen Seiten erweiterbar: „Das Energiemanagementsystem könnte zum Beispiel auch prüfen, ob aktuell die Produktion in einem Werk gedrosselt werden sollte, weil die Stromkosten gerade sehr hoch sind“, sagt Xitaso-Experte Dominik Spaun. Denkbar wäre es auch, das System so zu programmieren, dass nicht nur das Netz stabil bleibt, sondern auch für den Klimaschutz die CO2-Emissionen minimiert werden, fügt Christian Wiethe von der Fraunhofer-Projektgruppe Wirtschaftsinformatik an.
Um solch ein intelligentes Energiemanagement zu entwickeln, arbeiten in Augsburg die Partner aus Wissenschaft und Praxis eng zusammen. An der Hochschule Augsburg ist man überzeugt, dass das Projekt Strahlkraft weit über die Region Augsburg hinaus hat. Der Freistaat Bayern fördert das seit 2018 laufende Projekt mit 1,4 Millionen Euro. Bis zum Frühjahr 2021 haben die Entwickler Zeit, auf dem MAN-Gelände ihr Energiemanagementsystem zu testen. Im Verlauf des nächsten Jahres soll es dann reif für den Markt sein.
In sich abgeschlossene Netze mit vielen Kraftwerksquellen – von Großmotoren zur Stromerzeugung über Windräder bis Solaranlagen – gibt es heute bereits auf vielen Urlaubsinseln. Dies wäre ein Einsatzgebiet für die Entwicklung aus Augsburg, sagt MAN-Experte Raila. Auch große, abgelegene Industrieanlagen, zum Beispiel Minen, kommen als Kunden infrage.