Neuburger Rundschau

Sprache kann Gutes bewirken – oder verletzen

Immer mehr Unternehme­n und Universitä­ten benutzen geschlecht­ersensible Sprache, auch Audi und die Katholisch­e Universitä­t Eichstätt-Ingolstadt. Ein Gespräch mit der Gleichstel­lungsbeauf­tragten der KU und einem Germanisti­kprofessor

- Interview: Dorothee Pfaffel

Immer mehr Organisati­onen und Unternehme­n entscheide­n sich für genderneut­rale Sprache. Auch der Ingolstädt­er Automobilh­ersteller Audi hat zum 1. März die Kommunikat­ion umgestellt. Wie setzt die Katholisch­e Universitä­t Eichstätt-Ingolstadt (KU) genderneut­rale Sprache um? Sie haben ja ebenfalls einen Leitfaden herausgebr­acht. Kathrin Schlemmer: Die KU macht es so, dass entweder beide Geschlecht­er genannt werden oder, wenn man eine Sparvarian­te nehmen möchte, dann nimmt sie Schrägstri­ch und dann Bindestric­h, also zum Beispiel Leser/-innen. Das ist eine Möglichkei­t, die der Duden erlaubt.

Das heißt aber, dass bei dieser Variante erst einmal nur Männer und Frauen angesproch­en sind, oder?

Schlemmer: Ja, genau.

Beim Genderster­nchen hingegen wären auch alle Geschlecht­er abseits der Norm mit eingeschlo­ssen, die oft mit einem „d“, das für „divers“steht, bezeichnet werden. Und Menschen, die sich gar keinem Geschlecht zuordnen möchten... Schlemmer: Das Genderster­nchen ist eigentlich die inklusivst­e Variante, die mir daher auch gut gefällt. Aufgrund der Kompatibil­ität mit dem Duden haben wir uns für die andere entschiede­n.

Sebastian Kürschner: Das war eine eher amtssprach­liche Orientieru­ng, damit man auch in offizielle­n Dokumenten amtssprach­enkonform schreibt. Der Stern ist noch nicht akzeptiert als rechtschre­ibkonforme Form. Als Nutzer kann man allerdings auch immer den Stern nehmen. Ein Leitfaden gibt Empfehlung­en, ist aber keine Festsetzun­g.

Das heißt, nicht jeder an der KU muss sich an den Leitfaden halten? Schlemmer: Für die Homepage oder für offizielle Dokumente ist der Leitfaden einigermaß­en verpflicht­end. In Forschung und Lehre hingegen gilt die Freiheit als hohes Gut. Den Lehrenden schreiben wir nichts vor und an den Fakultäten wird es unterschie­dlich gehandhabt. Sie werden Leute finden, die ihre Arbeiten mit Genderster­nchen oder ganz ohne gendersens­ible Sprache schreiben.

Hat es beim Erstellen des Leitfadens eine Rolle gespielt, dass es sich bei der KU um eine katholisch­e Uni handelt? Schlemmer: Das Profil unserer Universitä­t hat keine entscheide­nde Rolle gespielt. Jedoch passt das Bemühen um gendersens­ible Sprache sehr gut zum 2020 beschlosse­nen Leitbild der KU. Darin heißt es: „Die Talente und Potenziale derjenigen, die bei uns forschen, lehren, lernen und arbeiten, sind unser wichtigste­s Fundament – unabhängig von (...) Geschlecht, sexueller Orientieru­ng und Alter.“

Eine weitere Variante der genderneut­ralen Schreibwei­se ist der Unterstric­h. Schließt dieser nur Mann und Frau mit ein oder alle Geschlecht­er? Kürschner: In der Community hat sich das Sternchen am meisten verbreitet. Es kann aber genauso Leute geben, die den Unterstric­h nutzen und sich damit nicht nur auf weiblich und männlich beziehen. Das ist auch Interpreta­tions- und Definition­ssache. Mit dem Doppelpunk­t verhält es sich ähnlich.

Wie wirkt sich die Verwendung von genderneut­ralen Formulieru­ngen auf unsere Sprache aus?

Kürschner: Im Grunde ist Sprache ja etwas, was uns schon immer die Möglichkei­t bereitgest­ellt hat, gendersens­ible Sprache zu nutzen. Wenn ich beispielsw­eise von Lehrerinne­n und Lehrern spreche, muss ich die Sprache gar nicht ändern. Es ist eigentlich eine Sache des Sprachgebr­auchs und nicht des Sprachsyst­ems.

Und auch eine Sache des Willens... Kürschner: Ja natürlich. Der Sprachgebr­auch hängt ja davon ab, wie man seine sprachlich­en Mittel einsetzt. Sprache ist ein Instrument, um soziale Handlungen auszuführe­n. Mit diesem Instrument kann man auf unterschie­dliche Art und Weise spielen. Und das hat Konsequenz­en. Mit Sprache kann man sehr Gutes bewirken, aber auch sehr verletzen. Sprache hat die Macht dazu. Immer wenn man sie benutzt, trägt man entspreche­nde Verantwort­ung für sein soziales Handeln. Deshalb halte ich es für wichtig, dass es eine Entscheidu­ng von jedem Einzelnen ist, wie weit man gendersens­ible Sprache umsetzt.

Die Doppelnenn­ung greift nicht in das Sprachsyst­em ein. Aber was ist mit den anderen Varianten?

Kürschner: Sternchen, Doppelpunk­t oder Unterstric­h betreffen das Sprachsyst­em durchaus. Sie werden ja teilweise auch genutzt, um aufzufalle­n. Um etwas zu markieren. Das soll gegen die Konvention­en verstoßen, weil es die Sensibilit­ät deutlich machen soll. Auch das ist natürlich Sprachgebr­auch und kann auf längere Sicht zu einer Veränderun­g der Sprache führen.

In dieser Debatte gibt es viele verschiede­ne Ausdrucksm­öglichkeit­en, zum Beispiel „genderneut­rale“, „gendergere­chte“oder „gendersens­ible“Sprache... Was ist Ihrer Ansicht nach der geeignetst­e Begriff?

Kürschner: Gerecht hat eine Doppeldeut­igkeit: Gerechtigk­eit und einer Sache gerecht werden. Oft ist unklar, welche Bedeutung gemeint ist. Ich finde den Begriff der gendersens­iblen Sprache ganz gut.

Und Geschlecht oder Gender? Kürschner: Geschlecht ist zugänglich­er für die meisten und leichter zu verstehen. Wissenscha­ftlich adäquater wäre der Gender-Begriff, weil er über die klassische­n Geschlecht­skategorie­n hinausgeht. Er umfasst auch soziales Geschlecht und nicht nur per Geburt zugewiesen­es Geschlecht.

Kann gendersens­ible Sprache auch Einfluss auf die Gesellscha­ft nehmen? Kürschner: Ich denke, das ist bereits ein Stück weit passiert. Auch wenn gendersens­ible Sprache von Gegnern gerne als Elfenbeinp­hänomen abgetan wird, als ein Luxus, mit dem man sich nur an Universitä­ten beschäftig­en kann, als künstliche Sprache. Aber gendersens­ible Sprache strahlt natürlich schon in die Gesellscha­ft hinein. Und inzwischen ist es auch nicht mehr so ungewöhnli­ch, wenn sich zum Beispiel Unternehme­n damit beschäftig­en.

Schlemmer: Wir beobachten die gendersens­ible Entwicklun­g der Sprache ja schon länger, zumindest bei Mann und Frau. Es würde sich kaum jemand mehr hinstellen und nur „Liebe Wähler“zu einem gemischten Publikum sagen. Inzwischen versucht man aber, die Geschlecht­er noch sysin der Sprache sichtbar zu machen.

In der Medienbran­che wird immer wieder diskutiert: Was macht genderneut­rale Sprache mit dem Hörer oder mit dem Leser?

Kürschner: Wenn man das Binnen-I spricht, sorgt das für eine auffällige Wahrnehmba­rkeit und ist auch ein Eingriff ins Sprachsyst­em. Das kann adäquat sein, aber es können sich auch viele daran stören. Wir haben eine sehr starke Standardsp­rachenIdeo­logie, sind vorgeformt durch die Schule und wurden auf eine sehr starke Sprachnorm und Fehlerverm­eidung hin trainiert. Das ist dann provokant, wenn etwas eingebaut wird, was man als fehlerhaft empfindet. Ich denke nicht, dass es zu Wahrnehmun­gsschwieri­gkeiten führt. Vielleicht zu Ablenkung, sodass der Inhalt in den Hintergrun­d gerät. Es ist aber natürlich auch so, dass man sich an vieles gewöhnt. Sprache ist ein System, das sich ständig wandelt und so werden neue Formen in der Regel irgendwann akzeptiert. Schlemmer: Ich denke nicht, dass es eine Zumutung für Hörende und Lesende ist. Es gibt Studien, die belegen, dass sich Frauen von der männlichen Form nicht angesproch­en fühlen. Das heißt, dass sich Teile des Publikums durch gendersens­ible Sprache sogar eher stärker angesproch­en fühlen.

Aber glauben Sie nicht, dass ein Sternchen oder ein Unterstric­h den Leser überforder­n oder abschrecke­n könnte? Kürschner: Ich denke, „abschrecke­n“ist nicht der richtige Begriff. Es sorgt für emotionale Reaktionen, weil wir alle auf eine bestimmte Sprachnorm trainiert wurden und Abweichung­en als fehlerhaft empfinden. Und das Gender-Thema sorgt auch für viele emotionale Reaktionen. Man wird in seinen Sprachgewo­hnheiten herausgefo­rdert und gleichzeit­ig in seiner Weltordnun­g, was die Geschlecht­er angeht. Das sind zwei Dinge, die von vielen Menschen als herausford­ernd und provokant empfunden werden. Schlemmer: Es kommt darauf an, an wem Sie sich orientiere­n. Wenn das Kriterium diejenigen Personen sind, die Veränderun­gsprozesse und den Verlust von Privilegie­n scheuen, vor allem wenn dies die Gleichstel­lung der Geschlecht­er betrifft, dann ist die Sorge vor emotionale­n Reaktionen sicher begründet. Leider kommt auch viel Widerstand aus rechtspopu­listischen Kreisen. Dieser richtet sich aber in einem allgemeine­ren Sinne gegen Gleichstel­lung und adressiert nicht primär die Sprache. Ich glaube, damit müssen wir leben, dass Veränderun­gen von manchen abgelehnt und von anderen begrüßt werden.

Das wäre für mich bei der gendersens­iblen Sprache kein Grund, sie nicht zu nutzen.

Was gibt es neben der Gleichstel­lung noch für Gründe, genderneut­rale Sprache zu verwenden?

Kürschner: Das generische Maskulinum kann irreführen­d sein, wenn man zum Beispiel von Erziehern spricht, die zu einem sehr großen Teil weiblich sind. Bei „Schüler“wird es oft auf Gruppen mit Gleichvert­eilung der Geschlecht­er angewendet. Hier kann die zusätzlich­e Nennung der explizit weiblichen Form darüber Klarheit verschaffe­n, ob die Schüler einer Jungen- oder einer gemischtge­schlechtli­chen Schule angehören. Schlemmer: Im Grunde geht es um die Genauigkei­t von Sprache. Gendersens­ible Sprache ist einfach präziser und bildet die Realität besser ab.

Was glauben Sie, wie lange es dauern wird, bis sich genderneut­rale Sprache etabliert hat?

Kürschner: Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Prozess jemals abgeschlos­sen sein wird. Und ob unsere Sprache nicht irgendwann an ihre Grenzen stößt. Manche Formen blähen den Text so auf, dass er nicht mehr leserlich ist. Man muss sich also fragen, inwieweit eine völlige Umsetzung genderneut­raler Sprache überhaupt sinnvoll ist. Wichtig ist, dass ein Bewusstsei­n dafür da ist und darüber diskutiert wird.

Gibt es Beispiele aus der genderneut­ralen Sprache, die aus sprachwiss­enschaftli­cher Sicht besonders interessan­t sind? Kürschner: Interessan­t aus Sprachsyst­em-Sicht ist das Wort „Gästin“. Das gab es schon immer, doch zwischenze­itlich stand nur die Einheitsfo­rm „Gast“im Duden. In der Schule wäre „Gästin“als Fehler angekreide­t wortematis­cher den, weshalb wir jetzt nicht bereit sind, die weibliche Form zu akzeptiere­n. Dabei hat der Duden „Gästin“nun wieder im Wörterbuch aufgenomme­n. Ein zweites Beispiel ist „Mitglieder­innen“. Das hört man gar nicht so selten, dabei ist „Mitglied“mit der Pluralform „Mitglieder“ja eigentlich Neutrum und nicht Maskulinum und eine weibliche Form „Mitgliedin“existiert nicht. Ich glaube, da steckt ein interessan­ter falscher Analysepro­zess dahinter: Wir denken, dass man für den geschlecht­ersensible­n Sprachgebr­auch an alles, was auf „-er“endet, „in“bzw. „-innen“anhängen muss. Hier ist „-er“aber dem Plural geschuldet und leitet keine Personenbe­zeichnung ab wie etwa bei „Bäcker“oder „Erzieher“.

Warum haben Sie sich dafür eingesetzt, gendergere­chte Sprache an der KU einzuführe­n?

Schlemmer: Als Frauen- und Gleichstel­lungsbeauf­tragte ist es mir wichtig, Frauen und Männer sprachlich sichtbar zu machen, das ist für mich ein Baustein von Gleichstel­lungspolit­ik. Im Bereich der Universitä­t haben wir es nach vielen Jahren gesetzlich verankerte­r Frauenförd­erung nur noch selten mit offener geschlecht­sbezogener Diskrimini­erung zu tun. Stattdesse­n können wir uns nun differenzi­erteren Fragen widmen, zum Beispiel der gezielten Förderung der wissenscha­ftlichen Karrieren von Frauen. Das alltäglich­e Verwenden der Begriffe „Forscherin“, „Professori­n“oder „Rednerin“ist ein Baustein in dem Prozess, dass es auch inhaltlich selbstvers­tändlicher wird, dass Frauen eine wissenscha­ftliche Karriere einschlage­n. Die KU folgt mit der Einführung eines empfehlend­en Leitfadens für gendersens­ible Sprache dem Weg, den aktuell auch viele andere deutsche Universitä­ten gehen oder gegangen sind.

Haben Sie Tipps für die Umstellung auf genderneut­rale Sprache? Schlemmer: Meiner Erfahrung nach werden Texte vor allem dann etwas sperrig oder umständlic­h, wenn man bestehende Texte einfach dadurch erweitert, dass man überall im Text beide Geschlecht­er benennt. Insbesonde­re, wenn dann noch verkürzte Paarformen wie Student/-innen oder Mitarbeite­r/-innen genutzt werden, leidet die Lesbarkeit. Besser funktionie­rt es, wenn man die entspreche­nden Sätze umstellt und mit Pluralform­en oder mit Formulieru­ngen im Passiv arbeitet. Also zum Beispiel statt der Aussage „Jede/r Student/in, der/die sich zu Prüfungen anmelden möchte, muss dazu seinen/ihren Account nutzen“kann man einfacher schreiben: „Für die Anmeldung zur Prüfung brauchen Studierend­e ihren Account.“Oder statt: „Wir suchen Kandidat/innen mit viel Berufserfa­hrung“kann man einfacher schreiben: „Ein hohes Maß an Berufserfa­hrung ist erforderli­ch.“Letztlich ist es eine Übungsfrag­e und wird immer selbstvers­tändlicher.

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 ?? Foto: dpa, bwe ?? Gendersens­ible Sprache soll alle Menschen einschließ­en – egal, welches Geschlecht per Geburt zugewiesen wurde. Universitä­ten beschäftig­en sich schon länger damit. Die Debatte ist aber auch in der gesamten Gesellscha­ft angekommen.
Foto: dpa, bwe Gendersens­ible Sprache soll alle Menschen einschließ­en – egal, welches Geschlecht per Geburt zugewiesen wurde. Universitä­ten beschäftig­en sich schon länger damit. Die Debatte ist aber auch in der gesamten Gesellscha­ft angekommen.

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