„Nicht der Fußball, den wir alle lieben“
Von einer Entfremdung der Fans ist die Rede, von zu viel Kommerz. Michael Birgmann leitet den FC-Bayern-Fanclub Bierstüberl in Karlshuld, Wolfgang Czerny den des 1. FC Nürnberg in Rennertshofen. Sie sprechen über Geisterspiele und die Entwicklung des Spor
Rennertshofen/Karlshuld Knapp 520 Mitglieder zählt der Fanclub „Bierstüberl“des FC Bayern München in Karlshuld. 150 sind es beim Fanclub des 1. FC Nürnberg in Rennertshofen. Die Neuburger Rundschau hat sich mit den beiden Vorsitzenden Michael Birgmann (FC Bayern) und Wolfgang Czerny (1. FC Nürnberg) über die aktuelle Lage des Profifußballs aus Fansicht, einer möglichen Entfremdung und Auswirkungen für die Zukunft unterhalten.
Der Profifußball darf spielen, aber ohne Zuschauer. Haben Sie sich schon an die Geisterspiele gewöhnt? Wolfgang Czerny: Nein. An die Geisterspiele werde ich mich nie gewöhnen, weil einfach immer etwas fehlt. Birgmann: Nicht wirklich. Fußball ohne Fans und Stimmung hat nichts mit dem Fußball zu tun, den wir erlebt haben, kennen und lieben. Daher wird man sich nicht daran gewöhnen.
Was vermissen Sie bei Geisterspielen am meisten?
Czerny: Die Atmosphäre, das Gemeinschaftsgefühl und Miteinander. Wenn man die Trainer und Spieler bei den Fernsehübertragungen plärren hört, meint man ja beinahe, man ist auf dem Sportplatz in der Kreisliga oder Kreisklasse.
Birgmann: Für mich bedeutet Fußball Freunde treffen, Siege feiern, die Mannschaft anfeuern und gemeinsam über Niederlagen zu debattieren. Das alles fehlt.
Wie sind Sie denn zum Fußball und Ihrem Verein gekommen?
Czerny: Mich hat mein Vater mit zum Club genommen, als ich zwölf Jahre alt war. Jetzt bin ich 49, was 37 Jahre Leiden mit dem 1. FC Nürnberg bedeutet (lacht).
Birgmann: Ich bin seit dem Kindergarten Bayern-Fan. 2010 habe ich angefangen, aktiv zum Fußball zu fahren und möglichst bei jedem Bayern-Spiel im Stadion zu sein.
Wie oft waren sie beziehungsweise Ihr Fanclub in Zeiten vor Corona im Stadion?
Czerny: Wir waren sehr oft im Stadion, sowohl bei Heim- als auch Auswärtsspielen. Es gibt kaum ein Stadion in Deutschland, in dem wir noch nicht waren.
Birgmann: Wir sind Alles-Fahrer.
Ziel ist es, jedes Spiel live im Stadion zu sehen. Unser Fanclub ist bei jedem Heimspiel mit 40 oder 50 Leuten dabei. Hin und wieder sind wir auch bei Auswärtsspielen. Beim FC Bayern gibt es wegen der Kartennachfrage aber leider nicht die Chance, zu jeder Auswärtspartie zu fahren.
Sind bei Ihnen aktuell überhaupt noch die gleichen Emotionen wie zuvor vorhanden?
Birgmann: Die Emotionen sind schon noch da. Dennoch würde ich sagen, dass sie geringer sind als früher. Wir haben uns natürlich riesig über den Titelgewinn in der Champions League gefreut. Andererseits denkt man sich, normalerweise wäre ich im Stadion gewesen.
Czerny: Ich fiebere genauso mit. Sogar noch etwas mehr, weil sich der Club aktuell mal wieder in einer prekären Situation befindet. Auch die Relegation gegen Ingolstadt in der vorigen Saison hat viele Nerven gekostet.
Wie sieht bei Ihnen derzeit ein Fußballabend oder -nachmittag aus? Czerny: Wir schauen natürlich jedes Club-Spiel an, schreiben während der Partie in unserer WhatsAppGruppe und tauschen uns aus. Die Bundesligakonferenz schaue ich mir meist auch noch an. Aber ich muss nicht mehr jedes Spiel sehen, was sich im Gegensatz zu früher verändert hat.
Birgmann: Jeder schaut allein zu Hause. Nach einem Bayern-Sieg wie jüngst gegen Dortmund wird der Sieg in einem Video-Chat gefeiert.
Lassen Sie uns allgemein über die Lage sprechen. In der Gesellschaft wird immer mal wieder die Sonderstellung des Fußballs thematisiert. Wie sehen Sie das?
Birgmann: Puh, eigentlich bin ich schon froh, dass gespielt wird. Auf der anderen Seite darf man selbst nichts und die dürfen, etwas übertrieben gesagt, alles.
Czerny: Das spielt für mich keine Rolle. Die Spieler sind in einer BlaUnser se, werden oft getestet und dürfen sich fast nur zwischen Wohnung und Trainingsgelände bewegen. Die Spieler sind eher zu bemitleiden.
Viele Vereine der 1. und 2. Liga wären von einer Insolvenz betroffen gewesen, wenn im vergangenen Jahr nicht gespielt und keine Fernsehgelder geflossen wären...
Czerny: Vor Corona hat der Schein getrügt, die Maschinerie ist gelaufen. Jetzt kommt die Wahrheit ans Licht, wie es bei den Vereinen wirklich aussieht und viele ums Überleben kämpfen. Das ist zuvor verborgen geblieben.
Birgmann: Daran merkt man, wie weit sich der Fußball von der Realität entfernt hat. Innerhalb einer halben Saison Pleite gehen zu können, geht als Konzern eigentlich nicht. Und ein Profiklub ist nichts anderes. Dann kann etwas nicht stimmen.
Derzeit ein großes Thema ist die Verbindung des Fußballs zu Katar... Czerny: Da läuft etwas aus dem Ruder. Die Katar-WM ist Wahnsinn, wenn man hört, dass Zwangsarbeiter eingesetzt werden und es Tore beim Stadionbau gegeben hat. Das erschließt sich für mich alles nicht, man sieht, dass nur das Geld eine Rolle spielt. Auch die EM im Sommer wird meiner Meinung nach nicht in mehreren Ländern stattfinden können.
Birgmann: Die Beziehung der aktiven Fans des FC Bayern zum Thema Katar ist ein heikles Thema. Einerseits tritt der FC Bayern für Menschenrechte und gegen Rassismus ein und gleichzeitig lässt er sich aus Katar sponsern. Auch die KlubWM hätte man nicht unbedingt dort ausspielen müssen.
Glauben sie, dass es zu einer Entfremdung der Fans zum Fußball kommen kann?
Czerny: Das glaube ich nicht. Ich denke, dass es eher zu einer Entfremdung gekommen wäre, wenn aktuell nicht gespielt werden würde. Birgmann: Der Profifußball hat sich doch schon lange von der Basis entfernt. Zumindest bei den großen Vereinen. Jeder sieht, dass hauptsächlich wegen des Geldes gespielt wird.
Erhoffen Sie sich nach Corona eine Veränderung?
Czerny: Ja, vor allem, dass sinnvoller gewirtschaftet wird und bei Spielertransfers keine Unsummen mehr bezahlt werden. Über 100 Millionen Euro für einen Spieler zu zahlen, steht in keinem Verhältnis mehr. Der Fußball lebt in einer Parallelwelt. Ich hoffe, dass diese immensen Summen durch Corona nach unten gedrückt werden.
Birgmann: Veränderungen sind eine Illusion. Derzeit wird gesprochen, dass man sich wieder der Basis annähern muss. Es wurden sogar Gehaltsobergrenzen ins Spiel gebracht. Das ist aus meiner Sicht aktuelles Gelaber und wird dann wieder vergessen. Es bleibt leider alles wie vorher.
Werden die Menschen wieder ins Stadion gehen, wenn es wieder erlaubt ist? Birgmann: Beim FC Bayern habe ich gemerkt, dass man schon vor der Corona-Zeit leichter an Karten gekommen ist im Vergleich zu vor fünf oder sechs Jahren. Bei unserem Fanclub ist die Nachfrage auch nur bei Topspielen extrem. Ich glaube, dass zunächst die Stadien wieder voll sein werden, die Zahlen dann wahrscheinlich ziemlich abfallen werden. Das Interesse ist insgesamt einfach geringer geworden.
Czerny: Ich sehe das anders. Am Anfang werden die Leute vorsichtig sein, mit der Zeit werden sie wieder ins Stadion strömen. Die Menschen gehen gerne ins Stadion, vertreiben sich so die Zeit. Das macht mich zuversichtlich.
Wird die Leidenschaft für einen Verein also das Negative übersteigern? Czerny: Der Club ist für uns eine Institution, wie eine Religion. In Nürnberg gibt es auch keine Überbezahlung der Profis. Daher wird das Spiel im Mittelpunkt stehen, das Drumherum überbieten und die Leidenschaft bleiben. Dafür lieben wir diesen Sport einfach zu sehr. Birgmann: Das ist in der Tat so. Irgendwie ist man Fan, die Emotionen werden immer da sein, egal wie sich alles entwickelt. Ohnehin muss man sagen, dass es bei den Ansprüchen des FC Bayern natürlich ohne Kommerz nicht geht.