Die PlattenBewegung
In digitalen Zeiten wird nicht nur fleißig Musik gestreamt. Gerade in der Pandemie holt mancher auch seine Plattensammlung aus dem Keller. In den USA läuft Vinyl der CD schon den Rang ab. Nun plant Dual von Landsberg aus ein Comeback als Hersteller von Qu
Landsberg/Mistelbach Horst, wie er sich in einem Dual-PlattenspielerForum nennt, hat eine Frage an die Vinyl-Gemeinschaft. Er lese hier dauernd den Begriff „Pimpel“und könne gar nichts damit anfangen. Sein Hilferuf an die Expertenschar lautet: „Kann mich mal einer aufklären. Ich möchte nicht in Unwissenheit sterben.“Holgi will das verhindern. Er heißt Horst zunächst „im Reich der Bekloppten willkommen, die auch im 21. Jahrhundert immer noch der in der Rillenform gepressten Musik lauschen“.
Doch was ist ein Steuer-Pimpel? Holgi doziert: Dabei handele es sich um eine kleine Kunststoffkappe, die einen Durchmesser von etwa vier Millimetern aufweise. Das Bauteil arbeite als Rutschkupplung zwischen dem Haupthebel und dem Tonarm.
Aber warum drehen sich in Plattenspieler-Foren derart viele Gespräche intensiv um ein lächerlich kleines Teil? Das hat auch mit Corona und dem sich in Krisenzeiten verstärkenden Plattenspieler-Boom zu tun. Da Menschen den Großteil der Zeit zu Hause verbringen und etwas mit sich anfangen müssen, räumt mancher aus Langeweile den Keller auf, stößt auf alte VinylScheiben und den dazu passenden Plattenspieler. Das Gerät soll wieder laufen, doch es tut oft nicht, was es soll. So funktioniert, wie auch Holgi zu berichten weiß, die Automatik häufig mangelhaft. Der Pimpel ist meist der Schuldige. Daher hebt nach dem Druck der Taste „Start“der Tonarm etwa des antiken, einstigen deutschen Spitzenmodells Dual 731 Q nicht ab.
Wer nach Ursachen des Problems fahndet, landet nicht nur beim kundigen Holgi, sondern einem Mann namens Dualfred, der in Plattenspielerkreisen Kultstatus genießt. Dualfred heißt im wirklichen Leben Alfred, oder kurz Fred Langer. Der 55-Jährige verfügt nicht nur über ein umfangreiches Dual-Ersatzteillager, eine Sammlung von mehr als 150 Plattenspielern und eine entsprechende Pimpel-Kompetenz. Dualfred arbeitet an einem viel größeren Projekt als Chefingenieur. Langer hilft mit, Dual-Plattenspieler nach einer wechselvollen Karriere wieder zu einer weltweit angesehenen Marke auch für das mittlere und gehobene Segment zu formen. Daher entwirft der gelernte Werkzeugmacher und Diplom-Ingenieur in Kiefersfelden an der bayerischösterreichischen Grenze neue Plattenspieler, die hohen Qualitätsansprüchen genügen sollen.
Bislang werden unter der Marke Dual von dem in Landsberg am Lech sitzenden Unternehmen neben Internet- und DAB+-Radios vor allem preisgünstige Einsteiger-Plattenspieler verkauft. Doch nun orientieren sich Langer und der neue Mehrheitseigentümer der Firma, Josef „Sepp“Zellner, an DualGlanzzeiten, als die Plattenspieler aus dem Schwarzwald den deutschen Markt beherrscht haben und in den USA begehrt waren. Amerikanische Soldaten brachten die Dual-Apparate mit in ihre Heimat und machten Werbung für sie.
Bis zur Rückkehr des alten DualGlanzes ist es noch ein langer Weg. Denn zunächst muss Zellner auf vielen wichtigen Märkten der Welt Lizenzen einsammeln, die nach dem in Raten erfolgten Dual-Absturz an diverse Unternehmen vergeben wurden. So verkaufen Rechteinhaber in Spanien und Frankreich TV-Geräte unter dem Namen „Dual“. Zellner sagt: „Wir führen überall Gespräche und hoffen zum Beispiel in Asien, Südamerika und Australien auf die Markenrechte.“In Europa und den USA ist die Firma im Besitz der Lizenzen.
Die Dual-Welt ist kompliziert:
Im Schwarzwald stellte mit der Alfred Fehrenbacher GmbH bis vor kurzem ein zweiter Hersteller Dual Plattenspieler her–und zwar in St. Georgen, dem Ort, in dem Dual 1907 von den Brüdern Steidinger gegründet wurde. Während die Plattenspieler bauer zu ihren besten Zeiten in den 70er Jahren mit rund 3500 Mitarbeitern zweistellige Umsatzzuwächse erzielten, ging es für das Unternehmen durch die billigere und innovativere Konkurrenz aus Fernost zunehmend bergab. Der Kostendruck wurde zu groß.
Am Ende musste Dual 1981 Insolvenz anmelden. Nun wurde die Marke auf tragische Weise ein ums andere Mal weitergereicht. Zunächst kam der französische Thomson-Brandt-Konzern zum Zuge, der schon andere deutsche Unterhaltungselektronikmarkenwi eS aba, Telefunken und Nordmende eingesammelt hatte. Der Siegeszug der CD-Spieler setzte Dual weiter zu. 1988 landete die Marke in Bayern bei der Schneider Rundfunkwerke AG in Türkheim, einem Hersteller von Unterhaltungselektronik- Produkten und Computern.
Das Unternehmen aus dem Landkreis Unterallgäu verfolgte ehrgeizige Pläne und setzte auf Laser-Fernsehen. Doch das Dual-Elend wollte kein Ende nehmen: Schneider verkaufte die Marke 1994 an die Karstadt AG, behielt aber die Rechte für analoge Plattenspieler. Schließlich
Schneider selbst pleitegehen. Das Niedergangswirrwarr führte dazu, dass die Dual-Rechte weit verstreut sind, sodass sie Zellner Stück für Stück zurückholen muss.
Der Unternehmer hat selbst für die Schneider Rundfunkwerke gearbeitet und war vor 25 Jahren Exportleiter von Dual. Er fing dann noch einmal neu an, promovierte und machte in München bei der DAB-Bank Karriere. Der heute 56-Jährige stieg zum Vertriebschef auf. Als das Finanzhaus von der italienischen Unicredit an die französische Bank BNP Paribas verkauft wurde und zentralistischer Management-Geist einkehrte, machte ihm die Arbeit immer weniger Spaß. Zellner wollte es noch einmal wissen, erinnerte sich an seine alte Liebe Dual und kaufte mit einem anderen Banker die Firma in Landsberg. „Ich habe mir gedacht: Geh noch einmal in die Vollen“, sagt er.
Dabei stieß der Unternehmer bald auf seinen oberbayerischen Landsmann Fred Langer, der ebenfalls längst eine gut dotierte Spitzenposition an den Nagel gehängt hatte. Einst baute der Hi-Fi-Freak einen Zulieferbetrieb für die Halbleiterindustrie mit auf, verkaufte die Firma an ein US-Unternehmen, das sie an einen anderen amerikanischen Anbieter abstieß. Langer blieb als Spitzenkraft an Bord, bis es ihm – auf gut Bayerisch – langte, entpuppte sich der zweite Käufer doch „als Heuschrecke“. Aus Sicht der Dual-Anhänger fügt es sich gut, dass zwei von einer Spielart des Kapitalismus enttäuschte Manager mit Mitte 50 noch mal im Dienste des Vinyls durchstarten wollen.
Nun wäre die Geschichte aus Sicht von Nostalgikern perfekt, wenn Zellner und Langer alle Plattenspieler in Deutschland herstellen ließen. Doch ein solches Dual-Märchen scheitert an betriebswirtschaftlichen Überlegungen. Beide sagen: „Wir können solch hochwertige Plattenspieler, die nur bis zu 1000 Euro kosten dürfen, nicht zu einem für Käufer vertretbaren Preis in der Qualität in Deutschland bauen.“Daher werden die meisten neuen von Langer entworfenen Modelle, die jetzt Stück für Stück auf den Markt kommen, wie schon bisher die günstigeren Einsteigergeräte von einem taiwanesischen Anbieter in China gefertigt. Ähnlich verfahren viele Plattenspielerhersteller.
Langer versichert: „In Deutschland müssten wir an der Qualität knapsen, also etwa schlechtere Plattenteller einbauen, um einen Preis wie bei der Fertigung in Asien zu erzielen.“In Kiefersfelden werden also nur Liebhaber-Geräte, die teurer als 1000 Euro sind, in überschaubaren Stückzahlen gebaut. Zellner glaubt an einen stark wachsenden Markt, obwohl der Schallplattentrend schon länger anhält. Während 2015 etwa 80 000 Plattensollte spieler in Deutschland verkauft wurden, waren es im vergangenen Jahr schon 160000. Natürlich geht damit ein Plattenboom einher.
Was verblüffend ist: In den USA wurde zuletzt erstmals seit 1986 mehr Umsatz mit dem Verkauf von Schallplatten als mit CDs gemacht. Auch in Deutschland ist die VinylLust nach einer Delle in 2018 wieder stärker geworden – und zwar über alle Altersklassen hinweg. Die Schallplatte rangiert hierzulande, was die Absatzzahlen betrifft, hinter der CD noch mit deutlichem Abstand auf Platz drei. Der erste Rang geht mit weitem Vorsprung an die online genutzte, also gestreamte Musik. Gerade unter jüngeren Menschen ist ein Doppeltrend zu beobachten: Sie streamen kräftig Musik, manche schaffen sich aber zusätzlich einen Plattenspieler an, oft mit Bluetooth-Funktion. Damit lässt sich das Gerät kabellos mit den ohnehin zur Online-Musiknutzung vorhandenen Lautsprechern verbinden. Digitale und analoge Welt fügen sich in den Wohnungen junger Trendsetter zusammen – und das verglichen mit den riesigen HiFi-Türmen ihrer Eltern und Großeltern auf platzsparende Weise.
Zur lustigen Ehe aus digitaler und analoger Musik-Welt hat Heinz Lichtenegger, der österreichische Plattenspieler-Pionier, eine humorige Meinung. Der Begründer der in Europa im Qualitätsbereich nach eiklassische gener Darstellung führenden Marke Pro-Ject sagt: „Spotify ist zum Neischmeck’n, mit dem Plattenhören beginnt das bewusste Musikerlebnis. Da muss man sich halt Zeit nehmen und genießen.“
Lichtenegger hat in den 80er Jahren, als Vinyl vielfach totgesagt wurde, stur an die Zukunft des Mediums geglaubt und 1991 Pro-Ject gegründet. Er hört seine Lieblingsscheibe „The Dark Side oft the Moon“von Pink Floyd lieber als Platte, selbst wenn CDs perfekter sind. „Doch ich dachte stets: Es ist was falsch mit der CD. Es fehlt gegenüber der Platte an Emotion.“
Der heute 60-Jährige geht, wenn er von etwas überzeugt ist, mit dem Kopf durch die Wand. „Als ich damals anfing, Plattenspieler produzieren zu lassen, sagten alle zu mir: Du bist verrückt. Das kann doch nicht funktionieren“, erinnert sich der Unternehmer. Doch es funktionierte. Mancher vergleicht Lichtenegger wegen seiner Radikalität, dem technischen Purismus und dem wiedererkennbaren Design der Produkte mit dem einstigen Apple-Mitbegründer Steve Jobs, der auch so ein radikaler Träumer war.
Lichtenegger ist ein Spötter. Gestreamte Musik mit einfachen Bluetooth-Lautsprechern zu hören, sei wie ein Burger mit Ketchup von McDonald’s. Und er frotzelt: „Billigplattenspieler mit eingebauten Lautsprechern aus Asien für 120 Euro versauen den Markt.“Derartige Geräte nennt er „Spielzeugplattenspieler“. Der Österreicher lässt seine Plattenspieler in Europa fertigen, vor allem in einer Fabrik in Tschechien, die er nach dem Fall des Eisernen Vorhangs übernommen hat. Insgesamt beschäftigt er 660 Mitarbeiter und ist dort angekommen, wo das Dual-Duo Zellner und Langer hinwollen. Lichtenegger kann nicht so viele Plattenspieler produzieren, wie er verkaufen könnte. Viele gönnen sich ein neues Gerät, nachdem sie nicht verreisen können und sich das Konto gefüllt hat. Das schiebt das Pro-Ject-Geschäft an. Lichtenegger hat ein schönes
Alles hängt am Pimpel
Der emotionale PlattenMoment
neues Hauptquartier nördlich von Wien im Weinviertel erworben. Zuletzt setzte sein Unternehmen rund 160000 Plattenspieler ab. Nun ist er überzeugt: „Der Boom geht weiter. Wir peilen einen Absatz von bis zu 200000 Stück an.“
Was die Plattenspielerbauer, ob in Landsberg oder im österreichischen Mistelbach im Weinviertel, freuen dürfte: Die Abspielgeräte sind zu einem Lifestyle-Produkt geworden. In einem derzeit häufig ausgestrahlten Werbefilm für eine Tiefkühl-Pizza steigt der das Teigprodukt für sein Rendezvous in den Ofen schiebende Mann zuvor nicht aus einem Luxusschlitten aus. Er legt vielmehr eine Platte auf, sozusagen als romantisches Manöver.
Wem das alles zu gefühlig klingt, ja als Platten-Latein angegrauter Freaks erscheint und wer nichts über seine CDs oder kurz Gestreamtes kommen lässt, der schafft vielleicht noch mit einem Selbstversuch den Absprung in die richtige Rille. Die Zutaten sind überschaubar: Man lege etwa die CD „Beggars Banquet“von den Rolling Stones ein oder streame sie. Danach folgt eine Plattenhörprobe, am besten mit einer alten Pressung aus der Sammlung der Eltern oder vom Flohmarkt. Gerade bei den Songs „No Expectations“oder „Street Fighting Man“stellt sich rasch der von Lichtenegger beschworene emotionale Unterschied ein.
Manchen mag im Gegensatz zu den Digitalprodukten Gänsehaut übermächtigen. „Dualfred“Langer beschreibt es technisch: „Gerade weil die Platte nicht so perfekt wie eine CD ist, wirkt sie für unser Gehör angenehmer.“In die nicht perfekte Welt passt auch mal der ein oder andere Kratzer.