Ein Kirchentag auf virtueller Welle
Eigentlich sollten sich über 100000 Christen aller Konfessionen in Frankfurt treffen. Nun findet das Großereignis nur digital statt. Doch die Liste prominenter Gäste ist groß – und an Streitthemen herrscht kein Mangel
Frankfurt am Main Das rauschende Eröffnungsfest auf dem Römer wird es ebenso wenig geben wie rappelvolle Hallen in der Frankfurter Messe. Beim 3. Ökumenischen Kirchentag vom 13. bis 16. Mai in der Mainmetropole ist coronabedingt alles „digital und dezentral“. Julia Helmke, die Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentags, nennt die neue Form „ein Experimentierlabor“und lädt die Teilnehmer dazu ein, die eigene Komfortzone zu verlassen. „Kirchentage leben ja davon, Kirche und Gesellschaft infrage zu stellen und weiterzuentwickeln“, sagte Helmke bei der Vorstellung des Programms.
Unter dem Motto „schaut hin“sind rund 80 Veranstaltungen zu Glaubens- und Vertrauensfragen, dem gesellschaftlichen Zusammenhalt und der wachsenden globalen Verantwortung gelistet. Die meisten davon werden am Samstag teilweise live aus Frankfurt ausgestrahlt. Etwa die Bibelarbeiten mit Kabarettist Eckart von Hirschhausen, der
Lyrikerin Nora Gomringer, der Theologin Margot Käßmann oder auch der Bibel-Dialog der Ministerpräsidenten Bodo Ramelow (Linke, Thüringen) und Volker Bouffier (CDU, Hessen). Auch Malu Dreyer (SPD, Rheinland-Pfalz) ist dabei.
Noch bis Dezember 2020 bestand die Hoffnung, den 3. Ökumenischen Kirchentag in Frankfurt coronakonform live abzuhalten. Schließlich hatten die beiden Vorgänger 2003 in Berlin und 2010 in München jeweils mehr als 100000 Teilnehmer zu einem gemeinsamen Glaubensfest angezogen. Nun sind die Kirchengemeinden eingeladen, an ihren Orten ökumenische Akzente zu setzen.
Thomas Sternberg, der Präsident des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, hält gerade die Bankenund Messestadt Frankfurt für einen guten Platz, verschiedene Menschen und Probleme miteinander ins Gespräch zu bringen. „Wir wollen ein Signal senden für das gemeinsame Engagement aller Christinnen und Christen“, sagte Sternberg. Ein flottes Format ist dazu die „Stunde zur Ökumene“mit „Fragenhagel“und
Best Practice Beispielen. Im Eröffnungsgottesdienst an Christi Himmelfahrt predigt Frère Alois, der Prior der ökumenischen Gemeinschaft von Taizé; die Feier wird ab 10 Uhr im Ersten live übertragen.
Spannungen sind aber schon vorgezeichnet: Brisanz und Kontroverse
verspricht das Podium „Wer zahlt die Rechnung der CoronaPandemie?“mit dem Bundesfinanzminister und Kanzlerkandidaten der SPD, Olaf Scholz, und Eva Maria Welskop-Deffaa vom Caritas-Verband. Auch die anderen Kanzlerkandidaten laufen auf. Grünen-Chefin Annalena Baerbock sucht mit dem Ökonomen und Sozialethiker Johannes Wallacher und der Konzernchefin Marie-Luise Wolff Wege aus der Klimakrise. Der CDU-Bundesvorsitzende Armin Laschet, Ministerpräsident von NordrheinWestfalen, stellt sich Fragen zum Thema Wirtschaft und Finanzen.
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier äußert sich vor dem Schlussgottesdienst am Sonntag (9.30 Uhr) live von der Weseler Werft zu Themen des Kirchentags.
Ortsbischof Georg Bätzing, der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, geht mit dem Ratsvorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland, Landesbischof Heinrich BedfordStrohm, darin einig, dass die Kirchen aus der Corona-Pandemie erneuert hervorgehen werden. Beide bedauerten bei einem Podiumsgespräch, dass der Ökumenische Kirchentag nur virtuell stattfindet: „Sicherlich wäre es gut gewesen, in diesen Zeiten mit mehr als 100000 Menschen ein Zeichen in der Öffentlichkeit zu setzen, um für Vertrauen, Zusammenhalt der Gesellschaft, für Klimagerechtigkeit und soziale Verantwortung zu werben.“
Statt in der eigenen Blase zu verharren, freut sich das Kirchentagspräsidium auf eine konstruktive Debattenkultur ohne Polemik und Populismus. So wird sich Bundeskanzlerin Angela Merkel mit Klimaaktivistin Luisa Neubauer (Fridays for Future) an einen Tisch setzen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn wird nachdenken, wie die Pandemie das solidarische Europa herausfordert, und Außenminister Heiko Maas reflektiert Corona und die internationale Gesundheitspolitik. Ein Schwerpunkt liegt auf Debatte, wie Antisemitismus zu überwinden sei.