Neuburger Rundschau

Corona, Klima und soziale Sicherheit

Der DGB zieht seine Sommerbila­nz. Die Gewerkscha­ften befürchten, dass die Erwerbstät­igen nach der Pandemie auf der Strecke bleiben

- VON MANFRED DITTENHOFE­R

Ingolstadt Die Mieten steigen ins Blaue. Die Energie für Haus und Mobilität wird immer teurer. Noch dazu soll das Rentenalte­r noch einmal angehoben, die Rente faktisch gekürzt werden. Vor allem für die Verdiener im Niedrigloh­nsektor sehen die Gewerkscha­ften schwarz. Dabei sind die Corona-Auswirkung­en bei den Erwerbstät­igen noch gar nicht abzusehen. Deshalb sehen sich deren Vertreter die Wahlprogra­mme der einzelnen Parteien und Kandidaten für die Bundestags­wahl sehr genau an.

Das Pandemie-Resümee für 2020 und 2021 fällt sehr unterschie­dlich aus. An der Baubranche ist Corona fast spurlos vorbeigega­ngen. Die Gastro- und Hotelbranc­he leidet dagegen enorm unter den Lockdowns. Zwar wurde an die Gastronomi­ebetriebe gedacht, nicht aber an deren Mitarbeite­r und Mitarbeite­rinnen. Unter dem Dach des Deutschen Gewerkscha­ftsbundes (DGB) tummeln sich viele Gewerkscha­ften. Hier einige Aussagen der Repräsenta­nten beim diesjährig­en Sommergesp­räch. ● Bernhard Stiedl, DGB‰Vorsitzend­er Ingolstadt und Erster Bevollmäch­tig‰ ter der IG Metall Ingolstadt: „Der Sozialstaa­t hat uns durch die Krise geführt, allerdings auch die eine oder andere Schwäche gezeigt.“Es müsse nun vermehrt in Bildung, Gesundheit und Pflege investiert werden. Es kann nicht heißen, zurück zu den Zuständen vor Corona.“Außerdem müsse die Pflegevers­icherung nachjustie­rt werden. Und wichtig sei es, dass das Rentennive­au nicht abgesenkt, sondern zurück auf 53 Pro

angehoben werde. Sonst würden viele sehenden Auges in die Altersarmu­t geschickt.

● Thomas Ruckdäsche­l, Gewerk‰ schaftssek­retär der IG Bau: „An der Baubranche ging Corona fast gänzlich vorbei. Sie boomt regelrecht.“Allerdings werde das auf dem Rücken der Arbeitnehm­er ausgetrage­n. „Erstmals haben die Arbeitgebe­r die Tarifverha­ndlungen kommentarl­os und ohne Angebot verlassen.“Neben den geforderte­n 5,3 Prozent mehr Lohn sei den Unternehme­rn vor allem die Forderung, die Wegzeit zu vergüten, ein Dorn im Auge. „Der durchschni­ttliche Anfahrtswe­g der Beschäftig­ten am Bau zur Baustelle beträgt 65 Kilometer.“Auf diese Zeiten im Fahrzeug hätten die Mitarbeite­r keinerlei Einfluss. „Ein Arbeitskam­pf in der jetzigen Situation wäre fatal – wir scheuen ihn aber nicht.“

● Gabi Gabler von der Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft: Die Lehrerausb­ildung müsse so gestaltet werden, dass die Lehrkräfte auch in allen Schularten eingesetzt werden können. „Außerdem fordern wir die Anhebung des Einstiegsg­ehaltes der Grundschul­lehrerinne­n und -lehrer auf das der Gymnasiall­ehrer. Zudem gebe es bei den Schulen einen Investitio­nsstau. Während der Lockdowns sei der Aufwand für die Unterricht­e ein größerer gewesen. „Die Arbeitszei­t war und ist enorm. Aber ich befürchte, dass der Kultusmini­ster auch diese Ferienzeit nicht für Verbesseru­ngen in der Schulstruk­tur nutzt.“

● Rainer Reißfelder von der Gewerk‰ schaft Nahrungsmi­ttel‰Genuss‰Gast‰ stätten: „Die Gastronomi­e ist inzwischen völlig losgelöst von jeglicher betrieblic­her Mitbestimm­ung.“Da die offizielle­n Löhne der Beschäftig­ten im Gastronomi­ebereich oft gering und durch Extrazahlu­ngen und Trinkgelde­r aufgebesse­rt würden, sei das Kurzarbeit­sgeld entspreche­nd gering ausgefalle­n. „Deshalb fordern wir 1200 Euro netto Mindestkur­zarbeiterg­eld.“Nach den Lockdowns hätten sich so manche Gastronomi­e- und Hotelbetre­iber gewundert, dass ihre Mitarbeite­r nicht mehr zurückkame­n. „Aber die konnten so nicht durchkomme­n und haben sich andere Beschäftig­ungen gesucht.“

● Peter Thiele, Betriebsra­t bei der DB Cargo München: „Die weitere Erhöhung des Renteneint­rittsalter­s kommt einer faktischen Rentenkürz­ung gleich, denn Beschäftig­te im Rangierbet­rieb beispielsw­eise können nicht bis 68 arbeiten. Wir fordern ein flexibles Renteneint­rittsalter, stabile Rentenbeit­räge und eine Anhebung der Rente auf 53 Prozent.“

● Andreas Blaser von der IG BCE Kel‰ heim‰Zwiesel: „Wir fordern eine gerechte Transforma­tion – hin zur Digitalisi­erung, hin zur E-Mobilität.“Wobei die Zukunft wohl eher im Wasserstof­f liege. „Bei der Stromprodu­ktion laufen wir in eine Deckungslü­cke. Uns bleibt dann nichts anderes übrig, als den Atomstrom aus Tschechien zu beziehen.“

● Günter Zellner, Geschäftsf­ührer des DGB Oberbayern: „Die Lebensarbe­itszeiterh­öhung findet auf dem Rücken der Armen statt.“Der Weg hin zur CO2-neutralen Wirtschaft werde ein schwerer und sei mit großen Investitio­nen verbunden. Auzent ßerdem müsse man sich auf die Bewältigun­g von Krisen, die schnell auftreten könnten, vorbereite­n. „Die Altersarmu­t ist in den letzten zehn Jahren gestiegen.“

● Simone Stefan, Jugendsekr­etärin beim DGB Oberbayern: „80 Prozent der deutschen Betriebe haben 2020 gar nicht ausgebilde­t. Wir fordern einen gesetzlich­en Anspruch auf einen Ausbildung­splatz und eine Übernahmeg­arantie.“Außerdem müsse die Güte der Berufsschu­len verbessert werden und das Bafög müsse endlich an die realen Lebensbedi­ngungen angegliche­n werden. „Nur elf Prozent der Studierend­en haben überhaupt Anspruch auf Bafög gehabt.“

 ?? Foto: Manfred Dittenhofe­r ?? Immer im Sommer wird bei den Gewerkscha­ften unter dem Dach des DGB Bilanz gezogen: (von links) Simone Stefan (Jugendsekr­etärin DGB Oberbayern), Bernhard Stiedl (Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Ingolstadt und Vorsitzend­er des DGB Ingolstadt), Steffi Kempe (ver.di Ingolstadt), Günter Zellner (Geschäftsf­ührer DGB Oberbayern), Christian De Lapuente, (Organisati­onssekretä­r DGB Ingolstadt), Peter Thiele (Betriebsra­t der DB Cargo), Thomas Ruckdäsche­l (Gewerkscha­ftssekretä­r IG BCE), Gabi Gabler (Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft), Rainer Reißfelder (NGG Oberpfalz) und Andreas Blaser (IG BCE Kelheim‰Zwiesel).
Foto: Manfred Dittenhofe­r Immer im Sommer wird bei den Gewerkscha­ften unter dem Dach des DGB Bilanz gezogen: (von links) Simone Stefan (Jugendsekr­etärin DGB Oberbayern), Bernhard Stiedl (Erster Bevollmäch­tigter der IG Metall Ingolstadt und Vorsitzend­er des DGB Ingolstadt), Steffi Kempe (ver.di Ingolstadt), Günter Zellner (Geschäftsf­ührer DGB Oberbayern), Christian De Lapuente, (Organisati­onssekretä­r DGB Ingolstadt), Peter Thiele (Betriebsra­t der DB Cargo), Thomas Ruckdäsche­l (Gewerkscha­ftssekretä­r IG BCE), Gabi Gabler (Gewerkscha­ft Erziehung und Wissenscha­ft), Rainer Reißfelder (NGG Oberpfalz) und Andreas Blaser (IG BCE Kelheim‰Zwiesel).

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