Neuburger Rundschau

Abschied vom Altstadt‰Bus

In diesen Tagen fährt die Linie 4 letztmals in die Obere Altstadt. Die Entscheidu­ng hatte Kritik von mehreren Seiten ausgelöst. Doch wird das Angebot wirklich gebraucht? Zwei Runden im Bus

- VON ANDREAS SCHOPF

Neuburg Da steht jemand an der Haltestell­e. Die ältere Frau winkt sogar mit ihrem Gehstock, um nicht übersehen zu werden. „Achtung, ein Fahrgast“, sagt Ronny Haferburg. Dass er bremsen und am Fahrbahnra­nd anhalten muss, hat an diesem frühen Dienstagna­chmittag Seltenheit­swert. Der Stadtbus, den Haferburg durch Neuburg mitsamt der Oberen Altstadt lenkt, ist auf dieser Runde ansonsten durchgehen­d leer. Da dies mehr Regel als Ausnahme ist, hat die Stadt entschiede­n, dass die Linie 4 ab September nicht mehr die Obere Altstadt anfährt. Der Dienstag war theoretisc­h der letzte Tag, an dem der Bus Richtung Amtsgerich­t und Karlsplatz aufbricht. Mittlerwei­le ist klar: Voraussich­tlich bis zum 13. September wird das Angebot aus organisato­rischen Gründen noch aufrechter­halten. Die Neuburger Rundschau ist zum (Fast-)Abschied zwei Runden lang mitgefahre­n.

Los geht es am Spitalplat­z. Der Bus Richtung Kreuzberg ist komplett leer. Ein Zustand, der sich in der nächsten halben Stunde nicht ändern wird. Er könne die Entscheidu­ng der Stadt nachvollzi­ehen, sagt Haferburg. Fährt er die Linie 4 in die Altstadt, sitzt er meistens alleine in dem kleinen Sprinter. Oft steigt den ganzen Tag, wenn überhaupt, nur ein einziger Fahrgast ein, erzählt er. „Wenn es zwei am Tag sind, ist es schon viel.“

Diesen Eindruck untermauer­n Zahlen der Stadtwerke. Im Durchschni­tt nutzen 0,6 Passagiere täglich den Bus – bei Kosten von 100.000 Euro im Jahr. Jetzt haben die Verantwort­lichen die Reißleine gezogen.

Die, die mitfahren, seien meistens dieselben, sagt Haferburg. Kurz hält er inne, schaut nach rechts und links, und überquert die Luitpoldst­raße. „Ältere Menschen, die zum Einkaufen fahren.“Es geht den Berg hinauf. Ein Lastwagen kommt entgegen, Haferburg muss den Bus präzise an ihm vorbeisteu­ern. „Es ist sehr eng in der Altstadt“, sagt er. Autos oder Lastwagen, die halb auf der Straße stehen, hätten ihm immer wieder den Weg versperrt. Im schlimmste­n Fall, falls er gar nicht durchkam, musste er wenden und

Altstadt von der anderen Seite anfahren. Heute gibt es keine Probleme. Dafür kam man sich auf eine andere Eigenart der Altstadt konzentrie­ren: Das Poltern des Busses über das Kopfsteinp­flaster. „Die Stoßdämpfe­r waren schon mehrfach kaputt“, berichtet Haferburg, der seit fünf Jahren Bus in Neuburg fährt.

Es geht vorbei am Amtsgerich­t, am Schloss, und am Karlsplatz. Nirgendwo möchte jemand einsteigen. „Vielleicht da vorne“, sagt Haferdie burg. An der Haltestell­e St. Peter würde immer wieder jemand stehen – heute nicht. Hat er seinen Bus mit jeweils 13 Sitz- und Stehplätze­n schon einmal voll durch die Altstadt gefahren? „Nie“, sagt Haferburg, nicht einmal im Ansatz. Ein, zwei Menschen, mehr seien es nicht. Macht es ihm eigentlich etwas aus, wenn er leer und damit „umsonst“fährt? Natürlich sei es schöner, Leute mitzunehme­n, mit manchen könne er nett plaudern, sagt der 45-Jährige. „Aber manchmal fahre ich eben alleine.“

Trotz der nachweisli­ch geringen Auslastung löste die Entscheidu­ng, den Bus nicht mehr über die Altstadt fahren zu lassen, Kritik aus. Von einem „völlig falschen Signal“sprach Grünen-Stadtrat Gerhard Schoder. Auch die SPD wollte den Beschluss aufheben. Renate Wicher, die Vorsitzend­e des Neuburger Seniorenbe­irats, war nach eigenen Angaben „entsetzt“, schließlic­h seien gerade ältere Menschen in der Altstadt zum Teil auf den Bus angewiesen. Es half alles nichts. Oberbürger­meister Bernhard Gmehling sieht angesichts der verschwind­end geringen Nutzerzahl­en die Verhältnis­mäßigkeit nicht mehr gegeben. Und auch der Werkaussch­uss untermauer­te die Entscheidu­ng mit einer erneuten Abstimmung. Die „Trostpflas­ter“für die Altstadt-Bewohner: Sie können Anrufsamme­ltaxis nutzen, außerdem eine neue „Touristikl­inie“, die ab Frühjahr 2022 vom Bahnhof aus über die Obere Stadt zum Hofgarten/Spitalplat­z und wieder zurück fährt. Ein halbes Jahr wird der Bus zunächst zur Probe fahren. Stimmt die Frequenz nicht, soll auch dieses Angebot wieder eingestamp­ft werden. Der bestehende Stadtbus fährt stattdesse­n über die Theresiens­traße zur Donauwörth­er Straße, zum neuen Wohngebiet Neuburg-West und zur neuen Paul-Winter-Realschule.

Zurück in der Linie 4. Haferburg lenkt den Donauwörth­er Berg hinauf, wieder hinunter, immer noch ohne Fahrgäste. Über den Spitalplat­z steuert er die Grundschul­e am Englischen Garten an. Kurze Pause. Dann geht es weiter als Linie 5, über Ried und Laisacker. Dort, an der Haltestell­e Seestraße, steigt erstmals nach einer halben Stunde jemand zu – die ältere Frau, die den Bus mit ihrem Gehstock heranwinkt. Sie könne es einerseits nachvollzi­ehen, dass die Linie 4 nicht wie bisher weiterfähr­t, sagt sie. Anderersei­ts könne sie auch verstehen, dass Bewohner der Altstadt nicht mit dieser Entscheidu­ng einverstan­den sind. Und bräuchte sie den Bus selbst auch mal? Grundsätzl­ich würde sie gerne ab und zu in die Altstadt fahren, etwa ins Theater. „Aber wenn ich dorthin will, fährt der Bus sowieso nicht mehr“, spielt sie auf den abends und am Wochenende ausgedünnt­en Fahrplan an.

Fahrerwech­sel. Am Spitalplat­z übernimmt Bajram Sulejmani den Platz am Steuer. Die Anzeige über dem Fahrer springt wieder auf Linie 4. „Diese Linie ist ganz schwach“, bestätigt er. Immerhin: Auf seiner Tour durch die Altstadt fahren diesmal drei Fahrgäste mit. Ein Mann, der zum Donauwörth­er Berg muss. Und die Geschwiste­r Tabea (10) und Marc (8), die ihre Oma besuchen. Alle drei betonen: Dass der Stadtbus nicht mehr durch die Obere Altstadt fährt, trifft sie in ihrem Alltag kaum bis gar nicht.

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Foto: Winfried Rein Ein Anblick, den es bald nicht mehr geben wird: Die Stadtbus‰Linie 4 wird künftig nicht mehr durch die Obere Altstadt fahren. Grund ist die fehlende Fahrgast‰Frequenz.
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Foto: Andreas Schopf Busfahrer alleine im Bus: Durch die Obere Altstadt steuert Ronny Haferburg oft ohne Fahrgäste.

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