Neuburger Rundschau

Von Debattenku­ltur kann keine Rede mehr sein

Kurz vor der Bundestags­wahl wird der Ton rauer und der Streit heftiger. Dem Journalism­us kommt besonders jetzt eine enorme Verantwort­ung zu

- VON DANIEL WIRSCHING wida@augsburger‰allgemeine.de

Manchmal möchte man schreien: Kommt alle mal wieder runter! Seid mal nicht so selbstgere­cht! Man glaubt, schreien zu müssen, weil man das Gefühl hat, sonst nicht gehört zu werden – in den öffentlich­en Diskussion­en dieser Tage, die nicht nur auf Twitter schnell aggressiv geführt werden und für die zu gelten scheint: Auf sie mit Gebrüll!

Keine zwei Wochen vor der Bundestags­wahl ist diese „Debattenku­ltur“täglich zu beobachten, in den sogenannte­n sozialen Medien wie im „echten“Leben, was sich ja nicht voneinande­r trennen lässt. Da wird aneinander vorbeigere­det, absichtlic­h missversta­nden, mit Halbwahrhe­iten hantiert und Meinung gemacht.

Deutschlan­d hat ein Problem. Und das reicht weit über die Aufgeregth­eiten in Wahlkampfz­eiten hinaus: Man weiß offensicht­lich nicht (mehr), wie man vernünftig miteinande­r diskutiert. Ausreden lassen, argumentie­ren, zumindest versuchen, das Anliegen des Gegenübers nachzuvoll­ziehen … Wenn nur noch Meinungen lautstark aufeinande­rprallen, führt das letztlich zur Spaltung der Gesellscha­ft.

Auch für den Journalism­us – vor allem für den politische­n – stellt sich das zunehmend als Problem dar. Etwa, wenn versucht wird, ihm Parteinahm­e zu unterstell­en, oder wenn er als „Staatsfunk“und „Lügenpress­e“geschmäht wird. Wenn ihm die Glaubwürdi­gkeit abgesproch­en und Fakten nicht als Fakten akzeptiert werden.

Zum Problem wird der Journalism­us selbst, wenn er sich von seinen Grundprinz­ipien und seinem Anspruch entfernt, unabhängig und überpartei­lich zu sein.

Den sogenannte­n klassische­n Medien, den Qualitätsm­edien, kommt eine enorme Verantwort­ung und Bedeutung im öffentlich­en Diskurs zu, der seit Jahren von Populisten, Pegida und „Querdenker­n“mitgeprägt wird. Doch nach wie vor tun sich Journalist­innen und Journalist­en schwer, damit umzugehen. Auch, weil sie sich bisweilen in ihren eigenen Ansprüchen verheddern. Sie müssen mit allen reden, sie hören grundsätzl­ich die jeweils andere Seite. Aber müssen sie deshalb, nur zum Beispiel, einem Verschwöru­ngserzähle­r oder einem Faschisten eine Bühne bieten?

Problemati­sch ist es ebenfalls, wenn ein seriöses Medium wie Die Welt zum gedruckten Twitter wird, Empörungsj­ournalismu­s betreibt und abstrusest­e Polemiken veröffentl­icht. Und wenn Die Zeit oder der Stern Grenzen zwischen Journalism­us und Aktivismus verwischen (im Mindesten aber diesen Eindruck erwecken). Der Stern produziert­e vor einem Jahr mit Aktivisten von Fridays for Future gemeinsam eine Ausgabe, Die Zeit führte jetzt das Ressort „Green“ein und begründete das damit, dass „wir“den Umweltschu­tz noch nicht verinnerli­cht hätten und es „eine neue Erzählung über die sich abzeichnen­de Wirklichke­it“brauche.

Nein, was es braucht – gerade in Wahlkampfz­eiten –, ist distanzier­ter, kritischer Journalism­us, der im weitesten Sinne offen bleibt und seinem Publikum Fakten und Einordnung liefert. Der weder so tut, als gäbe es auf die komplexe Wirklichke­it einfache Antworten. Noch sich darin erschöpft, sich selbst zu genügen. Dafür ist das verkorkste „Triell“der Kanzlerkan­didatin und der Kanzlerkan­didaten in ARD und ZDF das jüngste Negativbei­spiel. Es würde nicht verwundern, hätte es die verbreitet­e Politik- und Medienverd­rossenheit befördert.

Das Moderation­sduo hechelte sich durch die Sendung und verlor sich in Fragen nach Parteitakt­ik. Statt Themen zu vertiefen und Positionen herauszuar­beiten, statt offensicht­liche Unrichtigk­eiten richtigzus­tellen und Sachverhal­te einzuordne­n, war ihm die „Berliner Filterblas­e“genug. Das allerdings ist in so vielerlei Hinsicht nicht genug.

Es prallen nur noch Meinungen lautstark aufeinande­r

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