Neuburger Rundschau

Die Linke will es wie noch nie

Rot-Rot-Grün könnte mehr sein als eine theoretisc­he Option. Für manche ein Schreckges­penst, für andere die Chance zum Politikwec­hsel. An der Nato-Frage würde das Bündnis nicht scheitern, sagt Fraktionsc­hef Dietmar Bartsch

- VON CHRISTIAN GRIMM UND STEFAN LANGE

Berlin Wenn Dietmar Bartsch erklären will, warum seine Linksparte­i Teil der nächsten Regierung sein soll, erzählt der Spitzenkan­didat eine Geschichte über Uli Hoeneß. Der Ehrenpräsi­dent des FC Bayern und Wurstfabri­kant hat gewohnt meinungsst­ark seiner Hoffnung Ausdruck verliehen, dass die Linke aus dem Bundestag fliegt. „Dann müssten wir uns so einen Schmarrn nicht mehr anhören“, polterte Hoeneß neulich und meinte damit die Vermögenst­euer. Die Linke will diese Steuer für Reiche und Unternehme­r, SPD und Grüne auch. Für Bartsch ist es aber ganz bezeichnen­d, dass Hoeneß nur gegen seine Partei schießt. Denn der Fußballprä­sident, der es mit den Steuern nicht so genau nahm, wisse nur zu gut, dass SPD und Grüne bei der Vermögenst­euer nicht Ernst machen würden. „Wir werden deutlich herausstel­len, dass es nur mit uns zu einem wirklichen Wechsel kommt“, sagt Bartsch. „Das ist das Argument auf unserer Seite.“Bei dem Treffen in den Räumen der Linksfrakt­ion im Bundestag spricht er – blaues Hemd, gut sitzender hellgrauer Anzug – dann noch das Gedicht „An einen Bonzen“von Kurt Tucholsky an. Der berühmte Schriftste­ller ätzte in den 20er Jahren gegen Genossen, die Bosse geworden waren. „Du zuckst die Achseln beim Hennessy und vertrittst die deutsche Sozialdemo­kratie.“

Nun weiß aber auch Bartsch, dass er den Reichen ohne SPD und Grüne auch kein Geld abknöpfen kann, selbst wenn sie teuren Cognac trinken. Die Linke hat in diesem Wahlkampf den ewigen Streit unter den drei Parteien des linken Lagers, wer der ehrlichste Kämpfer für Gerechtigk­eit ist, hintangest­ellt. Und sie stößt die Tore für ein rot-rot-grünes Bündnis weit auf. Nicht nur Bartsch trommelt dafür, auch Co-Spitzenkan­didatin Janine Wissler. Im Kosmos der Linken ist das nicht selbstvers­tändlich. Wenn Bartsch der Realo ist, dann ist die rote Janine eine orthodoxe Linke. Bis zu ihrer Kür war sie Mitglied der Plattform Marx 21, die vom Verfassung­sschutz beobachtet wird. „Wenn es nach der Wahl eine rechnerisc­he Mehrheit aus SPD, Grünen und Linken gibt, sollten wir sehr ernsthaft darüber reden, wie es zu einem

Politikwec­hsel kommt“, sagt Wissler. Im Kosmos der Linken ist es auch nicht selbstvers­tändlich, dass niemand öffentlich mit Sarah Wagenknech­t im Clinch liegt. Obwohl sie formal kein höheres Amt in Partei und Fraktion mehr besetzt, ist sie immer noch der Star. Und sie hängt sich rein, macht Wahlkampf. Wenn Wagenknech­t kommt, füllen sich die Plätze. Wenn Wissler und Bartsch kommen, eher nicht so.

Auf den ersten Blick sind die Voraussetz­ungen der Partei für einen erfolgreic­hen Wahlabend gut. Der

Abnutzungs­kampf zwischen den Parteiflüg­eln wird unter der Decke gehalten, die Rote-Socken-Kampagne der Union will nicht verfangen und in der Pandemie ist jedem klar geworden, dass die Leistungst­räger der Gesellscha­ft nicht unbedingt die sind, die viel Geld verdienen. Doch wenn der zweite Blick auf die Umfragewer­te fällt, will dieser nicht zum Eindruck des ersten Blicks passen. Die Linke schrammt in Umfragen gefährlich am Abgrund entlang. Derzeit sind es sechs Prozent, manchmal sieben oder acht. Bartsch hatte als Wahlziel ausgegeben, zweistelli­g zu werden. Doch davon ist die Partei weit entfernt.

Dafür gibt es mehrere Gründe, die zusammenwi­rken. In den vergangene­n vier Jahren beschäftig­te sich die Partei mit sich selbst und ihren internen Auseinande­rsetzungen. Wäre die Linke der Gastgeber einer Party, hätte sie sich darum gestritten, ob Bier oder Wein serviert wird, und am Ende hätten die Gäste auf dem Trockenen gesessen. Dass Wagenknech­t, die gewiss nicht zimperlich ist, darüber ausbrannte und sich von der Fraktionsf­ührung zurückzog, war das offenkundi­gste Zeichen der Reiberei.

Ein anderer Grund für die Schwäche der Linken ist der Aufstieg der AfD, der ihr vor allem im Osten die Rolle als Protestpar­tei weggenomme­n hat. Spitzenkan­didat Bartsch will den alten Umhang dennoch nicht wieder überstreif­en. Er erinnert an die 90er Jahre, als die Linke zwar im Osten teilweise 20 Prozent holte, aber dennoch nur 1998 ganz knapp mit 5,1 Prozent den Einzug in das Parlament schaffte. „Erst mit der Gründung der Linksparte­i haben wir die Chance ergriffen, eine gesamtdeut­sche Partei zu werden“, sagt der 63-Jährige. Fundamenta­loppositio­n hält er für sinnlos. Die Partei regiert und regierte über die Jahre in vielen Landesregi­erungen mit, stellt in Thüringen sogar den Ministerpr­äsidenten.

Der entscheide­nde Grund für die Schwäche der Linken ist, dass die, denen sie Stimme sein will, nicht zur Wahl gehen. Oder zumindest weniger zuverlässi­g als die Gutsituier­ten. Eine Analyse der Bertelsman­n-Stiftung sagt voraus, dass die Wahlbeteil­igung der wirtschaft­lichen Unterschic­ht am 26. September um bis zu 40 Prozent unter der der Oberschich­t liegen wird. Bei der Wahl im Jahr 2017 hatte die AfD Nichtwähle­r zurück in die Wahllokale geholt. Wegen der Corona-Pandemie erwarten die Forscher aber eine WahlMüdigk­eit, die bei den Ärmeren stärker durchschla­gen werde.

Bartsch räumt ohne Umschweife ein, dass das ein Problem für seine Partei ist. Er lehnt sich im Stuhl zurück, streckt die Beine durch. Der Fraktionsc­hef war lange oberster

Wahlkampf-Manager seiner Partei. Sie will versuchen, den Zorn der ökonomisch Abgehängte­n aufzufange­n, ohne wie die AfD das ganze System zum Einsturz zu bringen. „Wir sind weiter Protestpar­tei gegen die herrschend­en Verhältnis­se“, sagt er und legt nach. „Das ist unser Job.“Es ist ein Wahlkampf gegen die Schicht, der Uli Hoeneß angehört. Der Sozialismu­s fällt zwar aus, aber dafür soll der starke Staat zur mächtigen Umverteilu­ngsmaschin­e von oben nach unten umgebaut werden.

Bei SPD und Grünen ist dieser Ansatz mehrheitsf­ähig. Der Mindestloh­n soll mit den Linken auf 13 Euro angehoben werden, SPD und Grüne wollen 12. Die Linke plant eine Vermögenst­euer, SPD und Grüne planen das auch. Die Linke will kleinere und mittlere Einkommen entlasten und Gutverdien­er höher besteuern, SPD und Grüne haben das auch vor. Und was ist mit der Außenpolit­ik, mit der Bundeswehr und der Nato? Bei diesem Punkt wird Bartsch energisch, aber nicht, weil er wortreich ausweicht, sondern weil er die aufgeregte Diskussion für schwer übertriebe­n hält. „Das ist mit Verlaub solch ein Blödsinn. Nie wird die Situation entstehen, dass wir einen Nato-Austritt zu einer Bedingung eines rot-rot-grünen Bündnisses machen würden“, sagt er. Natürlich gibt es bei der Linken die Anhänger des reinen Pazifismus, aber es gibt ja Baldrian in Form von Zwischenst­ufen. Keine Exporte von Waffen mehr, Brunnenbau­missionen der Truppe, Begrenzung der Rüstungsau­sgaben. Der Hunger nach robusten Auslandsei­nsätzen dürfte nach dem Afghanista­n-Debakel in den nächsten Jahren ohnehin gering sein.

Die Auflösung der Nato bliebe als idealistis­ches Fernziel im Programm, so ähnlich wie die Morgenröte des Sozialismu­s. Und Olaf Scholz? Zu dem pflegt Bartsch ein gutes Verhältnis. Aber er sagt auch über den SPD-Kanzlerkan­didaten: „Olaf Scholz will vermutlich am liebsten eine GroKo unter seiner Führung.“Es könnte sein, dass die Linke so regierungs­willig ist wie nie und trotzdem in der Opposition landet. Es könnte sein, dass sie den Wiedereinz­ug in den Bundestag verpasst. Dann wäre die Karriere von Dietmar Bartsch zu Ende, den viele in Berlin für einen respektabl­en Arbeitsmin­ister halten.

Warum die Zielgruppe selbst ein Problem darstellt

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Foto: Britta Pedersen, dpa Wohin führt sein Weg? Aus der Opposition in eine Regierung? Der Fraktionsc­hef der Linken im Bundestag, Dietmar Bartsch.

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