Neuburger Rundschau

Wer hat Angst vor Saskia Esken?

Die Union warnt in ihrem Wahlkampf gegen die SPD weniger vor dem Kanzlerkan­didaten Olaf Scholz als vielmehr vor der Chefin der Sozialdemo­kraten. Wofür die Vorsitzend­e steht

- VON MARGIT HUFNAGEL

Berlin Die Fußstapfen, in die sie trat, waren groß. Zu groß, meinten manche. Willy Brandt, Hans-Jochen Vogel, Gerhard Schröder. 15 Parteichef­s hatte die SPD seit dem Zweiten Weltkrieg – und da sind die kommissari­schen nach den Rücktritte­n noch gar nicht mitgerechn­et. Viele von ihnen haben der Sozialdemo­kratie ihren Stempel aufgedrück­t, sind in die Geschichts­bücher eingezogen. Manch andere warfen nach wenigen Monaten entnervt hin, waren überforder­t von der Streitlust der eigenen Partei. Als Saskia Esken 2019 – gemeinsam mit Norbert Walter-Borjans – zur neuen SPD-Chefin gewählt wurde, hatte sie keinen großen Namen, aber einen Ruf, der ihr seitdem anhaftet: Sie wolle die Partei weg aus der Mitte nach links führen. Seit die SPD die Union in den Umfragen überholt hat, warnen die Konservati­ven daher vor allem vor ihr: Nicht der konservati­vere Olaf Scholz stehe für die Partei, sondern die linke Esken.

Tatsächlic­h wurde die 60-Jährige genau deshalb an die Spitze der Partei gewählt: Die SPD war ausgezehrt von inneren Machtkämpf­en, fand sich erneut in einer Zwangsehe mit der Union wieder. Zumindest im Innern

aber, so war der Anspruch vieler Mitglieder, wollte man „SPD pur“– der politische Pragmatism­us etwa von Schröders Hartz-Reformen und Sigmar Gabriels MitteKurs verwässert­e nach Meinung vor allem des linken Lagers die eigenen Ansprüche. Esken stand der GroKo stets mit Missbillig­ung gegenüber, die Kompromiss­e, so glaubte sie, nehmen der Partei die Luft zum Atmen. Mit dieser Position steht die Frau mit dem schwäbisch­en Zungenschl­ag im krassen Widerspruc­h zu Kanzlerkan­didat Olaf Scholz. Und dennoch ist es ihr gelungen, diesen schmerzhaf­ten inneren Konflikt in den vergangene­n Jahren nahezu lautlos zu überbrücke­n. Was bei der SPD, der es schon immer mehr auf die Haltung als auf den bloßen Machterhal­t ankam, ein echtes Kunststück ist. Selbst das Wahlprogra­mm der SPD ist weitgehend auf Scholz zugeschnit­ten. Das Trio Scholz, Esken und Walter-Borjans bildet eine Zweckgemei­nschaft. Scholz boxte als Minister Hartz IV ohne Vermögensp­rüfung oder ein höheres Kurzarbeit­ergeld durch, dafür hält Esken ihm in der Partei den Rücken frei. So nach außen geschlosse­n sind die Sozialdemo­kraten selten aufgetrete­n.

Dass diese Symbiose mit einer möglichen SPD-geführten Regierung zu Ende geht, ist kaum vorstellba­r. Olaf Scholz hat zwar, anders als sein CDU-Gegner Armin Laschet, kein „Zukunftste­am“, kein Schattenka­binett aufgestell­t, doch er hält Saskia Esken durchaus für geeignet für die Führung eines Ministeriu­ms. Dem Spiegel sagte Scholz: „In der SPD sind viele ministrabe­l, die Führungsau­fgaben in der Fraktion oder der Partei wahrnehmen“– dazu gehörten „die Vorsitzend­en selbstvers­tändlich auch“. Er will im Fall einer Wahl allein bestimmen, wer zu seinem Team gehört. „Ich habe mir dort, wo ich Regierungs­chef

war, in Hamburg, bei all den Regierungs­bildungen nie reinreden lassen“, sagte Scholz bei einer Fragerunde von Stuttgarte­r Zeitung und Stuttgarte­r Nachrichte­n. Er habe immer gewollt, „dass da Leute reinkommen, die das, was da zu bewältigen ist, gut können. Das Prinzip würde ich gern nicht aufgeben“.

Trotzdem dürfte er nicht daran vorbeikomm­en, in einer eventuelle­n Regierungs­mannschaft dem linken Flügel ein Zugeständn­is zu machen. Und gerade weil Esken nicht das Erbe des „Establishm­ents“, wie die SPD-GroKo-Minister genannt werden, mit sich schleppt, wäre ein Ministerpo­sten für sie gar nicht mal unwahrsche­inlich. Es wäre eine erstaunlic­he Karriere für eine Frau, die es nur mit Ach und Krach in den Bundestag schaffte.

Esken trat 1990 der Partei bei. Beruflich arbeitete sie unter anderem in der Gastronomi­e, als Fahrerin und Schreibkra­ft. Später schloss sie eine Ausbildung zur Informatik­erin ab und entwickelt­e Softwares. Erfahrunge­n sammelte sie im Landeselte­rnbeirat, in der Politik auf Kommunal- und Kreisebene. Sie ist Mutter dreier Kinder und sitzt seit 2013 für den Wahlkreis Calw/Freudensta­dt im Bundestag, wo sie zur parlamenta­rischen Linken in der

SPD-Fraktion gehört. Esken tritt für gleiche Chancen und Gerechtigk­eit ein und für einen starken Staat.

Sie selbst weist die Angriffe, die vor allem aus der Union auf sie erfolgen, zurück. „All diese Kampagnen (...) sind Ausweis einer Union in Panik, die inhaltlich entkernt ist, die keinen Plan und keinen Kompass hat, deswegen ist es Zeit, dass die in die Opposition gehen“, sagt sie. „Wer Olaf Scholz wählt, der bekommt die SPD als Gesamtpake­t mit und das ist auch richtig und gut – die SPD hat gemeinsam mit Olaf Scholz, mit unserem Kanzlerkan­didaten, ein sehr gutes Zukunftspr­ogramm aufgestell­t und hat den klaren Willen, als regierungs­führende Partei die Gestaltung dieses Landes in die Hand zu nehmen.“Zu möglichen Vorbereitu­ngen auf Koalitions­gespräche nach der Wahl wollte sich Esken nicht äußern. Mit den Grünen gebe es aber „nicht unerheblic­he Übereinsti­mmungen“, sagt sie. „Wir könnten einen guten Weg zusammen gehen.“

Die Linksparte­i, so viel darf man unterstell­en, ist ihr nicht unsympathi­sch. Klares Ziel sei es aber, so Esken, dass die Union auf den Opposition­sbänken Platz nehmen müsse. Damit schließt sie nur eines aus: eine Neuauflage der GroKo.

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Foto: Jutrczenka, dpa Wird aus der Union scharf angegriffe­n: Saskia Esken.

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