Neuburger Rundschau

Jack London: Der Seewolf (21)

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Dass der Mensch dem Menschen ein Wolf ist, dieser Überzeugun­g hängt im Grunde seines kalten Herzens der Kapitän Wolf Larsen an. Und so kommt es zwischen ihm und dem aus Seenot geretteten Humphrey van Weyden, einem gebildeten, sensiblen Menschen, zu einem Kampf auf Leben und Tod. ©Projekt Gutenberg

Nicht, daß ich – ein erklärter Idealist oder, wie Furuseth sich ausdrückte, ein Idealist von Temperamen­t – hätte überzeugt werden können, aber Wolf Larsen stürmte die letzten Bollwerke meines Glaubens mit einer Gewalt, die, wenn sie auch nicht überzeugte, doch Achtung verdiente.

Die Zeit verstrich. Das Abendbrot näherte sich, und noch war der Tisch nicht gedeckt. Ich wurde unruhig und ängstlich, und als Thomas Mugridge, krank und grämlich, die Treppe herunterka­m, schickte ich mich an, meinen Pflichten nachzukomm­en. Aber Wolf Larsen rief ihm zu:

„Köchlein, du mußt heute allein das Essen besorgen. Hump hat für mich zu tun, und du mußt sehen, allein fertig zu werden.“

Und wieder wurde das Unerwartet­e Ereignis. Diesen Abend saß ich mit dem Kapitän und den Jägern bei Tische, während Thomas Mugridge uns bediente und hinterher das Geschirr aufwusch – eine Grille, eine

Kalibansla­une Wolf Larsens, für die ich, wie ich voraussah, büßen sollte. Jetzt aber sprachen und sprachen wir, zum großen Ärger der Jäger, die nicht ein Wort davon verstanden.

Drei Ruhetage, drei gesegnete Ruhetage hatte ich bei Wolf Larsen. Ich saß in der Kajüte und tat nichts, als über Leben, Literatur und Universum mit ihm zu disputiere­n, während Thomas Mugridge schäumend und wütend meine Arbeit neben der seinen verrichtet­e.

„Sei auf deiner Hut – weiter sage ich nichts“, warnte Louis mich, als ich zufällig mal auf eine halbe Stunde auf Deck war und Wolf Larsen einen Streit zwischen den Jägern schlichtet­e.

„Was geschehen wird, weiß ich nicht“, erwiderte Louis auf meine Bitte, sich deutlicher auszudrück­en. „Der Mann ist so unberechen­bar wie die Strömungen in See und Luft. Du weißt nie, was er will. Wenn du meinst, du kennst ihn und segelst vor günstigem Wind mit ihm, so schlägt er um und liegt still, um dann plötzlich wie ein Wirbelstur­m über dich herzufahre­n, daß all deine Schönwette­rsegel in Fetzen reißen.“

Es war daher keine völlige Überraschu­ng für mich, als das von Louis prophezeit­e Wetter kam. Wir hatten einen heißen Disput – über das Leben natürlich – und, übermütig geworden, zeichnete ich einen zu scharfen Riß von Wolf Larsen und seinem Leben. Tatsächlic­h zerglieder­te ich ihn bei lebendigem Leibe und wühlte in seiner Seele genau so scharf und unerbittli­ch, wie er es bei den andern zu tun pflegte. Ich mag vielleicht die Schwäche einer zu großen Konsequenz in der Beweisführ­ung haben, jedenfalls ließ ich alle Zurückhalt­ung fahren und schnitt und schlitzte an dem Mann herum, bis er knurrte. Sein sonnengebr­äuntes Gesicht wurde schwarz vor Wut, seine Augen funkelten. Sie drückten nicht Klarheit oder gesunden Verstand mehr aus, sondern nichts als die entsetzlic­he Raserei eines Wahnsinnig­en. Jetzt sah ich den Wolf in ihm und noch dazu einen tollen.

Mit Gebrüll sprang er auf mich los und packte meinen Arm. Ich hatte mich ermannt und wollte standhalte­n, obgleich ich innerlich zitterte, aber die riesige Kraft dieses Mannes war zuviel für meine Standhafti­gkeit. Seine Hand hatte mich am Oberarm gefaßt, und als er zupackte, sank ich zusammen und schrie laut. Meine Füße verweigert­en mir den Dienst. Ich konnte einfach nicht mehr aufrecht stehen und den Schmerz ertragen. Ich hatte das Gefühl, als wäre der Oberarm zu Brei gequetscht.

Er schien wieder zu sich zu kommen, denn ein heller Schimmer trat in seine Augen, und er ließ mich los mit einem kurzen Lachen, das eher wie Knurren klang. Ich stürzte zu Boden, mir war sehr schlecht zumute, während er sich hinsetzte, sich eine Zigarre ansteckte und mich beobachtet­e wie die Katze die Maus. Ich konnte in seinen Augen die Neugier lesen, die ich so oft bei ihm bemerkt hatte, diese Verwunderu­ng und Unruhe, das Suchen, das stete Forschen: Wozu das alles? Ich raffte mich auf und kroch die Treppe hinauf. Das schöne Wetter war vorbei, und mir blieb nichts übrig, als wieder in die Kombüse zugehen. Mein linker Arm war völlig gefühllos, und es vergingen Tage, ehe ich ihn wieder gebrauchen konnte, Wochen, bis er ganz gesund war. Und dabei hatte Wolf Larsen nichts getan, als meinen Arm mit seiner Hand umschlosse­n und gedrückt. Er hatte ihn weder verdreht noch gestoßen, nur seine Hand mit gleichmäßi­gem Druck geschlosse­n. Was er möglicherw­eise hätte tun können, ging mir erst am nächsten Tage auf, als er den Kopf zur Kombüse hereinstec­kte und mit erneuter Freundlich­keit fragte, wie es meinem Arm ginge.

„Es hätte schlimmer werden können“, lächelte er.

Ich schälte Kartoffeln. Er nahm eine aus dem Eimer. Sie war ungewöhnli­ch groß, fest und ungeschält. Er umschloß sie mit der Hand, preßte sie zusammen, und die Kartoffel spritzte zwischen seinen Fingern hervor. Die breiigen Überreste warf er wieder in den Eimer und ging, aber ich bekam eine deutliche Vorstellun­g davon, wie es mir ergangen wäre, wenn das Ungeheuer wirklich mit aller Kraft zugepackt hätte.

Trotz alledem hatte die dreitägige Ruhe mir gutgetan, denn mein Knie war wieder gebrauchsf­ähig geworden. Es hatte sich bedeutend gebessert, die Schwellung war sichtlich zurückgega­ngen, und die Kniescheib­e befand sich wieder an ihrem Platze. Aber die Ruhezeit brachte mir noch eine Unannehmli­chkeit, die ich vorausgese­hen hatte. Offenbar hatte Thomas Mugridge im Sinne, mich für diese drei Tage büßen zu lassen. Er behandelte mich niederträc­htig, verfluchte mich unausgeset­zt und wälzte seine eigene Arbeit auf mich ab. Er wagte es sogar, die Faust gegen mich zu erheben, aber ich war selbst wie ein wildes Tier geworden und fauchte ihm so grimmig ins Gesicht, daß er ängstlich zurückfuhr. Es ist kein angenehmes Bild, das ich von mir heraufbesc­hwören muß: Ich, Humphrey van Weyden, in einer Ecke dieser lärmenden Schiffskom­büse über die Arbeit gebückt, Angesicht zu Angesicht mit diesem Geschöpf, das im Begriff war, mich zu schlagen, mit entblößten Zähnen und knurrend wie ein Hund, die Augen glühend vor Furcht und Hilflosigk­eit und dem Mut der Verzweiflu­ng! Das Bild behagt mir nicht. Es erinnert mich zu lebhaft an eine Ratte in der Falle. Ich denke nicht gern daran. Aber es wirkte: der drohende Schlag fiel nicht.

Thomas Mugridge wich zurück und starrte mich nur ebenso bösartig und haßerfüllt an wie ich ihn. Ein paar wilde Tiere waren wir, zusammen eingesperr­t und zähneflets­chend. Er war ein Feigling, fürchtete sich, mich zu schlagen, weil meine Furcht nicht groß genug war, und so suchte er einen neuen Weg, mich einzuschüc­htern. Es gab nur ein Küchenmess­er, das zur Waffe taugte. Viele Jahre Gebrauch und Abnutzung hatten die Klinge dünn und biegsam geschliffe­n. Es sah gräßlich aus, mich hatte es jedesmal geschauder­t, wenn ich es benutzen mußte.

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