Was die Wirtschaft zum Wahlausgang sagt
Während in Berlin die Parteien mit ersten Gesprächen beginnen, formulieren Industrie und Handwerk ihre Erwartungen an eine neue Regierung. Ifo-Chef Fuest erklärt die Erleichterung über den Ausschluss der Linken
Augsburg Schnell soll es gehen, darin waren sich Vertreterinnen und Vertreter von Unternehmen und Verbänden gleich nach der Bundestagswahl einig. Die neue Bundesregierung solle doch bitte noch vor Weihnachten ihre Arbeit aufnehmen. Doch in den erst beginnenden Gesprächen wird viel davon abhängen, was die Parteien glauben, ihren Anhängern zumuten zu können. Daher lohnt sich der Blick auf die Motive der Wählerinnen und Wähler. KarlRudolf Korte, Direktor der NRW School of Governance, hat ihn nun beim Konjunkturgespräch der IHK Schwaben gewagt. Sein Fazit: Das Virus hat die Wahl entschieden – und das, was wir während der Krise gelernt haben, kann eine Chance sein für eine neue Koalition.
„Es ist der Charme von Büroleitern, der uns fasziniert“, sagt Korte. Die Menschen in Deutschland wählten niemanden, der einen radikalen Wandel verkörpere, sondern lieber einen „Extremisten des Normalen“. Nach 16 Jahren Merkel herrschte, nach Korte, auch im Wahlkampf „verlässliche Langeweile“. Die Parteien hätten es schwer gehabt, mit Großveranstaltungen zu mobilisieren. Profitiert habe die FDP mit ihrem Freiheitsversprechen. Verloren habe die AfD mit ihrer Fundamentalkritik am Establishment, da diese etablierten Kräfte nun viele Menschenleben gerettet hätten. In der Bevölkerung habe eine stabile Ambivalenz geherrscht zwischen der Macht der Erschöpfung, der Sehnsucht nach Normalität auf der einen Seite und dem Wunsch nach Veränderung auf der anderen. Unter drei schwachen Kandidaten habe Olaf Scholz dieses Gefühl am besten aufgefangen, analysiert Korte.
Doch in den Hinterlassenschaften von Corona liege auch eine Chance für die neue Koalition. In der Krise sei es plötzlich möglich gewesen, nationale Grenzen zu schließen oder Angestellte massenhaft ins Homeoffice zu schicken. Das zeige, so Korte: „Glaubenssätze haben in der Politik keinen Bestand mehr.“Es gebe keine alternativlose Politik. Eine neue Koalition mit gelb-grünem Kern könne es sich zum Projekt machen, das Land zu einem Resilienzweltmeister zu machen. Widerstandsfähigkeit gegen Krisen könne den Standort stabilisieren, so Korte.
Dass an Krisen und Herausforderungen auch nach Corona kein Mangel herrscht, da stimmen die Vertreter der heimischen Wirtschaft in ihren Einschätzungen nach der Wahl zu. IHK-Präsident Andreas Kopton hat auch schon klare Vorstellungen, was die neue Koalition anpacken muss: „Das künftige Regierungsbündnis muss unter anderem eine digitale Dekade einläuten, Anreize für Innovationen beispielsweise in Mobilität setzen, die Kosten- und Bürokratiebelastung senken, die Energiewende professioneller und die berufliche Bildung attraktiver gestalten.“Viel Arbeit also für das neue Kabinett.
Das bekräftigt auch IHK-Hauptgeschäftsführer Marc Lucassen, der den Wahlausgang grundsätzlich positiv sieht. Zwei Koalitionsmöglichkeiten, die sich noch dazu relativ ähnlich sähen, begrenzten die Unsicherheit. Er sagt: „Nach 16 Jahren Angela Merkel zieht ein neuer Kanzler ins Kanzleramt ein, und damit gibt es die Chance auf Erneuerung. Aus Sicht der Wirtschaft ist die auch dringend notwendig, weil wir einen Innovations- und Reformstau haben.“
Der Präsident der Handwerkskammer für Schwaben, Hans-Peter
Rauch, sieht im Wahlergebnis einen Beweis dafür, dass viele Menschen ihre politische Heimat verloren hätten. Sein Fazit: „Alte Loyalitäten zählen nicht mehr, wenn sich Anhängerschaften nicht mehr klar adressiert und vertreten fühlen.“
HWK-Hauptgeschäftsführer Ulrich Wagner fordert drei Handlungsprioritäten für die Wahlsieger: „Die Betriebe und ihre Beschäftigten müssen finanziell entlastet, die berufliche Bildung stärker gefördert und der Klimaschutz ökonomisch sinnvoll vorangebracht werden.“
Ob es zu einer Regierung mit grün-gelbem Kern kommt, ist offen. Clemens Fuest, Präsident des Münchner Ifo-Instituts und zweiter Gast bei der IHK-Veranstaltung, wollte die Wiederauferstehung der Großen Koalition nicht ganz ausschließen, auch wenn derzeit niemand dieses Ergebnis wolle. Im Gespräch mit unserer Redaktion sagte er: „Ich glaube, das wichtigste Ergebnis ist, dass wir keine Linkskoalition kriegen, also keine Koalition unter Einschluss der Linken.“Der Unterschied für die Wirtschaftspolitik sei bei dieser Koalition im Vergleich zu den anderen am größten.
„Die Linkskoalition hätte mit Vermögenssteuer und vielen Abgabenerhöhungen einen ganz anderen Weg eingeschlagen. Das kann die Politik so entscheiden, mehr Fokus auf Umverteilung, weniger auf Wachstum. Aber für die wirtschaftliche Entwicklung hätte das einen großen Unterschied gemacht. Ich denke, dass nun die wirtschaftliche Erholung Priorität haben muss. Wir müssen zu Wachstum kommen, zu nachhaltigem Wachstum, um die umfassende Transformation, die Digitalisierung und die Dekarbonisierung leisten zu können“, so Fuest.