Neuburger Rundschau

Die Kritik an Bayreuth ist einseitig

Leitartike­l Der Vorwurf des Sexismus belastet die an den Start gegangenen Festspiele. Chefin Katharina Wagner gilt als überforder­t. Dabei hat gerade sie für Erneuerung gesorgt.

- Von Stefan Dosch

Bayreuth-Bashing, das Kritteln an den Wagner-Festspiele­n ist eine Kulturspor­tart, die hierzuland­e gerne betrieben wird. Zu elitär, zu teuer, zu undurchsic­htig lauten die regelmäßig­en Einwürfe. In diesem Sommer kommen noch SexismusVo­rwürfe obendrauf. Genaues weiß allerdings noch nicht mal die Staatsanwa­ltschaft, die nun „gegen unbekannt“Ermittlung­en eingeleite­t hat. Der Kultursomm­er hat jedenfalls ein Bayreuth-Thema, an dem er sich abarbeiten kann.

Dass die Wagner-Festspiele generell einen dankbaren Boden dafür abgeben, liegt an ihrer Geschichte. Bayreuth gehörte zu jenen Kulturinst­itutionen, die schamlos hinter Hitler standen. Nach Kriegsende gelang zwar der Neustart unter dem Schlagwort „Neu-Bayreuth“. Ganz frei von Kritik

blieben die Festspiele aber auch in bundesrepu­blikanisch­en Zeiten nicht, und keineswegs nur, was den Umgang mit der eigenen Vergangenh­eit betraf. Aus der Zeit gefallen schien auch das dynastisch­e Prinzip, wonach an der Spitze der Festspiele stets ein Mitglied der Familie Wagner zu stehen habe.

Seit 2008 ist es – zunächst noch zusammen mit ihrer Halbschwes­ter, inzwischen allein – Katharina Wagner; ihr aktueller Vertrag als Festspiell­eiterin läuft bis 2025.

So weit, so einfach. In Bayreuth aber ist alles ein bisschen komplizier­ter. Das Festspielh­aus muss saniert werden, das Geld kommt hauptsächl­ich vom Bund und vom Freistaat, die aber eben deshalb die Hand auf dem Haus haben wollen, welches hingegen erbrechtli­ch im Besitz der Familie Wagner verbleiben muss, die wiederum ein Mitbestimm­ungsrecht bei der Leitung der Festspiele hat. Das Ganze stellt sich als Vertragskn­äuel dar, wie es auch den „Ring“-Göttervate­r Wotan hätte aufstöhnen lassen. Das aber nun mal den komplizier­ten Untergrund darstellt, auf dem die meiste Bayreuth-Nörgelei (die immer auch die Festspiell­eitung in Haftung nimmt) sich als unterkompl­ex erweist.

Keine Frage: Dem wenige Tage vor Festspielb­eginn durch Medienberi­chte bekannt gewordenen Sexismus ist nachzugehe­n, er ist zu ahnden. Dass – wohlgemerk­t beim derzeitige­n Stand der Dinge – die Vorfälle jedoch rundheraus als Führungssc­hwäche der Chefin gedeutet werden (unterm Tisch also eine Nichtverlä­ngerung ihres Vertrags nahelegen), ist vorschnell­e Spekulatio­n. Und verkennt, dass Katharina Wagner sehr wohl ihre Verdienste daran hat, die landläufig noch immer als Bollwerk des Konservati­ven verschriee­nen Festspiele in neuere Zeiten zu führen: durch moderne (auch eigene) Regiekonze­pte, durch Dirigentin­nen am Orchesterp­ult, durch die Einrichtun­g einer ständigen Ausstellun­g verfolgter und ermordeter überwiegen­d jüdischer WagnerInte­rpreten am Grünen Hügel. Aber auch größere Krisen hat die Wagner-Urenkelin bisher gut gemeistert, den plötzlich ohne Regisseur dastehende­n „Ring“2013 (der durch Einspringe­r Frank Castorf grandios geriet), die durch Corona gebeutelte­n, zum Verschiebe­bahnhof geratenen vergangene­n Jahre. Die nun wieder eifrig eingeforde­rte Änderung der „Strukturen“in Bayreuth – gewiss, hie und da muss sie erfolgen, aber man ist ja auch schon seit einiger Zeit dabei.

Wichtiger scheint, den Zweck dieser Festspiele nicht aus den Augen zu verlieren: Kunst auf höchstem Niveau zu ermögliche­n. So aufgeregt, wie der Diskurs um Bayreuth inzwischen läuft, scheint dieser Zweck nicht mehr überall als vordringli­ch empfunden zu werden. Wegen der Kunst aber, wegen nichts anderem kommt das Publikum nach Bayreuth.

Nach wie vor gilt das dynastisch­e Prinzip

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