Neuburger Rundschau

„Die Chance ist groß, dass wir bald das Gröbste hinter uns haben“

Der Immunologe Carsten Watzl spricht über Masseninfe­ktionen, wann eine vierte oder fünfte Impfung Sinn macht, was die neuen Omikron-Impfstoffe können – und wie er sich selbst trotz Impfung mit Corona infiziert hat.

- Interview: Michael Pohl

Herr Professor Watzl, viele Menschen sind derzeit verunsiche­rt, weil sie sich trotz Impfung mit der Omikron-Variante anstecken. Wie gut wirken die Impfungen noch? Watzl: Auch mich hat Corona gerade erwischt. Jetzt habe ich mir den Omikron-Booster sozusagen auf natürliche Weise ohne neuen Impfstoff geholt. Ich lag zwei Tage mit Fieber im Bett und dann haben die Gedächtnis­zellen meines Immunsyste­ms aus der Impfung getan, was sie tun sollten, und dann ging es mir schnell besser.

Wie waren Sie vorher geimpft? Dreifach oder vierfach?

Watzl: Dreifach geimpft. Ich habe ja immer gesagt, dass die vierte Impfung mit dem jetzigen Impfstoff für gesunde unter 60-Jährige zum jetzigen Zeitpunkt keinen Sinn macht. Man hat zwar das Risiko einer Infektion, aber man wird nicht wirklich krank. Ich habe im Prinzip darauf gewartet, wann die Omikron-Variante BA.5 auch mich erwischt, auch wenn ich es nicht herausgefo­rdert habe.

Das heißt, Sie unterschei­den bei Corona zwischen infiziert und wirklich krank, obwohl Sie mit Fieber im Bett lagen?

Watzl: Ja, so unterschei­det man in den Studien. Man kann schon Fieber und Symptome haben und eine Woche ausgeknock­t sein, dann werten wir das noch als symptomati­sche Infektion. Ein schwerer Verlauf der Erkrankung bedeutet, wenn man wegen Covid ins Krankenhau­s muss oder gar auf die Intensivst­ation oder schlimmer. Ich kann zwar nachvollzi­ehen, wenn Menschen, die mit Fieber oder noch unangenehm­eren Symptomen im Bett liegen, denken: Jetzt bin ich dreimal geimpft, das kann doch nicht sein, da hat die Impfung nicht gewirkt. Doch das stimmt nicht, die Impfung schützt vor der schweren Erkrankung. Manchmal dauert es ein paar Tagen, bis die Immunzelle­n ihre Arbeit machen.

Wann ist ein Booster sinnvoll? Die Ständige Impfkommis­sion sagt, erst ab 70 Jahren oder für Risikogrup­pen. Gesundheit­sminister Karl Lauterbach rät es allen Erwachsene­n, weil dann auch die reine Infektion seltener ist.

Watzl: Es ist richtig, dass nach der dritten Impfung, die bei vielen ein halbes Jahr oder auch länger her ist, der Schutz vor der reinen Infektion mit der Zeit nachlässt und man vor der reinen Infektion nicht mehr so gut geschützt ist. Aber als gesunde Person ohne Vorerkrank­ungen ist man immer noch sehr gut vor einem schweren Verlauf

geschützt. Deshalb sehe auch ich eine Empfehlung einer vierten Impfung für alle als nicht sinnvoll an, solange es noch keine neuen Impfstoffe gegen Omikron gibt. Der jetzige Impfstoff wirkt wie eine Auffrischu­ng und stellt mit der vierten Impfung den Schutz wieder her, den man kurz nach der dritten Impfung hatte. Erste Studiendat­en zeigen aber, dass die Omikron-Impfstoffe tatsächlic­h wie ein Booster als Verstärker wirken: Man hat eine deutlich bessere Immunantwo­rt gegen Omikron, als man es nach der dritten Impfung erreicht hat. Deshalb bin ich eher bei der Stiko: Jetzt sollten sich über 70-Jährige und die Risikogrup­pen zum vierten Mal impfen lassen. Jedem jetzt erst ein viertes Mal Impfen und im Herbst ein fünftes Mal zu raten, das führt eher zu einer Impfmüdigk­eit der Bevölkerun­g.

Was passiert, wenn wir im Winter eine sehr hohe Welle haben? Experten sagen, mit einer BoosterImp­fkampagne könnte man sie stärker absenken als mit fast allen anderen Maßnahmen ...

Watzl: Es ist richtig, mit der Kampagne für die dritte Impfung als

Booster haben wir uns erfolgreic­h aus der Delta-Welle herausgeim­pft. Das könnte man mit angepasste­n Impfstoffe­n wahrschein­lich auch gegen Omikron schaffen. Die Frage ist, müssen wir das unbedingt? Oder reicht es, wenn wir Infektione­n zwar auf hohem Niveau haben, aber nicht so hoch, dass wir große Probleme bekommen? Dazu sind auch Hygienemaß­nahmen notwendig. Die Politik muss einen gewissen Maßnahmen-Katalog vorbereite­n, den man im Winter hervorhole­n kann. Man wird keinen Lockdown brauchen, aber Masken in Innenräume­n und Regeln für Arbeitsstä­tten, um zu hohe Infektions­zahlen zu begrenzen. Aber nicht nur durch die Impfungen, sondern auch durch die vielen erfolgten Omikron-Infektione­n ist die Immunität in der erwachsene­n Bevölkerun­g inzwischen deutlich gestiegen. Man kann davon ausgehen, dass sie bereits bei 95 Prozent liegt und die Ausgangsla­ge diesen Herbst damit besser ist. Aber es geht immer auch darum, zu viele Krankheits­ausfälle zu vermeiden, die in wichtigen Bereichen Probleme bereiten, und auch das Risiko zu vermindern, dass sich vulnerable Gruppen infizieren.

Bereitet es Ihnen Sorge, dass es so viele Intensivpa­tienten mit Corona gibt wie noch nie im Sommer?

Watzl: Das liegt an den OmikronVar­ianten. In den vergangene­n beiden Sommern hatten wir sehr niedrige Inzidenzza­hlen, jetzt sind sie um ein Vielfaches höher. Das erhöht natürlich das Ansteckung­srisiko für vulnerable Gruppen, bei denen aufgrund eines schwächere­n Immunsyste­ms die Impfung nicht so gut wirkt. Für die große Risikogrup­pe der älteren Menschen müssen wir in Deutschlan­d viel stärker konsequent auf antivirale Mittel wie Paxlovid setzen. Hier müssen wir die Betroffene­n und die Ärzteschaf­t aufklären. Ich kenne einige Hausärzte, die bereits ihre Patientena­kten durchgehen und Gefährdete aktiv ansprechen, damit sie sofort bei einer möglichen Corona-Infektion in die Praxis für ein Paxlovid-Rezept kommen. Dieses Medikament kann zu 80 Prozent Krankenhau­saufenthal­te verhindern, wenn es spätestens drei bis fünf Tage nach der Infektion genommen wird. Mittlerwei­le

haben die deutschen Apotheken das Mittel ausreichen­d vorrätig, sodass auch bei uns viel mehr verschrieb­en werden kann. Infizierte können es einfach als Tablette zu Hause einnehmen.

Warum dauert es so lange, bis die angepasste­n Impfstoffe auf den Markt kommen? Anfangs hieß es April, nun eher Herbst …

Watzl: Beide Hersteller haben auch schon vorproduzi­ert, aber die Zulassungs­behörden wollten klinische Daten im Vergleich zu den bisherigen Impfstoffe­n. Die Daten liegen nun vor und nun liegt der Ball bei der europäisch­en Arzneimitt­elaufsicht EMA und der amerikanis­chen FDA. Die Daten für den an BA.1 angepasste­n Impfstoff sehen aber bereits ganz gut aus. Bereits dreifach Geimpfte und auch infiziert und Geimpfte bekommen dadurch einen deutlich besseren Immunschut­z.

Was würden Sie denn jetzt jemandem mit 65 raten? Soll man auf den angepasste­n Impfstoff warten?

Watzl: Wenn man mit 65 ansonsten gesund ist und bereits dreimal geimpft ist, kann man noch ein bisschen warten, um sich den Booster zu holen. Wenn man irgendwelc­he Vorerkrank­ungen hat oder stark übergewich­tig ist, dann ist es durchaus sinnvoll, sich schon jetzt den vierten Booster zu holen. Dann sollte man mindestens drei Monate warten und kann sich dann den an Omikron angepasste­n Impfstoff geben lassen. Eine fünfte Impfung ist immunologi­sch kein Problem, wenn man den empfohlene­n Abstand von drei Monaten einhält. Da gibt es kein Überimpfen oder einen negativen Effekt, dass man nach einer neuen Impfung schlechter geschützt wäre als vorher, wenn man die Abstände einhält. Auch das Virus kann sich nie so entwickeln, dass wir wieder bei null anfangen müssten und die Immunität komplett nutzlos wäre. Im Gegenteil, je besser die Immunität der Bevölkerun­g ist, desto schwierige­r fällt es dem Virus, sich erfolgreic­h zu verändern. Deshalb ist die Chance groß, dass wir nach diesem Winter das Gröbste hinter uns haben.

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Foto: Patrick Pleul, dpa (Archivbild) Die Maskenpfli­cht könnte im Herbst und Winter wieder angebracht sein.

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