Die Rüstungswende der Grünen
Wie der Überfall auf die Ukraine das Verhältnis der Partei zu Produzenten militärischer Güter entspannt hat. Der Luftfahrtindustrie stehen Grüne offen gegenüber, zumal Konzerne wie Airbus auf elektrische Antriebe setzen.
Berlin/Donauwörth Eine Friedensdemonstration irgendwann Anfang der 80er Jahre: Frauen und Männer, überwiegend Sympathisanten der Grünen, halten sich an der Hand und singen Bettina Wegners Kinderlied: „Sind so kleine Hände, winzge Finger dran. Darf man nie draufschlagen.“Es folgt ein DemoKlassiker: „Dann zieh’n die Moorsoldaten nicht mehr mit dem Spaten ins Moor.“Fehlen durfte natürlich nicht John Lennons Hymne aller Friedensbewegten „Give Peace a Chance“. Männliche Protestler hatten lange oder schulterlange Haare. Sie trugen von Freundinnen selbst gestrickte, meist kratzige Pullover, die in dem drohenden kalten deutschen Winter wieder nützlich sein könnten.
Bedingungsloser Pazifismus war längst Markenkern der Grünen, um es in der Wirtschaftssprache zu sagen. Der Geist hielt lange an. Doch 1999 holte die Realität manche Öko-Pazifisten ein. Joschka Fischer, vom Revoluzzer zum Pragmatiker gereift, dachte infolge des Kosovo-Krieges um und setzte sich zum Entsetzen vieler Grüner für den Kriegseinsatz der Bundeswehr in dem osteuropäischen Land ein. Ein Tabu war gebrochen. Das riss reichlich Wunden innerhalb der Partei auf.
Seit Russlands Diktator Wladimir Putin beschloss, die Ukraine zu überfallen, ging ein breiter Ruck des Realismus durch die Grünen. Heute werden die Öko-Ober-Pragmatiker, Außenministerin Annalena Baerbock und ihr Wirtschaftsressort-Kollege Robert Habeck, nicht wie einst Fischer rüde mit einem roten Farbbeutel beworfen.
Für die meisten Grünen stehen die Toten und damit das Blut auf ukrainischer Seite im Vordergrund. Als der Spiegel im März Grünen-Anhänger befragte, kam zum Vorschein, dass sich rund 70 Prozent von ihnen für deutlich mehr Waffenlieferungen an die Ukraine aussprechen. Der linke Grünen-Politiker Anton Hofreiter, der immer noch die lange Haarpracht wie früher so viele Pazifisten trägt, erstaunte mit seiner Forderung nach der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine
Sind die Grünen von ihrem Glauben abgefallen? Begehen sie
Verrat an ihren Werten? Für Professor Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, hat die Wende der Grünen schon vor dem UkraineKrieg begonnen. „Insbesondere Habeck hat sich frühzeitig neu positioniert“, sagt sie unserer Redaktion. Die Politikwissenschaftlerin hat von 1999 bis 2011 an der Universität der Bundeswehr München gelehrt. Münch erklärt sich die Kehrtwende der Grünen zu Waffenlieferungen an Länder wie die Ukraine „mit dem in der Partei stark verwurzelten Menschenrechtsgedanken“. Neben Pazifismus ist das auch ein Markenkern der Grünen. Schon der frühere grüne Bundesaußenminister Joschka Fischer habe erkannt, dass man gegen bewaffnete Diktatoren allein mit Reden nicht ankomme.
Wie wird sich der neue Kurs der Grünen bei ihren Wählerinnen und Wählern auswirken? Die Politikwissenschaftlerin meint: „Bei den Kernwählern kann den Grünen
dieser neue Kurs schaden.“Doch bei Wechselwählern werde dies der Partei auch nutzen. Münch kann sich für die nächste Legislaturperiode sogar vorstellen, „dass eine Grüne oder ein Grüner Bundesverteidigungsminister wird“. Denn das sei in der Partei nun kein Tabu mehr. Doch die Wissenschaftlerin glaubt auch: „In der Truppe gibt es sicher noch Vorbehalte gegen ein grün geführtes Verteidigungsministerium.“Doch Soldatinnen oder Soldaten würden natürlich auch die Veränderungen in der Parteienlandschaft beobachten.
Weil viele Grüne auf einen neuen Militärkurs eingeschwenkt sind, entspannt sich ihr Verhältnis zu einem Teil der Wirtschaft, um den sie lange einen großen Bogen gemacht haben, nämlich die Rüstungsindustrie. „Früher wurden wir mit der Drogen- und Pornobranche in die Schmuddelecke gestellt. Heute sind wir in der Mitte der Gesellschaft angekommen“, räumt ein deutscher Rüstungsmanager ein, der namentlich nicht genannt werden will.
Die Zeiten, in denen in Militärbetrieben wegen mangelnder Aufträge Arbeitsplätze gestrichen wurden, scheinen vorbei zu sein. Auch bei Airbus Helicopters in Donauwörth, einem Unternehmen, das sowohl zivile wie auch militärische Hubschrauber baut, werden rund 200 zusätzliche Kräfte gesucht.
Führende Mitglieder der Grünen interessieren sich zunehmend für die Branche. Plötzlich reisen Delegationen aus der Partei zu den Firmen. Auch gegenüber der zivilen Luftfahrtindustrie haben sich die Grünen weiter geöffnet. Da Unternehmen wie Airbus Helicopters in Donauwörth elektrische Flugtaxis entwickeln, steht der Wirtschaftszweig für sie nicht mehr in der Ecke der Klimasünder.
Eine Grüne oder ein Grüner kann sich in solchen Betrieben also sehen lassen, ohne dass dies der Parteibasis zu sehr missfällt. So reist eine Delegation der Partei (natürlich per Zug) am Mittwoch zu Airbus Helicopters nach Donauwörth an, um dem Spatenstich für ein Testzentrum für elektrische Luftfahrzeuge beizuwohnen. Natürlich waren auch Politiker der CSU, der SPD und der Freien Wähler zugegen. Doch Abgesandte dieser Parteien haben traditionell deutlich weniger Berührungsängste mit dem militärischen Komplex.
Von den Politikerinnen und Politikern, die zu dem Event nach Nordschwaben kamen, stammen vier aus Reihen der Grünen. Damit stellt die Partei auf der Veranstaltung die größte Fraktion und sticht sogar die CSU aus, was nun wirklich einer Zeitenwende gleichkommt. Zwar findet das grüne Grüppchen an dem Tag keine Zeit, sich auch in Donauwörth produzierte militärische Hubschrauber anzuschauen. Aber wer weiß: Vielleicht setzen sich die angereisten vier grünen Politikerinnen wie die deutsche Luftfahrt-Koordinatorin Anna Christmann oder die Fraktionsvorsitzende im Bayerischen Landtag, Katharina Schulze, bei der nächsten Visite in einen Militär-Hubschrauber.
Die beiden Spitzen-Frauen der Partei wurden bei dem grünen Klassenausflug von der bayerischen Landesvorsitzenden Eva Lettenbauer und der Landtagsabgeordneten Stephanie Schuhknecht begleitet. Die Verantwortlichen von Airbus Helicopters freuen sich über das massive Öko-Interesse für den elektrischen und klimafreundlichen City Airbus. Wolfgang Schoder, Deutschland-Chef von Airbus Helicopters, sagt bestens gelaunt: „Es ist eine große Freude, dass Frau Christmann hier ist.“Und die bayerische SpitzenGrüne Schulze verrät: „Als Kind wollte ich Astronautin werden.“
Wenn die Öko-Politikerinnen so weitermachen, wachsen sie noch zu einem ebenbürtigen Konkurrenten für Bayerns Ministerpräsident Markus Söder heran, der ein ausgewiesener Luft- und Raumfahrt-Fan ist. Auch als Innovationstreiberinnen, lange eine Domäne wirtschaftsnaher Unionsabgeordneter, macht sich das grüne Quartett schon gut. Eva Lettenbauer lobt jedenfalls die Innovationsregion Nordschwaben als Motor für die Wirtschaft in ganz Schwaben. Das hätte ein CSU’ler auch nicht schöner sagen können.