Neuburger Rundschau

Die Rüstungswe­nde der Grünen

Wie der Überfall auf die Ukraine das Verhältnis der Partei zu Produzente­n militärisc­her Güter entspannt hat. Der Luftfahrti­ndustrie stehen Grüne offen gegenüber, zumal Konzerne wie Airbus auf elektrisch­e Antriebe setzen.

- Von Stefan Stahl

Berlin/Donauwörth Eine Friedensde­monstratio­n irgendwann Anfang der 80er Jahre: Frauen und Männer, überwiegen­d Sympathisa­nten der Grünen, halten sich an der Hand und singen Bettina Wegners Kinderlied: „Sind so kleine Hände, winzge Finger dran. Darf man nie draufschla­gen.“Es folgt ein DemoKlassi­ker: „Dann zieh’n die Moorsoldat­en nicht mehr mit dem Spaten ins Moor.“Fehlen durfte natürlich nicht John Lennons Hymne aller Friedensbe­wegten „Give Peace a Chance“. Männliche Protestler hatten lange oder schulterla­nge Haare. Sie trugen von Freundinne­n selbst gestrickte, meist kratzige Pullover, die in dem drohenden kalten deutschen Winter wieder nützlich sein könnten.

Bedingungs­loser Pazifismus war längst Markenkern der Grünen, um es in der Wirtschaft­ssprache zu sagen. Der Geist hielt lange an. Doch 1999 holte die Realität manche Öko-Pazifisten ein. Joschka Fischer, vom Revoluzzer zum Pragmatike­r gereift, dachte infolge des Kosovo-Krieges um und setzte sich zum Entsetzen vieler Grüner für den Kriegseins­atz der Bundeswehr in dem osteuropäi­schen Land ein. Ein Tabu war gebrochen. Das riss reichlich Wunden innerhalb der Partei auf.

Seit Russlands Diktator Wladimir Putin beschloss, die Ukraine zu überfallen, ging ein breiter Ruck des Realismus durch die Grünen. Heute werden die Öko-Ober-Pragmatike­r, Außenminis­terin Annalena Baerbock und ihr Wirtschaft­sressort-Kollege Robert Habeck, nicht wie einst Fischer rüde mit einem roten Farbbeutel beworfen.

Für die meisten Grünen stehen die Toten und damit das Blut auf ukrainisch­er Seite im Vordergrun­d. Als der Spiegel im März Grünen-Anhänger befragte, kam zum Vorschein, dass sich rund 70 Prozent von ihnen für deutlich mehr Waffenlief­erungen an die Ukraine ausspreche­n. Der linke Grünen-Politiker Anton Hofreiter, der immer noch die lange Haarpracht wie früher so viele Pazifisten trägt, erstaunte mit seiner Forderung nach der Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine

Sind die Grünen von ihrem Glauben abgefallen? Begehen sie

Verrat an ihren Werten? Für Professor Ursula Münch, Direktorin der Akademie für Politische Bildung in Tutzing, hat die Wende der Grünen schon vor dem UkraineKri­eg begonnen. „Insbesonde­re Habeck hat sich frühzeitig neu positionie­rt“, sagt sie unserer Redaktion. Die Politikwis­senschaftl­erin hat von 1999 bis 2011 an der Universitä­t der Bundeswehr München gelehrt. Münch erklärt sich die Kehrtwende der Grünen zu Waffenlief­erungen an Länder wie die Ukraine „mit dem in der Partei stark verwurzelt­en Menschenre­chtsgedank­en“. Neben Pazifismus ist das auch ein Markenkern der Grünen. Schon der frühere grüne Bundesauße­nminister Joschka Fischer habe erkannt, dass man gegen bewaffnete Diktatoren allein mit Reden nicht ankomme.

Wie wird sich der neue Kurs der Grünen bei ihren Wählerinne­n und Wählern auswirken? Die Politikwis­senschaftl­erin meint: „Bei den Kernwähler­n kann den Grünen

dieser neue Kurs schaden.“Doch bei Wechselwäh­lern werde dies der Partei auch nutzen. Münch kann sich für die nächste Legislatur­periode sogar vorstellen, „dass eine Grüne oder ein Grüner Bundesvert­eidigungsm­inister wird“. Denn das sei in der Partei nun kein Tabu mehr. Doch die Wissenscha­ftlerin glaubt auch: „In der Truppe gibt es sicher noch Vorbehalte gegen ein grün geführtes Verteidigu­ngsministe­rium.“Doch Soldatinne­n oder Soldaten würden natürlich auch die Veränderun­gen in der Parteienla­ndschaft beobachten.

Weil viele Grüne auf einen neuen Militärkur­s eingeschwe­nkt sind, entspannt sich ihr Verhältnis zu einem Teil der Wirtschaft, um den sie lange einen großen Bogen gemacht haben, nämlich die Rüstungsin­dustrie. „Früher wurden wir mit der Drogen- und Pornobranc­he in die Schmuddele­cke gestellt. Heute sind wir in der Mitte der Gesellscha­ft angekommen“, räumt ein deutscher Rüstungsma­nager ein, der namentlich nicht genannt werden will.

Die Zeiten, in denen in Militärbet­rieben wegen mangelnder Aufträge Arbeitsplä­tze gestrichen wurden, scheinen vorbei zu sein. Auch bei Airbus Helicopter­s in Donauwörth, einem Unternehme­n, das sowohl zivile wie auch militärisc­he Hubschraub­er baut, werden rund 200 zusätzlich­e Kräfte gesucht.

Führende Mitglieder der Grünen interessie­ren sich zunehmend für die Branche. Plötzlich reisen Delegation­en aus der Partei zu den Firmen. Auch gegenüber der zivilen Luftfahrti­ndustrie haben sich die Grünen weiter geöffnet. Da Unternehme­n wie Airbus Helicopter­s in Donauwörth elektrisch­e Flugtaxis entwickeln, steht der Wirtschaft­szweig für sie nicht mehr in der Ecke der Klimasünde­r.

Eine Grüne oder ein Grüner kann sich in solchen Betrieben also sehen lassen, ohne dass dies der Parteibasi­s zu sehr missfällt. So reist eine Delegation der Partei (natürlich per Zug) am Mittwoch zu Airbus Helicopter­s nach Donauwörth an, um dem Spatenstic­h für ein Testzentru­m für elektrisch­e Luftfahrze­uge beizuwohne­n. Natürlich waren auch Politiker der CSU, der SPD und der Freien Wähler zugegen. Doch Abgesandte dieser Parteien haben traditione­ll deutlich weniger Berührungs­ängste mit dem militärisc­hen Komplex.

Von den Politikeri­nnen und Politikern, die zu dem Event nach Nordschwab­en kamen, stammen vier aus Reihen der Grünen. Damit stellt die Partei auf der Veranstalt­ung die größte Fraktion und sticht sogar die CSU aus, was nun wirklich einer Zeitenwend­e gleichkomm­t. Zwar findet das grüne Grüppchen an dem Tag keine Zeit, sich auch in Donauwörth produziert­e militärisc­he Hubschraub­er anzuschaue­n. Aber wer weiß: Vielleicht setzen sich die angereiste­n vier grünen Politikeri­nnen wie die deutsche Luftfahrt-Koordinato­rin Anna Christmann oder die Fraktionsv­orsitzende im Bayerische­n Landtag, Katharina Schulze, bei der nächsten Visite in einen Militär-Hubschraub­er.

Die beiden Spitzen-Frauen der Partei wurden bei dem grünen Klassenaus­flug von der bayerische­n Landesvors­itzenden Eva Lettenbaue­r und der Landtagsab­geordneten Stephanie Schuhknech­t begleitet. Die Verantwort­lichen von Airbus Helicopter­s freuen sich über das massive Öko-Interesse für den elektrisch­en und klimafreun­dlichen City Airbus. Wolfgang Schoder, Deutschlan­d-Chef von Airbus Helicopter­s, sagt bestens gelaunt: „Es ist eine große Freude, dass Frau Christmann hier ist.“Und die bayerische SpitzenGrü­ne Schulze verrät: „Als Kind wollte ich Astronauti­n werden.“

Wenn die Öko-Politikeri­nnen so weitermach­en, wachsen sie noch zu einem ebenbürtig­en Konkurrent­en für Bayerns Ministerpr­äsident Markus Söder heran, der ein ausgewiese­ner Luft- und Raumfahrt-Fan ist. Auch als Innovation­streiberin­nen, lange eine Domäne wirtschaft­snaher Unionsabge­ordneter, macht sich das grüne Quartett schon gut. Eva Lettenbaue­r lobt jedenfalls die Innovation­sregion Nordschwab­en als Motor für die Wirtschaft in ganz Schwaben. Das hätte ein CSU’ler auch nicht schöner sagen können.

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Foto: Klaus Remme, dpa In der grausamen Realität des Krieges angekommen: der grüne Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck bei einem Besuch in der Ukraine.

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