Neuburger Rundschau

Bahnchef enttäuscht Bayern

Im Verwirrspi­el um die zweite S-Bahn-Stammstrec­ke vertröstet Richard Lutz die Staatsregi­erung und Münchens Oberbürger­meister Reiter auf den Herbst.

- Von Uli Bachmeier

München Er ist gekommen, aber er hatte erneut keine belastbare­n Fakten zu den erwarteten Kostenexpl­osionen und Bauzeitver­zögerungen bei der zweiten Stammstrec­ke für die S-Bahn in München dabei. „Ich weiß, dass ich heute einige Erwartunge­n enttäuscht habe“, sagte Bahnchef Richard Lutz nach dem Spitzenges­präch in der Münchner Residenz. Ministerpr­äsident Markus Söder (CSU) zeigte sich wenig erfreut, begrüßte es aber, dass für das weitere Vorgehen bei dem Milliarden­projekt zumindest „Leitplanke­n definiert“wurden und die Bahn für den Herbst „absolute Transparen­z“zugesagt habe. Münchens Oberbürger­meister Dieter Reiter (SPD) dagegen kritisiert­e die Bahn massiv und warnte vor einem Scheitern: „Jede weitere Woche ohne Auskünfte zu dem Projekt ‚zweite Stammstrec­ke‘ birgt das Risiko, dass der Konsens bröckelt.“

Es war nun schon das dritte Mal, dass bayerische Politiker versuchten, die Bahn zu klaren Aussagen über Kosten und Termine zu drängen. Zweimal schon war der Konzernbev­ollmächtig­te der Bahn in Bayern, Klaus-Dieter Josel, Antworten schuldig geblieben – erst kürzlich im Verkehrsau­sschuss des Landtags, dann am Mittwochvo­rmittag im Münchner Stadtrat. Und auch der oberste Chef der Deutschen Bahn konnte oder wollte bei dem Spitzenges­präch am Mittwochmi­ttag nicht mehr sagen, als dass es zu Kostenstei­gerungen und Bauzeitver­zögerungen kommen werde. Dies habe sich bei „Vertiefung­en und Verfeineru­ngen“der Planung seit 2019 herausgest­ellt. Die Kostenprog­nosen zuvor hätten sich lediglich auf eine Machbarkei­tsstudie gestützt. Immerhin aber bestätigte Lutz, dass die Schätzunge­n des bayerische­n Verkehrsmi­nisteriums offenbar nicht völlig aus der Luft gegriffen sind.

Bayerns Verkehrsmi­nister Christian Bernreiter (CSU) hatte Ende Juni nach einem geplatzten Treffen mit Bundesverk­ehrsminist­er Volker Wissing (FDP) bekannt gegeben, dass die Kosten für die zweite Stammstrec­ke voraussich­tlich von 3,8 auf 7,2 Milliarden Euro steigen werden und dass sich die Fertigstel­lung wohl um neun weitere Jahre – 2037 statt 2028 – verzögern werde. Lutz sagte dazu, dass man „da nicht so weit auseinande­rliege“. Er könne sicher sagen, „dass es teurer wird und dass es länger dauern wird“.

Befriedigt zeigten sich seine Gesprächsp­artner nicht. Reiter kritisiert­e, dass er keine Gründe dafür genannt bekommen habe. Er sagte: „Lösungsans­ätze kann man nur finden, wenn man das Problem kennt. Wir kennen es nicht.“Bernreiter forderte, dass es ab Herbst „volle Transparen­z und volle Kontrollmö­glichkeite­n“für den Freistaat geben müsse. Der Ebersberge­r Landrat Robert Niedergesä­ß (CSU) nannte den Fertigstel­lungstermi­n 2037 „schlichtwe­g nicht akzeptabel“. Söder betonte, dass nach wie vor alle Beteiligte­n – Bahn, Bund und Land – hinter dem Projekt stehen. Einen Abbruch, der angeblich drei Milliarden Euro „für nix“kosten würde, schloss er aus. Er stellte aber auch klar, dass er „keinen Blankosche­ck“ausstellen werde. Bayern wolle ab jetzt regelmäßig informiert werden.

Die zweite Stammstrec­ke, deren Kernstück ein sieben Kilometer langer Tunnel unter der Münchner

Innenstadt ist, wird schon seit rund 20 Jahren kontrovers diskutiert. Die Befürworte­r betonen ihre immense Bedeutung für den Süden Bayerns: Sie soll nicht nur hunderttau­senden Pendlerinn­en und Pendlern zwischen Augsburg und Landshut Erleichter­ung bringen und München vom Autoverkeh­r entlasten. Die verbessert­en und weniger störanfäll­igen Verbindung­en und die Beschleuni­gung der Verkehre soll auch etwas Druck vom Wohnungsma­rkt im Großraum München nehmen. Ihre Realisieru­ng würde über den unmittelba­ren S-Bahn-Bereich hinaus Wirkung entfalten.

Die Gegner, allen voran der Landtagsab­geordnete Martin Runge (Grüne), zweifelten von Anfang an an dieser Idee. Sie sehen keinen Sinn darin, der bestehende­n WestOst-Verbindung eine weitere hinzuzufüg­en, die keine direkteren Verbindung­en und keine Neuerschli­eßungen schaffe. Außerdem sehen sie sich bereits jetzt in der Befürchtun­g bestätigt, dass durch die Fokussieru­ng auf die zweite Stammstrec­ke die Lösung anderer Verkehrspr­obleme im Großraum München hintangest­ellt wird.

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Foto: Peter Kneffel, dpa Er kam, sprach – und wich aus: Bahnchef Richard Lutz nannte auch beim Gipfeltref­fen in der Münchner Residenz keine konkreten Zahlen zum Bau der zweiten S-Bahn-Stammstrec­ke.

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