Neuburger Rundschau

Die Salzburger Festspiele beginnen in Schwarz

Dunkler ist kaum vorstellba­r: Die Doppelprem­iere von Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“und Carl Orffs „De temporum fine comoedia“berührt existenzie­lle Nöte des Menschen. Der griechisch-russische Dirigent Teodor Currentzis wird vom Publikum gefeiert.

- Von Richard Mayr

Salzburg Schwarz muss man mögen für diesen Salzburger Premierena­bend. Wie zum Kontrast der gleißend hellen Sommertage huldigt der Opernaufta­kt der Salzburger Festspiele der Dunkelheit. Zwei eher kürzere Werke hat Festspieli­ntendant Markus Hinterhäus­er zusammenge­spannt. Erst Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“, im Anschluss Carl Orffs Spätwerk „De temporum fine comoedia“. Regisseur Romeo Castelucci und Dirigent Teodor Currentzis praktizier­en dreidreivi­ertel Stunden lang eine perfekte Arbeitstei­lung: Ersterer zaubert immer neue Spukbilder in der Nacht und überlässt es dem Dirigenten, die Farben musikalisc­h hinzuzufüg­en.

So wird auch den Schwarzseh­ern, die hinter diesen Premierena­bend schon vor Monaten ein großes Fragezeich­en gesetzt haben, etwas in ihrem Sinn geboten. Denn es hatte ja die Rufe danach gegeben, dass die Festspiele die Zusammenar­beit mit dem griechisch­russischen Stardirige­nten Currentzis und vor allem seinem Chor MusicAeter­na wegen des UkraineKri­eges aufkündige­n müssten. Ein Benefizkon­zert, das Currentzis in Wien mit seinem MusicAeter­naOrcheste­r zugunsten der Ukraine geben wollte, wurde abgesagt, weil die Ukraine kein Geld von dieser Veranstalt­ung annehmen wollte, vor allem weil sich MusicAeter­na von der mit westlichen Sanktionen belegten, kremlnahen russischen VTB-Bank sponsern lässt.

Aber: Festspiel-Intendant Hinterhäus­er stand zu Currentzis. Keine Absage also. Und kurz vor der Premiere hat Currentzis sogar ein Interview für das Fernsehen gegeben, wo er zuvor Anfragen bislang nicht beantworte­t hat. Im österreich­ischen Servus-TV hat er gesagt, dass Demokratie für ihn viel bedeute. Und weiter: „Nur wenn wir so denken, kommen wir voran und können die Zukunft verbessern. Wenn wir die Ideen des anderen nicht akzeptiere­n, tappen wir in eine Falle und landen in einem anderen System.“Also: Keine Absage trotz Schwarzseh­erei und ein Dirigent, der nur hinter vorgehalte­ner Hand sagen kann, was er denkt.

Damit Vorhang auf – allerdings bleibt die Bühne dunkel in Béla Bartóks „Herzog Blaubarts Burg“. Ähnlich wie in der Münchner Staatsoper­n-Produktion von Katie Mitchell zuletzt bekommt die Salzburger Inszenieru­ng einen eigenen Dreh durch eine Rahmenhand­lung. Wo sonst Blaubart in frauenopfe­rnder Weise Judith als dritte Trophäe in seine Sammlung aufnimmt, deutet Castelucci das radikal um, ohne dem Libretto von Béla Balázs Gewalt anzutun. Ein Baby wimmert zu Beginn, danach schluchzt eine Frau. Geburt und Tod, die zuvor stattgefun­den haben. Die sieben Türen der dunklen, feuchten Blaubart-Burg, die Judith geöffnet haben möchte, werden zu Symbolen der Zerrissenh­eit, des Wahns, ja der Psychose, in die Judith immer tiefer versinkt.

Castelucci findet Bilder, die sich nicht nur wegen der in Flammen stehenden Requisiten einbrennen. Das tote Baby wird anfangs gebettet und bedeckt, Blaubart und Judith nehmen Abschied. Später

reißt Judith den leblosen Leib wieder an sich, will das Geschehene leugnen. Blaubart versucht, die Liebe von einst in Judith wieder zu entflammen, verführt sie zum Tanz. Aber das fruchtet nur kurz und lässt Judith nach jeder neuen Tür nur umso tiefer fallen.

Mika Kares als Blaubart strahlt mit seinem Bass bis zum Schluss eine Ruhe und auch Kraft aus, dass man an eine Rettung glauben möchte. Aber gegen den Sog, der von Ausrine Stundytes Judith ausgeht, hat er keine Chance. Sie zeigt sich einmal mehr in Salzburg als phänomenal­e Sängerin und Darsteller­in. Gesang, Spiel und Emotion sind bei ihr untrennbar verwoben, machen es unmöglich, das eine vom anderen zu trennen. Sie reißt das Publikum hinab in ihre Schmerzens- und Wahnwelt. Das berührt zutiefst, weil Currentzis mit dem Gustav-Mahler-Jugendorch­ester in die Partitur wach und feinfühlig eintaucht, er hier das Gesungene unterstrei­cht und dort einen Kommentar gibt und im Finale

gleich doppelt trifft, erst in der kolossalen Steigerung und dann dem kaum hörbaren, hauchzarte­n Verklingen im tiefen Schwarz. Applaus und Jubel.

Aber wer geglaubt hat, dass es nach der Pause in diesem Stil weitergeht, hat sich getäuscht. Carl Orff hat in seinem Spätwerk „De temporum fine comoedia“einen gänzlichen anderen Weg eingeschla­gen. Von der Komödie im Titel darf man sich auf keinen Fall täuschen lassen, es sei denn, man empfindet Dantes „Göttliche Komödie“als Schwank. Orff hat sich in diesem Spiel vom Ende der Zeit mit den letzten Dingen auseinande­rgesetzt: dem großen göttlichen Weltengeri­cht, dem Menschen und seiner Schuld, aber auch der Frage, was mit dem Bösen beim Jüngsten Gericht geschieht. Intellektu­ell ein Werk für bibelfeste Sinnsucher und philosophi­ebegeister­te Lateinund Griechisch­liebhaber. Man sollte beides sein, um gedanklich der apokalypti­schen Vision versetzt mit Ideen der Vorsokrati­ker

und des Häretikers Origenes folgen zu können.

Anders die Musik, die Orff nicht als Idee, sondern als vielköpfig­es Überwältig­ungsspekta­kel angelegt hat: das Orchester groß, viel Schlagwerk und damit Rhythmus. Drei Flügel und Ungewohnte­s wie Ratschen und Gläser und Glasharfe dienen dazu, diese großen, oft bedrückend­en, aber auch entrückend­en Klangräume zu schaffen. Wenn spät die Trompeten von der Seite erklingen, meint man buchstäbli­ch himmlische Fanfaren zu hören. Die Vielzahl von Chören, dieses Großaufgeb­ot an Stimmen schafft beschwören­de Momente, wenn Phrasen wiederholt werden: Dann wird der Mensch in seiner existenzie­llen Not sichtbar. Wenn alle zusammen ihr „Weh“bis an die Schmerzgre­nze anschwelle­n lassen, muss dieser Aufschrei auch außerhalb der Felsenreit­schule zu hören gewesen sein.

Mal geht dieser Orffsche Weltunterg­ang, den Currentzis, das Gustav-Mahler-Jugendorch­ester, die Sängerinne­n und Sänger, der MusicAeter­na Chor sowie der Bachchor Salzburg und der Kinderchor der Salzburger Festspiele anstimmen, wie ein Gewitterst­urm über das Publikum hinweg, dann wieder wird es leise und intim wie in einem hingehauch­ten Zwiegesprä­ch des Menschen mit dem Göttlichen.

Wieder taucht Castelucci die Handlung in tiefe Nacht, belässt er die schwarzen Bühnenvorh­änge als Hintergrun­d. Es wäre so einfach und naheliegen­d für den Regisseur gewesen, die Apokalypse mit Bildern der Gegenwart zu unterlegen. Aber jeder im Saal bringt Bilder des Ukraine-Krieges oder von brennenden Landschaft­en in Europa mit. Warum anrühren, was längst da ist? Stattdesse­n nimmt der Regisseur die Herausford­erung an, Orff philosophi­sch und religiös zu folgen.

Mit einer Steinigung­sszene beginnt der Abend, mit dem Menschen und seiner archaischs­ten Rechtsform. Später deuten Männer an, einen Baum zu fällen, den sie erst verehrt haben. Das folgende Bild lässt am Baum an eine Kreuzigung denken – der christlich­e Glaube löst die alten Religionen ab. Wenn zum Strafgeric­ht die Menschen wieder auferstehe­n aus den Gräbern, wirft das jenseits einer gewissen Zombieästh­etik auch die Frage auf, was uns an Individual­ität bleibt, wenn wir an die Auferstehu­ng glauben. „Meine Haut“steht umgedreht im Bühnenhint­ergrund, während vorne alle gleich aussehen. Zu Orffs großer Schlusswen­dung, dass das Böse am Ende geläutert wird, Luzifer wieder zum Lichtträge­r wird, der gefallene Engel wieder Eingang in die göttliche Ewigkeit findet, knien auch Herzog Blaubart und Judith auf der Bühne. Dort also schimmert Hoffnung für den Menschen auf.

Es folgen noch einmal Jubel und Applaus, nun auch für die Regie und vor allem auch für Teodor Currentzis und sein Orchester. Anders als die kleine Demonstrat­ion vor den Festspiele­n, die zu Beginn „Wölfe im Schafspelz“bei den Salzburger Festspiele­n angeprange­rt hat, steht das Publikum einhellig hinter dem griechisch-russischen Dirigenten.

 ?? ?? Mika Kares und Ausrine Stundyte als Herzog Blaubart und Judith beim umjubelten Opernaufta­kt der Salzburger Festspiele.
Mika Kares und Ausrine Stundyte als Herzog Blaubart und Judith beim umjubelten Opernaufta­kt der Salzburger Festspiele.
 ?? Fotos: Monika Rittershau­s, Salzburger Festspiele ?? Männer legen in Castelucci­s Deutung von Orffs „De temporum fine comoedia“die Axt an einen heiligen Baum an.
Fotos: Monika Rittershau­s, Salzburger Festspiele Männer legen in Castelucci­s Deutung von Orffs „De temporum fine comoedia“die Axt an einen heiligen Baum an.

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