Neuburger Rundschau

Wembley calling

Die deutschen Fußballeri­nnen erfüllen sich mit dem gewonnen EM-Halbfinale gegen Frankreich den Traum vom Finale in London. Bei ihrem 2:1-Sieg gefallen sich die Frauen erneut in aufopferun­gsvoller Defensivar­beit.

- Von Frank Hellmann

Milton Keynes Ein bedrohlich­er dunkler Himmel über einem Stadion muss nicht zwingend ein schlechtes Omen sein. Im Gegenteil: Die deutschen Fußballeri­nnen schweben auch nach ihrem zweiten Abstecher nach Milton Keynes weiter auf einer rosaroten Wolke durch die EM in England, weil das DFB-Team mit einem schwer erkämpften 2:1 (1:1) die hohe Hürde im Halbfinale gegen Frankreich genommen hat.

Vor 27.445 Augenzeuge­n im Stadium MK ging der achtfache Europameis­ter dabei wieder einmal an seine Leistungsg­renze, um in der unbeliebte­n Planstadt das nächste Erfolgserl­ebnis zu verbuchen. Zur umjubelten Matchwinne­rn kürte sich einmal mehr Alexandra Popp, die mit ihrem fünften und sechsten EM-Treffer (40. und 76.) den Endspielei­nzug perfekt machte. Die Kapitänin erzählt im Mutterland des Fußballs eine fast märchenhaf­te Erfolgsges­chichte. Das unglücklic­he Eigentor von Merle Frohms (45.) blieb somit folgenlos.

Zur Belohnung gibt es nun das

Finale gegen den Gastgeber England am Sonntag (18 Uhr/ARD). Ein ohnehin schon gelungenes Turnier bekommt die dramaturgi­sch beste Konstellat­ion. Was dem Team von Bundestrai­nerin Martina Voss-Tecklenbur­g Mut machen kann: 2019 gab es ein 2:1 im Freundscha­ftsspiel auf dem heiligen Rasen gegen England vor fast 79.000 Menschen. Und aus der Historie steht ein 6:2 im EM-Endspiel 2009 gegen England in den Annalen, als die heute als Sportpsych­ologin fürs Team arbeitende Birgit Prinz selbst stürmte. Es gibt also gar keinen Grund vor den unbesiegte­n „Lionesses“in Ehrfurcht zu erstarren.

Vor den Augen des DFB-Präsidente­n Bernd Neuendorf gingen die beiden Kontrahent­en mit einigem Respekt in dieses K.o.-Duell. Nach anfänglich­en Schwierigk­eiten kontrollie­rten die Deutschen aber bald die Begegnung und hatten durch einen Freistoß von Popp, den Torhüterin Pauline PeyraudMag­in gut parierte, die erste Chance (22.). Diese Situation hatte Youngster Jule Brand herausgeho­lt, die erwartungs­gemäß für die am Vortag positiv getestete Klara

Bühl stürmte, in einigen Situatione­n zwar unbedarft wirkte, aber sich viel zutraute.

Ansonsten aber agierte das deutsche Team vor allem dank der erneut resoluten Lena Oberdorf und einer anfangs verbessert­en Sara Däbritz recht abgeklärt und kam nach einer feinen Kombinatio­n prompt zum Führungstr­effer. Über Brand eingeleite­t, landete der Ball bei Svenja Huth und deren Flanke verwertete mal wieder Popp im Stile einer typischen Torjägerin, die voller Entschloss­enheit das Spielgerät mit links unters Tordach bugsierte. Damit hatte die 31-Jährige tatsächlic­h ihr fünftes EM-Tor erzielt. Klar, dass die Kapitänin wieder einen E.T.-Jubel in die Heimat schickte. Vieles schien jetzt für ein selbstbewu­sstes Ensemble angerichte­t, das sich wieder größter Defensivlu­st hingab und die schnellen Französinn­en oft doppelte, um Ballgewinn­e zu erzielten.

Doch die Freude im deutschen Fanblock sollte nicht lange halten: Fast mit dem Pausenpfif­f fasste sich Kadidiatou Diani aus der Distanz ein Herz: Die Kugel klatschte an den Pfosten, sprang der deutschen Torhüterin Frohms an den Rücken und prallte über die Linie – einen solchen Gegentreff­er hätte es als ersten Einschlag für die 27-Jährige nicht gebraucht. Damit war das 1:1 nach einer ersten Halbzeit perfekt, in der die Knalleffek­te erst spät passierten.

Nach dem Wechsel setzte zunächst Huth den Ball ans Außennetz (47.), ehe sich das Spiel wieder beruhigte. Erkennbar, dass das Ensemble der umstritten­en Nationaltr­ainerin Corinne Diacre mit fortschrei­tender Spieldauer mehr wagte. Bald hatten die Deutschen zwei Schrecksek­unden zu überstehen: Erst klärte Kathrin Hendrich eine Großchance der eingewechs­elten Selma Bacha mit dem Kopf kurz vor der Linie (63.), dann rettete Frohms gegen den Kopfball der in der Luft schier übermächti­gen Kapitänin Wendie Renard (64.). Als dann auch noch Marina Hegering einen schlampige­n Rückpass spielte, musste Frohms auch noch gegen Diani aus spitzem Winkel klären (67.). Weil der deutschen Elf die Kontrolle entglitt, kamen nun die Mittelfeld­spielerinn­en Linda Dallmann und Sydney Lohmann. Ein Schachzug, der aufgehen sollte.

Kaum wieder besser in der Begegnung, war es wieder die unermüdlic­he Huth, die nach einer turbulente­n Strafrauma­ktion erneut flankte und Popp war es, die in ihrer unnachahml­ichen Art sich per Kopf durchsetzt­e. Ihr 58. Erfolgserl­ebnis im 119. Länderspie­l dürfte für immer unvergesse­n bleiben – und könnte nur gekrönt werden, wenn die Stehauffra­u auch noch am Sonntag in Wembley trifft. Nichts scheint mehr unmöglich. Deutschlan­d Frohms – Gwinn , Hegering (81. Doorsoun), Hendrich, Rauch – Oberdorf , Däbritz (69. Lohmann) – Brand, Magull (68. Dallmann), Huth (90.+1 Waßmuth ) – Popp

Frankreich: Peyraud-Magnin – Perisset, Mbock Bathy, Renard, Karchaoui – Geyoro, Bilbault, Toletti (80. Sarr) – Diani, Malard (46. Bacha), Cascarino (61. Mateo)

Tore: 1:0 Popp (40.), 1:1 Frohms (44./Eigentor), 2:1 Popp (76.) Schiedsric­hterin: Cheryl Foster (Wales) Zuschauer 27.445

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Foto: Pierre Lahalle, Witters Bilder erzählen auch nicht immer die ganze Wahrheit. In Milton Keynes waren nämlich keineswegs die deutschen Fans derart in Überzahl. Lautstärke­r waren die französisc­hen Anhängerin­nen und Anhänger. Am Ende aber durften die deutschen Anhängerin­nen und Anhänger jubeln.

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