Wolfsburg sehen und sterben
Wolfsburg hat viel zu bieten. Auf den zweiten Blick. Wenn man genau hinschaut. Vermutlich. Wer vom Schillerteich-Center auf die fünftgrößte Stadt Niedersachsens mit, na ja, rund 125.000 Einwohnern in Richtung Innenstadt blickt, bekommt eine atemberaubende Skyline zu sehen. Links die rötlich schimmernden vier Schornsteine des Heizkraftwerks Nord/Süd. Rechts die grün leuchtende Volkswagen-Arena des Bundesligisten VfL. Dazwischen: wenig bis nichts. Vielleicht mag auch das ein Grund für den urplötzlichen Sinneswandel von Chet Pickard gewesen sein.
In wenigen Tagen beginnt in Wolfsburg das Training für die Saison in der Deutschen EishockeyLiga. Doch Chet sagt „No“. Nicht: Ich bin dann mal weg. Sondern: Ich will da nicht hin. Der kanadische Torwart teilte Klubmanager KarlHeinz Fliegauf kurzerhand mit, dass er trotz eines laufenden Vertrags bis 2023 nicht auftaucht.
Die Nachricht habe den Klub „wie ein Blitz getroffen“und der Zeitpunkt ist „inakzeptabel“, so Fliegauf. Pickard brachte einen der dienstältesten DEL-Manager ins Schwitzen. Der Markt für Eishockey-Torhüter ist im Hochsommer so verdorrt wie die Wiesen vor unserer Haustür. Fliegauf musste
in Windeseile neues Personal suchen, um das Vergnügungsprogramm für die VW-Schichtarbeiter zu retten. Jetzt bekommt der 36 Jahre alte und zuletzt bei den Kölner Haien keineswegs überzeugende Justin Pogge noch einmal Arbeitspapiere in der DEL.
Pickard ist nicht der Erste, der einen Bogen um die Retortenstadt im ostbraunschweigischen Flachland am Mittellandkanal macht. Vor Jahren wollte der Bundesligist VfL den Fußball-Profi Valdaus Ivanauskas verpflichten, der auch schon unterschrieben hatte. Doch eine Liebeserklärung zerriss dem Litauer das Herz. „Valdas, ich liebe dich, aber ich kann nicht in Wolfsburg leben“, beklagte sich Ehefrau Beatrix. Familie Ivanauskas wechselte stattdessen ins schöne Österreich nach Salzburg. Lieber Nockerl und Mozartkugeln genießen als die beliebteste Kantinenspeise der Deutschen aller Zeiten.
Wolfsburg ist weltberühmt für seine VW-Currywürste. Millionen Exemplare gehen jährlich über die Kantinen-Theke. Ein volkswageneigener Wirtschaftsbetrieb stellt – Achtung! – nach einem angeblich geheimen Rezept seit 1973 die Knackwurst her. Chet Pickard muss verdammt gute Argumente haben, auf den Gaumenschmeichler künftig zu verzichten.