Die Suche nach dem „Heiligen Gral“
Nach der Ankunft von Cheftrainer Mark French wird beim ERC Ingolstadt die Fahndung nach einem Mittelstürmer weiter intensiviert. Welche Herausforderungen dabei auf Sportdirektor Tim Regan warten.
Tim Regan, am 7. August bittet der neue Headcoach Mark French die Profis des ERC Ingolstadt zur ersten offiziellen Trainingseinheit! Mit welchem Gefühl blicken Sie persönlich auf dieses Datum? Regan: Ich denke, dass man im Laufe der Jahre eine gewisse Routine entwickelt. Im Vorfeld gibt es eigentlich immer den gleichen Stress – unabhängig davon, welche Position man gerade innehat. Man ist stets mit der gesamten Organisation beschäftigt – sei es, dass die Spieler rechtzeitig eintreffen, die Ausrüstung da ist oder die medizinischen Tests gut verlaufen. Wenn die Jungs dann zum ersten Mal auf dem Eis stehen, fällt die ganze Anspannung ab und man kann es genießen, die alten und neuen Spieler beim Training oder den Vorbereitungspartien zu beobachten.
In den vergangenen Jahren waren Sie als Assistent von Ex-Cheftrainer Doug Shedden sowie „rechte Hand“von Ihrem Vorgänger Larry Mitchell tätig. Hat sich Ihr Arbeitspensum in den Wochen vor dem Trainingsstart verändert? Regan: Unter dem Strich ist es schon mehr Arbeit geworden. Bislang hatte ja Larry (Mitchell, Anm. d. Red.) als Sportdirektor bei allen Entscheidungen immer das letzte Wort. Diese Verantwortung habe ich nun zu tragen. Von dem her hat sich mein Aufgabenbereich sicherlich vergrößert.
Ob als Spieler oder Co-Trainer: In den zurückliegenden Jahrzehnten haben Sie den jeweiligen Trainingsauftakt Ihres Teams immer auf dem Eis erlebt. Diesmal werden Sie das Geschehen von der Tribüne aus verfolgen. Das dürfte für Sie eine sehr ungewohnte Erfahrung werden...
Regan: Ja, absolut! Das wird mit Sicherheit ein etwas komisches Gefühl werden. Zur Sicherheit habe ich jedoch meinen Trainingsanzug noch nicht weggeschmissen (lacht). Nein, Spaß beiseite. Wenn man auf der Tribüne sitzt und plötzlich nicht mehr direkt mit dem Trainer-Staff oder den Spielern auf dem Eis kommunizieren kann, wird zu Beginn sicher etwas ungewöhnlich sein. Ehrlich gesagt weiß ich noch gar nicht, wo ich dann genau sitzen werde, da ich bislang noch nie als Zuschauer in der Saturn-Arena war (lacht).
Wie intensiv war in den vergangenen Wochen der Austausch mit Cheftrainer Mark French?
Regan: Sehr intensiv. Sowohl was die Suche nach dem noch fehlenden Mittelstürmer als auch die Planungen für die ersten fünf Trainingswochen betrifft, wollte ich Mark sehr stark einbeziehen. Aus diesem Grund waren wir eigentlich täglich – sei es telefonisch, per WhatsApp oder Email – in direktem Kontakt. Und das war mir auch sehr wichtig.
Sie haben die noch offene Mittelstürmer-Position gerade angesprochen. Können Sie verraten, wie der aktuelle Stand der Dinge ist?
Regan: Nun, wir hatten in den zurückliegenden Wochen schon den einen oder anderen interessanten Spieler. Als wir dann etwas genauer ins Detail gegangen sind, stellte sich für diese eigentlich immer nur die Frage: KHL oder Schweiz? Insgesamt waren jedoch nicht wirklich viele Center auf dem Markt, von denen wir in Sachen Qualität beziehungsweise was unser Anforderungsprofil betrifft, richtig überzeugt waren. Die echten Hochkaräter, wie ich sie jetzt einmal bezeichnen würde, haben sich letztlich für einen Wechsel in eine andere Liga entschieden. Um sicher zu sein, dass wir den richtigen Spieler verpflichten, tausche ich
mich intensiv mit dem Trainerteam aus. Deshalb nimmt dieser Prozess auch entsprechend Zeit in Anspruch. Man darf auch nicht vergessen, dass wir nicht der einzige Eishockey-Klub auf der Welt sind, der Ausschau nach einem guten Mittelstürmer hält.
Wie schaut konkret das Anforderungsprofil Ihres „Wunschkandidaten“aus?
Regan: Starke läuferische Qualitäten werden nach wie vor die Grundvoraussetzung bei unseren Neuzugängen sein, da Mark French sein Tempospiel durchziehen möchte. Wenn ich beispielsweise von einem Informanten oder Agenten höre, dass sich der Spieler XY erst noch an die größere Eisfläche in Europa gewöhnen muss, bedeutet das möglicherweise, dass er ohnehin nicht der schnellste Skater ist. Erfüllt er diese Vorgabe, gehen wir tiefer ins Detail und checken über unser breites Netzwerk ab, ob der Kandidat körperlich fit und wie er charakterlich einzuschätzen ist.
Wie optimistisch sind Sie, dass der gesuchte Center pünktlich zum Start der Vorbereitung am 7. August auf dem Eis stehen wird?
Regan: Grundsätzlich bin ich immer
ein positiver und optimistischer Mensch. Aber wenn man den NHL-Draft und die dortige Free Agency, die gesamte Situation in der KHL, das Aufstocken der Ausländerplätze in der Schweiz oder auch die schwedische Liga betrachtet, bin ich schon eher zu der Erkenntnis gekommen, dass es mit der angesprochenen Verpflichtung möglicherweise doch nicht so schnell klappen wird.
Also sich lieber etwas mehr Zeit nehmen, dafür aber die Hoffnung auf eine höhere Qualität?
Regan: Nun, dieser erste Mittelstürmer ist ja speziell in Deutschland so etwas wie ein „Heiliger Gral“. Aufgrund der Marktlage könnte es am Ende durchaus so sein, dass wir einen soliden Center oder Allrounder, der unser Anforderungsprofil erfüllt, verpflichten, weil eine „Granate“nicht zu bekommen ist. Ich bin auch diesbezüglich offen und ehrlich und möchte nichts ankündigen, was vielleicht letztlich nicht realisierbar ist. Nachdem Mark (French, Anm. d. Red.) am Mittwoch angekommen und Brad Tapper (CoTrainer) schon da ist, werden wir diese Personalie sicherlich noch intensiver thematisieren. Aber zum jetzigen Zeitpunkt kommt vielleicht alle zwei oder drei Tage ein möglicher Kandidat auf den Markt. Das allein zeigt, dass es nicht einfach ist.
Inwieweit hat sich der diesjährige Markt im Vergleich zu den vorangegangenen Jahren verändert?
Regan: Er hat sich in diesem Jahr zu einem Spielermarkt entwickelt. Sprich: Die Spieler haben quasi alle Karten in der Hand. Zum einen ist Corona etwas in den Hintergrund geraten. Zum anderen hatten viele darauf spekuliert, dass eine Vielzahl an Profis der KHL den Rücken kehren werden – was jedoch nicht geschehen ist! Hinzu kommt, dass es in der nordamerikanischen AHL ein zusätzliches Team gibt und auch dort mittlerweile mehr Geld bezahlt wird. Die Schweiz mit ihrem erhöhten Import-Kontingent sowie die finnische und schwedische Liga spielen schon immer eine Rolle. Na ja, und die Mittelstürmer-Suche war ja schon immer eine besondere Herausforderung.
Und als deutscher Verein wird man sicherlich nicht ganz vorne in der Reihe stehen...
Regan: Ganz genau! Wenn man als DEL-Klub eine ’Granate“sucht, muss man sich in der Regel immer hinten anstellen, weil diese in den bereits erwähnten Ländern ebenso gesucht sind. Aber wir schlafen natürlich nicht und geben unser Bestes. Ich bin überzeugt, dass wir am Ende eine gute Lösung finden werden.
Lassen Sie uns abschließend noch einen etwas „anderen“Blick auf die DEL-Saison 2022/2023 werfen. Wovor haben Sie mehr Angst beziehungsweise Respekt: Vor einer erneuten Corona- oder der Energiekrise mit ihren möglichen Auswirkungen?
Regan: Das ist eine sehr gute Frage! Vergessen wir beispielsweise auch einen längeren Piloten- oder Mitarbeiter-Streik bei Fluggesellschaften nicht – was zur Folge hätte, dass die ausländischen Spieler erst gar nicht bei uns eintreffen würden! Letztlich sind das alles Dinge, die wir nicht beeinflussen können. Als positiv denkender Mensch hofft man natürlich, dass sich Corona hin zu einer ’normalen’ Grippe entwickelt und unsere Politiker die Energie-Krise für die gesamte Bevölkerung in den Griff bekommen und eine Lösung finden. Mehr kann man nicht tun.