Pistorius geht in die Offensive
Neue Waffen für die Ukraine, zurück zur Wehrpflicht: Während die russische Armee gerade eine neue Offensive beginnt, verspricht der Verteidigungsminister eine aktivere Rolle Deutschlands in Sicherheitsfragen.
Noch bevor am Freitag die ersten Informationen über eine neue Offensive der russischen Streitkräfte in der Region um die Großstadt Charkiw durchsickerten, hat Deutschland der Ukraine eine weitere Waffenlieferung zugesagt, Verteidigungsminister Boris Pistorius besiegelte bei seinem Besuch in den USA den Kauf von drei Mehrfachraketenwerfern, die an die ukrainische Armee weitergereicht werden. Das Kriegsgerät des Typs „Himars“kostet rund 30 Millionen Euro.
„Wir verstehen, was auf dem Spiel steht: Wir können nicht einfach zuschauen und warten, bis das internationale Recht, unsere
Ordnung und unsere Werte zerstört sind“, sagte der SPD-Politiker. Russland hatte direkt nach Kriegsbeginn im Februar 2022 schon einmal versucht, Charkiw einzunehmen. Die Verteidiger konnten die Stadt damals in heftigen Kämpfen halten und vertrieben in den folgenden Monaten die Angreifer aus der Region. Am Freitagmorgen sind nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Kiew erneut russische Bodentruppen im Schutz von Panzerfahrzeugen vorgerückt, um die Verteidigungslinie zu durchbrechen.
Deutschland sei zu einer sicherheitspolitischen Führungsrolle in Europa bereit und werde die militärischen Fähigkeiten dafür bereitstellen, versicherte Pistorius in den USA. Sein amerikanischer Kollege
Lloyd Austin lobte das deutsche Engagement für die Ukraine und das Nato-Bündnis: „Ob bei der Abschreckung gegen eine Aggression des Kreml oder der Stärkung der Stabilität im Indopazifik, unsere zwei stolzen Demokratien sind im Gleichschritt“, sagte er. Die Bundesrepublik sei einer der stärksten und verlässlichsten Partner.
In einer Rede an der Johns-Hopkins-Universität erklärte Pistorius auch, dass Deutschland wieder eine „Art von Wehrpflicht“brauche, damit die Bundeswehr genügend Soldaten finde. „Wir müssen unsere militärische Durchhaltefähigkeit in einem Zustand der nationalen oder kollektiven Verteidigung sicherstellen“, forderte er. Militärische Standhaftigkeit müsse sichergestellt sein. „Die Zeiten haben sich verändert“, sagte Pistorius und nannte das Aussetzen der Wehrpflicht einen Fehler.
Aus dem Takt brachte er hingegen das Regierungsbündnis mit Grünen und FDP. In einem Gastbeitrag für das Handelsblatt forderte er, die Schuldenregel des Grundgesetzes für die Aufrüstung zu lockern. „Wir müssen die Schuldenbremse neu interpretieren“, verlangte Pistorius. In seinen Augen ist das auch verfassungsrechtlich haltbar, weil Sicherheit als Staatszweck höher stehe als die Vorgabe für solide Staatsfinanzen. „Sie muss hinter die elementare Pflicht des Staates, Sicherheit bereitzustellen, zurücktreten.“
Finanzminister Christian Lindner wies das Ansinnen zurück. „Der Kollege Pistorius sollte seinen
Sicherheitsbegriff um die Kategorie der fiskalischen Resilienz erweitern“, gab der FDP-Chef zurück. Es gefährde die Schuldentragfähigkeit, die Landes- und Bündnisverteidigung über einen längeren Zeitraum über Pump zu finanzieren. Die Ertüchtigung der teilweise maroden Bundeswehr bezahlt Deutschland derzeit hauptsächlich aus dem sogenannten Sondervermögen, einem Schuldentopf im Wert von 100 Milliarden Euro. Das Geld ist 2027 aufgebraucht, weshalb der reguläre Wehretat dann deutlich aufwachsen müsste. Doch trotz der Finanzspritze aus dem Sondervermögen ist die Kassenlage bereits heute angespannt. Lindner hat alle Minister zum Sparen aufgerufen, was die meisten seiner Kollegen aber ignorieren.