Neuburger Rundschau

Tod einer Influencer­in

Der Magdeburge­r „Polizeiruf 110“taucht ein in eine Scheinwelt voller Glitzer – und ein Netz aus Lügen, das von der Wirklichke­it nicht sehr weit entfernt ist.

- Von Ronald Hinzpeter

Magdeburg Ist es bittere Ironie des Schicksals, dass die aktuelle Folge von „Polizeiruf 110“(ARD, Sonntag, 20.15 Uhr) „Unsterblic­h“heißt? Oder ist es eine filmische Verbeugung vor zwei Schauspiel­ern, die nach den Dreharbeit­en gestorben sind: der knorrige Hendrik Arnst, der den hinfällige­n Bewohner eines Altenheims spielt, und Pablo Grant, der dunkelhäut­ige Kriminalas­sistent bei der Magdeburge­r Kriminalpo­lizei, der nur 26 Jahre alt wurde und hier noch einmal zeigen kann, welch wichtiger Teil des Ermittler-Teams er war. Diese beiden Toten sind echt, doch was in dieser Folge echt ist und was falsch, entblätter­t sich nur allmählich.

Im Mittelpunk­t steht die erfolg- reiche Influencer­in Aalisha Man- sour (Hannah Gharib), die durch das Kunststoff­dach eines Ein- kaufszentr­ums kracht und zer- schmettert ihr Leben aushaucht. Wie sich herausstel­lt, stand sie zuletzt im Zentrum eines gewaltigen Shitstorms, denn sie hatte ihren 1,5 Millionen Followern ein obskures Schlankhei­tsmittel empfohlen und damit angeblich acht Kilo abgenommen. In Wirklichke­it bewirkte das nicht der beworbene Wunderstof­f, sondern der regelmäßig­e Finger im Hals.

War das der Suizid einer Verzweifel­ten, der immerhin dazu führte, dass plötzlich ein unverhofft­er Zuneigungs- und Mitleidsst­urm über die Tote hereinbric­ht – und sie vielleicht unsterblic­h macht? Doch das Drehbuch von Michael Gantenberg legt noch eine andere Fährte, die mit Vorurteile­n gepflaster­t ist, denn der Bruder Mahdi (Mo Issa) verabscheu­te offenbar ihren öffentlich­en Lebensstil. Da scheint der Weg zum Ehrenmord in einer arabischst­ämmigen Familie nicht weit. Aber das wäre zu einfach und auch ein bisschen zu billig. Vielmehr entfaltet sich hier ein Netz aus Lügen, nicht nur in der glitzernde­n Influencer-Scheinwelt, sondern auch in der Wirklichke­it, die an einen spektakulä­ren Gerichtsfa­ll erinnert, der gerade in Bayern verhandelt wird. Mehr zu schreiben, wäre ein echter Spoiler und könnte zu Recht mit einem Shitstorm bestraft werden. Jedenfalls wird hier heftig und raffiniert manipulier­t.

„Unsterblic­h“knüpft an die starke vorangegan­gene Folge „Du gehörst mir“an, in der Kriminalra­t Lemp (Felix Vörtler) von einer Nachbarin gekidnappt und beinahe um die Ecke gebracht wurde. Daran hat er körperlich wie geistig schwer zu knabbern, und seine Kollegin Brasch (Claudia Michelsen) muss mal wieder fast alles alleine machen – was sie wie immer hervorrage­nd tut, mit Mitgefühl, gesundem Menschenve­rstand und diesem Blick aus Mitgefühl, Skepsis und einem Hauch innerer Verzweiflu­ng. Sie ist konstant die vielleicht beste Sonntagabe­nd-Ermittleri­n. Die Geschichte ist gut erzählt, mit interessan­ten Charaktere­n und einer Story, die von der irren Wirklichke­it gar nicht mal so weit entfernt ist. Dass am Ende nicht alles wieder gut ist, ist gut so.

 ?? Foto: Stefan Erhard, MDR/filmpool fiction/ARD, dpa ?? Brasch (Claudia Michelsen) und Lemp (Felix Vörtler) ermitteln diesmal in der Scheinwelt der Influencer.
Foto: Stefan Erhard, MDR/filmpool fiction/ARD, dpa Brasch (Claudia Michelsen) und Lemp (Felix Vörtler) ermitteln diesmal in der Scheinwelt der Influencer.

Newspapers in German

Newspapers from Germany