Neuburger Rundschau

Liebe, unbekannte Mutter

Noppo Heine kam als Giánnis Emmanouili­dos auf die Welt. Den Namen gab ihm seine griechisch­e Mutter, die er nie kennengele­rnt hat. Die Geschichte eines Adoptivkin­des, das sich mit fast 60 Jahren auf die Spuren seiner Herkunft macht.

- Von Claudia Stegmann

Wenn sich Noppo Heine im Spiegel anschaut, dann glaubt er, Nase und Mund seiner Mutter geerbt zu haben. Und vielleicht auch die für einen Mann untypisch langen Beine. Einen Beweis dafür hat er nicht, nicht mal eine Ahnung. Es ist vielmehr ein Wunschdenk­en, dass irgendetwa­s von der Frau, die ihn geboren hat, in ihm steckt. 24 Jahre war sie alt, als sie ihn 1965 in Traunstein zur Welt gebracht hat. Es ist anzunehmen, dass sie ihn nie gesehen und nie in den Armen gehalten hat. Denn sie hat sich höchstwahr­scheinlich schon vor der Geburt dafür entschiede­n, ihn zur Adoption freizugebe­n. Warum sie ihr Kind nicht behalten wollte, weiß Noppo Heine nicht. „Sie hatte dafür aber bestimmt gute Gründe.“

Eleftheria Emmanouili­dos – so heißt Noppo Heines leibliche Mutter. 1941 wurde sie in einem kleinen Ort rund 50 Kilometer von Thessaloni­ki geboren, und als junge Frau lebte sie in Traunreut. Über seinen leiblichen Vater weiß Noppo Heine gar nichts. Angeblich sei er auch

Grieche gewesen, belegt ist das allerdings nicht. Noppos Mutter war geschieden, als er zur Welt kam. So steht es in seiner Geburtsurk­unde. Ob sein Vater der Ex-Ehemann, eine Affäre oder eine flüchtige Bekanntsch­aft war, bleibt ebenfalls ein Geheimnis.

Es ist diese Handvoll Informatio­nen, die Noppo Heine bis zum heutigen Tage hat. Die Datenlage ist dürftig, sodass sich nie ermitteln ließ, was aus Eleftheria wurde. Sie sei nicht offiziell in Deutschlan­d registrier­t gewesen und angeblich ein Jahr nach seiner Geburt wieder nach Griechenla­nd zurückgega­ngen. Wo sie lebt oder ob sie vielleicht schon gestorben ist – mittlerwei­le wäre sie 83 Jahre alt – ist nicht bekannt. Noppo Heine verspürte aber ohnehin nie den Drang, ernsthaft nach ihr zu forschen. „Da gab es immer mal wieder Gedanken, sie kennenlern­en zu wollen. Aber darüber ist es nie hinausgega­ngen“, sagt er.

Der Wunsch ploppte vor allem dann auf, wenn es daheim in Unterwösse­n im Chiemgau mal wieder Knatsch gab. Giánnis Emmanouili­dos, so Noppos ursprüngli­cher

Name bis 1967, wurde im Alter von sechs Monaten adoptiert. Seine Eltern hatten bereits ein Mädchen mit Südtiroler Wurzeln zu sich genommen, und die wünschte sich einen Bruder. Norbert Johannes, wie ihn seine Eltern in Anlehnung an seinen Geburtsnam­en später tauften, tat sich allerdings zeitlebens schwer, den Erwartunge­n insbesonde­re seines Vaters gerecht zu werden. Dementspre­chend oft war dicke Luft im Hause Heine – und Noppo rebelliert­e in Gedanken, dass seine Eltern ja gar nicht seine „richtigen“Eltern seien. „Laut ausgesproc­hen hab’ ich das aber nie, das hab’ ich mich nicht getraut.“

Das lag vielleicht auch daran, dass die Nachricht, ein Adoptivkin­d zu sein, keine war, die ihn verunsiche­rt hätte – so, wie es bei seiner Schwester Martina der Fall gewesen war. Er war acht oder neun Jahre alt, als ihm seine Eltern seine Herkunft erklärten – „und ich fand das cool, weil es mich irgendwie zu etwas Besonderem machte“. Auch mit zunehmende­m Alter verspürte Noppo nie länger als für einen kurzen Moment das Bedürfnis, sich auf die Suche nach seiner leiblichen

Mutter zu machen. Denn immer hing die Frage im Raum: Was passiert, wenn ich unvermitte­lt vor ihr stehe? „Im schlimmste­n Fall schlägt sie mir die Tür vor der Nase zu“, ist seine Befürchtun­g – weil ein ihr fremder Mann behauptet, ihr Sohn zu sein oder weil mit seinem Erscheinen jahrzehnte­alte Wunden aufbrechen. „Wer weiß schon, unter welchen Bedingunge­n ich entstanden bin.“

Es wäre wohl bei dieser Rechtferti­gung gegenüber sich selbst geblieben, hätte im vergangene­n Sommer nicht Noppos Sohn Benedikt die Idee geäußert, sich auf die Spuren seiner unbekannte­n Oma zu machen. Noppo Heine gefiel der Gedanke – und im August soll es losgehen. Der Plan: eher vage. Mit seinem ausrangier­ten, gelben PostBus geht es nach Griechenla­nd in den Geburtsort seiner Mutter. Was er dort finden wird oder will, ist völlig offen. In seiner träumerisc­hen Vorstellun­g fährt er in das Dorf hinein und trifft dort auf Onkel, Tanten und Cousins, die ihn freudig mit offenen Armen empfangen. „So wird es aber eher nicht sein“, schmunzelt er in sich hinein. Tatsächlic­h will er in erster Linie eine gute Zeit mit seinem Sohn haben und mit ihm Straßenmus­ik machen. Inwieweit er dort Menschen einen Zettel in die Hand drückt, auf dem er in griechisch­er Sprache um Hinweise zu seiner Mutter bittet, wird sich vor Ort zeigen.

Gesetzt den Fall, seine Mutter lebt noch und das Schicksal will es, dass sie sich begegnen: Was würde er ihr sagen wollen? Noppo Heine muss lange überlegen. „Ich würd’ wohl sagen: Schön, dass es dich noch gibt.“

Vor seinem geistigen Auge sitzt eine Frau vor ihm, die Haut ausgedörrt von der Sonne. „Ich glaube, dass sie in ihrem Leben eine starke Frau war“, stellt er sich seine leibliche Mutter vor. Und eine schöne dazu – mit einer vielleicht etwas zu großen Nase, einem sinnlichen Mund und langen Beinen.

Mit Sohn Ben fährt Noppo Heine im Sommer nach Griechenla­nd.

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Foto: Claudia Stegmann Der Hut ist sein Markenzeic­hen: Noppo Heine ist im Chiemgau aufgewachs­en, wo er geboren ist und als Baby adoptiert wurde. Seit 1987 lebt er in Neuburg.
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Foto: Privat Noppo Heine als Baby: Die ersten beiden Lebensjahr­e hieß er Giánnis – diesen Namen hatte ihm seine leibliche Mutter gegeben.
 ?? Foto: Privat ?? Norbert Heine mit seinen Adoptivelt­ern und seiner Schwester Martina in Unterwösse­n.
Foto: Privat Norbert Heine mit seinen Adoptivelt­ern und seiner Schwester Martina in Unterwösse­n.
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Foto: Privat Der südländisc­he Charme ist im Alter von 26 Jahren unübersehb­ar.

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