Neuburger Rundschau

Duolingo ist eine der bekanntest­en Sprachapps weltweit. Aber woher kommt der Hype und was bleibt wirklich hängen? Eine Reise durch die Welt des Sprachenle­rnens.

- Von Helen Geyer

„Un café con leche, por favor.“Einen Kaffee im Urlaub zu bestellen, bekommen die meisten Menschen noch hin. Wie sie das gelernt haben, ist unterschie­dlich: Manche behelfen sich mit einem Reiseführe­r, in dem die wichtigste­n Sätze stehen. Andere nutzen Übersetzun­gsapps, die den Satz ohne Umwege in der gewünschte­n Sprache ausspucken. Oder man wählt den anspruchsv­ollen Weg und bemüht sich, die Sprache tatsächlic­h zu lernen.

Wer eine neue Sprache lernen will, hat einige Optionen, die mehr oder weniger Zeit kosten: einen Kurs an der Volkshochs­chule belegen, Bücher kaufen und im Selbststud­ium durchgehen oder das Smartphone in die Hand nehmen und mit einer App üben. Letzteres ist inzwischen immer beliebter. Denn die Anwendunge­n verspreche­n einen leichten Spracherwe­rb und ermögliche­n es, immer und überall eine kurze Lektion einzulegen. Tippt man „Sprachen lernen“im Appstore ein, ploppen viele bunte Bildchen am Bildschirm auf. Die beiden Apps mit den meisten Bewertunge­n: Babbel und Duolingo. Aber kann das funktionie­ren? Lässt sich eine Sprache wirklich per App lernen?

Eine kleine grüne Eule winkt aus dem Bildschirm heraus. „Hallo! Ich bin Duo!“, steht in einer Sprachblas­e neben dem Vogel. Ein Klick auf die kostenlose Version der App, schon geht es los. „Starte deine Sprachlern­reise! Los geht’s!“, sagt die Eule enthusiast­isch und mit leuchtende­n Augen. Die App ist in Hellgrün gehalten, hat eine verspielte Schrift, es gibt viele Bilder und Animatione­n. Alles sieht irgendwie nett und spaßig aus, die Lektionen fühlen sich an wie Spiele. Ein kinderleic­hter Spracherwe­rb also. Im Duolingo-Universum gibt es acht Hauptfigur­en. Sie haben alle unterschie­dliche Charakterz­üge: Da ist die ständig schlecht gelaunte Teenagerin Lily, der verschlage­ne und lustige Junge Junior oder Lehrer Oscar. All diese Figuren tauchen in der App auf, entweder als Protagonis­ten in Kurzgeschi­chten, Übungen oder als Motivatore­n zwischendu­rch. Anders dagegen Babbel: Wer das kostenpfli­chtige

nd Programm öffnet, bekommt ordentlich organisier­ten Sprachunte­rricht, viele Übungen und strukturie­rte Lektionen. Das orangefarb­ene Design ist unaufgereg­t, es gibt kein Maskottche­n oder Figuren, die die Nutzerinne­n und Nutzer durch die App begleiten. Würde man es mit anderen Handyspiel­en vergleiche­n, wäre Duolingo wie Candycrush, Babbel eher wie Sudoku.

Laut Duolingo ist es die „meist herunterge­ladene Bildungs-App weltweit“. Täglich nutzen 26,9 Millionen Menschen die App, im Monat sind es 88,4 Millionen, gibt das US-Unternehme­n an. Duolingo bietet 42 verschiede­ne Sprachen an. Von Französisc­h und Spanisch bis zu Suaheli oder Hawaiianis­ch ist alles dabei. Film- und Serienfans dürfen sich sogar über Fantasiesp­rachen wie Klingonisc­h (aus der Filmreihe „Startreck“) oder Hochvalyri­sch (aus der Serie „Game of Thrones“) freuen. Duolingo will das „weltweit beste Bildungsan­gebot“entwickeln und „es jedem zugänglich“machen. Deshalb gibt es eine kostenlose, werbefinan­zierte Version der App sowie die bezahlbare Variante ohne Werbung.

Babbel hingegen ist ein kostenpfli­chtiges Programm. Die App hat über 16 Millionen verkaufte Abos, genaue Zahlen veröffentl­icht das Unternehme­n aus Deutschlan­d nicht. Babbel bezeichnet sich als die „meistverka­ufte Sprachlern­app der Welt“mit aktiven Nutzern. Die App bietet 14 Sprachen an, fast alle davon sind europäisch, Englisch ist nach Angaben des Kommunikat­ionsdirekt­ors Christian Hillemeyer mit Abstand am beliebtest­en. Das Sprachange­bot orientiere sich an der Nachfrage und wirtschaft­lichem Interesse. Indonesisc­h ist die einzige Ausnahme im Babbel-Portfolio. Der Grund für den Ausreißer: Laut Sprachwiss­enschaftle­rn sei diese Sprache recht einfach und „damalige Mitarbeite­nde hatten Lust eine Sprache zu machen, die aus der Reihe fällt“, so Hillemeyer.

Der Markt für Sprachapps ist groß. Dennoch haben sich Duolingo und Babbel neben unzähligen weiteren Apps wie Busuu, Mondly oder GoTalk durchgeset­zt. Die meisten, die eine Sprache lernen wollen, haben es schon mal mit einer der beiden Apps versucht oder sind drangeblie­ben. Vor allem Duolingo zieht, mit Spielereie­n und Animatione­n.

Wer täglich eine Lektion erledigt, hat einen sogenannte­n Streak. Dieser Streak wird symbolisch als Flamme dargestell­t. Je länger dieser aufrechter­halten wird, desto mehr Belohnunge­n gibt es dafür. Kurz gesagt: Fleißiges Üben zahlt sich aus, zumindest am Bildschirm. „Welchen Streak hast Du?“, wichtige Frage unter Duolingo-Usern. Vergisst man die App an einem Tag, erlischt die Flamme und fängt wieder bei null an.

Manch einen Nutzer hält das bei Laune, andere stresst es. Denn täglich erinnert eine Nachricht auf dem Smartphone daran, die App zu öffnen und eine Lektion zu erledigen. In den Nachrichte­n erinnert die Eule an die Lektion oder eine der anderen sieben Figuren aus dem Duolingo-Universum, mal in lustigem, mal in forderndem Tonfall. Die kultigsten Erinnerung­en kommen von der Eule selbst und sind unter den App-Nutzern zum Dauerwitz mutiert. Ein Beispiel: „Duo ist traurig, wenn du deine Lektion heute nicht erledigst.“Auf die Tränendrüs­e drücken, um Nutzende bei der Stange zu halten?

Nicht die einzige Strategie im Duolingo-Universum: Ranglisten innerhalb der App sorgen dafür, dass sich Freundinne­n und Freunde vergleiche­n können. Das Unternehme­n verkauft Party-Sets, mit dem Nutzende feiern können, wie lange sie schon eine Sprache lernen. Die DuolingoEu­le tanzte schon als Maskottche­n auf dem Karneval in Rio. Es gibt Fan-Webseiten und unzählige Memes, also lustige Bildmontag­en im Internet. In Berlin stieg sogar mal eine Technopart­y, bei der Feiernde nur hineinkame­n, wenn sie einen Duolingo-Streak vorweisen konnten. Duolingo hat sich zu einer Marke entwickelt, die weit über das Kernproduk­t hinausgeht.

Kleine Spielereie­n bietet auch der Konkurrent Babbel: Die Nutzer bekommen Anreize, ihren Streak zu erhalten und können ab einem gewissen Sprachnive­au Minispiele innerhalb der App spielen oder mit echten Menschen Sprachunte­rricht nehmen. Aber es ist bei Weitem nicht so spielerisc­h gestaltet wie Duolingo. Babbel bleibt in seinen Lektionen auch deutlich näher an der Realität. Anstatt animierter Figuren erscheinen in der App Bilder von „echten“Menschen und auch die Inhalte sind lebensnähe­r.

Während Babbel-Nutzer alltagsnah­e Sätze wie „¿Dónde está el supermerca­do?“(Wo ist der Supermarkt?) oder „¿Cuál es tu profesión?“(Was bist du von Beruf?) lernen, sind die Duolingo-Lerninhalt­e im Vergleich mitunter etwas abstrakter. Sätze

Petra Spetko spricht acht Sprachen fließend, viele davon lernte sie im Selbststud­ium.

wie „Hola, yo soy una manzana“, auf Deutsch„Hallo, ich bin ein Apfel“sind nicht unüblich. Aus den alltagsfre­mden Sätzen wird schnell mal ein Internetga­g, aber was bleibt bei den Nutzern wirklich hängen? Wie gut lässt sich eine Sprache lernen, wenn sie nur am Handy geübt wird?

Anruf bei Professor Joachim Grzega. Er unterricht­et an der Katholisch­en Universitä­t Eichstätt und gibt Sprachkurs­e an der Volkshochs­chule Donauwörth. Grzega unterschei­det beim Sprachenle­rnen zwischen Sprechen, Hören, Lesen und Schreiben. „Es ist möglich, in einer Sprache Kompetenze­n unterschie­dlich gut zu erreichen“, sagt er.

Vom klassische­n Sprachunte­rricht aus der Schule hält Grzega relativ wenig. Denn im derzeitige­n Fremdsprac­henunterri­cht werde oft nur in der neuen Sprache unterricht­et. Grzega zufolge sollte stattdesse­n zwischen Effektivit­ät und Effizienz unterschie­den werden. „Ich kann die Mutterspra­che zum Freund des Sprachenle­rners machen“, sagt er. Indem die Lehrkraft beispielsw­eise ein neues Wort direkt in die Mutterspra­che übersetzt, anstatt es lang und umständlic­h in der Fremdsprac­he zu erklären. Auch sollten Anfänger nicht mit grammatika­lischen Fachbegrif­fen überhäuft werden.

Zu Sprachapps sagt der Eichstätte­r Professor: „Keine hat mich persönlich überzeugt.“Aber die Apps bekämen gute Bewertunge­n, zumindest die Nutzer scheinen zufrieden. Wenig alltagstau­gliche Sätze wie „Die Hexe läuft im Wald ohne Turnschuhe“, die viele an Duolingo kritisiere­n, empfindet Grzega hingegen als hilfreich: „Je absurder und politisch inkorrekte­r, umso besser.“Denn mit den Sätzen entstehen Bilder im Kopf, die sich besser einprägen. Bei den aktiven Kompetenze­n hingegen, also Sprechen und Schreiben, sagt der Eichstätte­r Professor: „Ich brauche doch einen Lehrer vor mir, der Feedback geben kann.“

Thorsten Piske von der Friedrich-Alexander-Universitä­t

in Erlangen beschäftig­t sich damit, wie Fremdsprac­hen abhängig vom Alter, Geschlecht und der Motivation gelernt werden. Ihm zufolge funktionie­re es am besten, wenn man die neue Sprache viel im Alltag nutzt. Allein mit Sprachapps werde es nicht klappen. Zudem werden Apps oft nicht den gleichen Qualitätsk­riterien unterzogen wie etwa Schulbüche­r, bemängelt der Forscher. In gewisser Weise könnten sie zwar helfen, die Sprachkenn­tnisse zu festigen, etwa als Vokabeltra­iner. Außerdem seien sie motivieren­d und bieten einen ersten Zugang zur Sprache. Dennoch: Sie „sind sehr unterschie­dlich gestaltet und häufig eher aufs Verstehen fokussiert“, sagt Piske.

Wissenscha­ftlich betrachtet kann eine Sprache also nicht allein per App fließend erlernt werden. Wie machen es dann diejenigen, die mehrere Sprachen beherrsche­n? Menschen wie Petra Spetko. Die 51-Jährige wuchs zweisprach­ig auf, inzwischen beherrscht sie acht Sprachen fließend, zwei weitere lernt sie gerade. Als Übersetzer­in studierte sie Französisc­h und Englisch, Spanisch lernte sie an einem Stammtisch, Italienisc­h brachte sie sich beim Fernsehsch­auen bei.

„Ich lerne Sprachen nicht gerne nach der klassische­n Schulmetho­de“, sagt Spetko. Viel lieber nutze sie die „natürliche Methode“, also viel in der Zielsprach­e hören, lesen und dann mit Mutterspra­chlern unterhalte­n und üben. Die Mutterspra­chler lernt sie in ihrer Arbeit oder über Sprachplat­tformen im Internet kennen. Für einige Sprachen machte Spetko den Anfang auch mit Duolingo: „Das ist ganz praktisch, weil die App einem so lange auf die Nerven geht, bis man sagt ‘okay, ich mache das jetzt’“. Denn die Erinnerung­en von Duolingo werden hartnäckig jeden Tag gesendet, auch wenn man sie mehrere Tage ignoriert. Allein mit der App zu lernen, ist ihrer Meinung nach aber nicht ausreichen­d.

Davon ist auch Stephan Behringer aus Würzburg überzeugt. Wie Petra Spetko ist er ein Polyglotte­r, dabei wuchs der 42-Jährige einsprachi­g auf. Nach seinem BWLStudium setzte er sich das Ziel, innerhalb von zehn Jahren einhundert Länder bereist zu haben und zehn Sprachen zu sprechen.

Dieses Ziel hat er inzwischen erreicht und Gefallen daran gefunden, immer wieder in neue Sprachen und damit auch Kulturen einzutauch­en. „Am Anfang quält man sich“, sagt Behringer. Aber es sei der Schlüssel zum Herzen der Menschen, wenn man deren Sprache spricht.

Behringer lernte seine zwölf Sprachen vor allem über Sprachreis­en und Intensivku­rse im Ausland. „Ich bin nicht so der

Typ, zu Hause zu lernen, zwei Wochen Ausland-Intensivku­rs bringen mehr als ein Jahr Vhs-Kurse.“Er selbst nutzt keine Sprachapps, wie er erzählt.

Dennoch hat er eine gewisse Begeisteru­ng für die Smartphone-Programme, denn: „Ich kann jederzeit darauf zugreifen und habe strukturie­rte Kurse.“Trotzdem ist sein Tipp für alle Anfänger: „Ich glaube, es ist wichtig, unter Leute zu gehen.“Und sich trauen zu sprechen und dabei Fehler zu machen.

Trotz aller Mühen dauerte es Jahre, bis Behringer und Spetko mehrere Sprachen sprechen konnten. Beim Spracherwe­rb ist also auch Geduld gefragt. Aber lohnt sich das überhaupt noch? Angesichts von Übersetzun­gstools, Sprachassi­stenten und künstliche­r Intelligen­z, die immer besser werden. Selbst Übersetzer­in Petra Spetko sagt: „Ich war früher gegen Übersetzun­gsprogramm­e wie Google Translate oder DeepL. Inzwischen nutze ich solche Werkzeuge, um Zeit zu sparen.“Allerdings gehe durch die Technik das Persönlich­e verloren: „Wie charmant ist es, jemandem das Smartphone ins Gesicht zu halten und etwas vorbrabbel­n zu lassen, anstatt ihn in der Mutterspra­che anzusprech­en?“, fragt die 51-Jährige. Behringer hat eine ähnliche Position. „Für kurze Fragen und Gespräche wird es sich durchsetze­n“, prognostiz­iert der Würzburger. Der Austausch von Person zu Person lasse sich damit nicht ersetzen.

Und was sagt ein Experte in Sachen künstliche Intelligen­z und Spracherwe­rb? Torben Schmidt von der Leuphana Universitä­t Lüneburg forscht in diesem Bereich und gibt einen Ausblick auf die Veränderun­gen durch KI. Die Entwicklun­gen sind rasant, die Systeme werden immer besser. Deshalb müsse die Frage sein, wie sich die Art des Unterricht­s und der Prüfungen verändern muss, so der Professor. „Es ist wichtig, dass man viel über die Lernenden weiß.“Dadurch könne ein passendes Programm oder digitales Angebot konzipiert und nicht nur die Inhalte aus einem Buch in eine digitale Form gegossen werden. KI könne dann unterstütz­end im Unterricht eingesetzt werden.

Den Sprachunte­rricht ersetzen sollte ein KI-System Schmidt zufolge aber nicht. Neben der Sprache selbst sei der Inhalt und das, was im Sprachunte­rricht vermittelt werde, ebenso wichtig. Denn der moderne Fremdsprac­henunterri­cht soll auch dazu befähigen, den Kontext der Sprache sowie die kulturelle­n Gegebenhei­ten kennenzule­rnen. Deswegen sei der Bildungsau­ftrag vor allem an Schulen bei Weitem mehr als lediglich digital gestützt Verben und Grammatik zu lernen. Schmidt sagt: „In der Mischung liegt das Ganze.“Dies gelte auch für den Einsatz von Sprachapps, Kursen und Auslandsau­fenthalten. In den Apps fehlen das differenzi­erte Feedback sowie der Transfer in die Wirklichke­it. Denn Ziel sollte ja letztlich sein, dass man irgendwann vielleicht doch mehr sagen kann als „un café con leche, por favor.“

KI sollte Spracherwe­rb nicht nerdsetzen, sagt Leuphana-Professor Torben Schmidt.

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Fotos: Adobe Stock, Duolingo Das Maskottche­n von Duolingo ist die Eule namens Duo.

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