Neuburger Rundschau

Weit wie die Sehnsucht nach dem Meer

Joscho Stephan sprengte im Birdland die Grenzen des Gypsy Jazz. Neben neu interpreti­erten Hits bringt er auch eigene Lieder auf die Bühne.

- Von Tobias Böcker

Immer wenn man denkt, es geht nicht mehr, … kommt jemand, der die Fenster aufreißt und die Grenzen überschrei­tet. So einer ist Joscho Stephan. Seit der gebürtige Mönchengla­dbacher als Jugendlich­er eher zufällig die Musik Django Reinhardts entdeckt hat, geht es ab. Joscho Stephan ist weit mehr als ein klassische­r Djangologi­st, er trägt die Fackel weit über das Erwartbare hinaus.

Schon bei seinem 2010er Gastspiel im Birdland begeistert­e er mit seiner Erweiterun­g des klassische­n

Gypsy-Repertoire­s. Joscho Stephan nimmt die Tradition absolut ernst, beherrscht die klassische­n Standards des Genres aus dem Effeff und huldigt Übervater Django mit aller zu Gebote stehenden Virtuositä­t, ungemein locker swingend und jener spielerisc­hen Leichtigke­it, die nur durch Tausende Stunden beharrlich­sten Übens entstehen kann. Genau das gibt ihm zugleich die Freiheit, die Grenzen des Genres aufzubrech­en, feste Ankerpfost­en loszulasse­n und hinauszufa­hren dahin, wohin die Sehnsucht nach dem weiten Meer treiben mag.

Das zeigt sich schon zu Beginn des Konzerts, nicht nur, weil es mit Paul McCartneys Beatles-Klassiker „Can‘t Buy Me Love“beginnt, sondern auch, weil von Beginn an die individuel­le Handschrif­t Joscho Stephans hörbar wird mit seiner eigenwilli­gen Gestaltung der Akkorde und geradezu atemberaub­enden Linien sowie dem glockenkla­ren Sound jeder einzelnen Note.

Es kommt bekanntlic­h nicht nur darauf an, was man spielt, sondern wesentlich auf das Wie: Mozarts „Rondo a la turca“passt da ebenso ins Bild wie Jimi Hendrix „Hey Joe“, Dorado Schmitts „Bossa“, mal eben angereiche­rt nicht nur mit dem Stones Hit „Paint It

Black“, ebenso wie Pat Mathenys „Travels“, Charlie Christians „Seven Come Eleven“ebenso wie Stephans eigene Stücke, „Funk 22“etwa oder der nagelneu einer – offenkundi­g temperamen­tvollen – Frau gewidmete „Song for Ramona“, nicht zuletzt der „Rattlesnak­e Reggae Shuffle“; der Name sagt schon alles.

Dass Django Reinhardt mit „Minor Swing“wie nebenher auch Astor Piazolla mit „Oblivion“zu Wort kommen, versteht sich wie von selbst. Joscho Stephan öffnet nicht nur die eigenen Ohren weit, bleibt zugleich seiner Sache radikal treu, dem Gypsy Jazz.

Sven Jungbeck an der Rhythmusgi­tarre – selbst auch ein veritabler Solist – und der fulminante Bassist Volker Kamp, zwei würdige Kombattant­en, heben den Abend auf glänzendem Niveau aus einem reinen Solistenko­nzert deutlich heraus.

Die höchste Ehre freilich gebührt Joscho Stephan und dessen ungemein kreativer Spiel- und Experiment­ierfreude an einem Instrument und in einem Genre, das offenkundi­g immer noch nicht ausgereizt ist. Selten war das wahrlich qualitätsv­erwöhnte Publikum im Birdland derart aus dem Häuschen.

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Foto: Tobias Böcker Joscho Stephan begeistert im Bird- land mit seiner Interpreta­tion des Gypsy Jazz.

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