Die Kunst des Konturierens
Das Tier im Menschen, vor allem im Mann, kennen und fürchten wir. Das vermeintlich Menschliche im Tier liefern uns der unüberschaubare Cat-Content und die Welpen-Videos im weltweiten Netz. Mit beiden bequemen Klischees gibt sich die Künstlerin Andrea Legde gar nicht erst ab. In ihrer Ausstellung „Das Tier ist auch nur ein Mensch“, die jetzt in der Städtischen Galerie Neuburg zu sehen ist, eröffnet sie völlig neue und tatsächlich tiefgehende Perspektiven auf das Thema. Die Künstlerin – akademische Bildhauerin, promovierte Kunsthistorikerin und Lehrerin – hat hier ein dreidimensionales Buch der Natur und des Widernatürlichen vor uns aufgeschlagen, in dem wir verwundert – und begeistert – lesen.
Im Zentrum stehen Legdes Plastiken, Tiere: Hunde, Wölfe, Rehe, vor allem Schimpansen, evolutionsgeschichtlich unsere
Die scheinbare Übersichtlichkeit hat jede Menge Untiefen.
nächsten Verwandten, alle meist in Lebensgröße. Die anatomisch höchst genauen Figuren sind aus Holz, oder sollte man eher sagen, sind holzverkleidet, denn sie arbeitet ungewöhnlicherweise mit Rinde. Auf die gleiche Weise verfremdet, kommen Skulpturen teilweise überdimensional vergrößerter menschlicher und tierischer Extremitäten dazu: Hände, Füße, Klauen, Krallen, Ohren, Nasen, vor allem Münder. Es scheint, als habe Legde ein leidenschaftliches Interesse an der Beschäftigung mit der Welt-Wahrnehmung, dem Instrumentarium des Menschen, seiner Art (Kunst?) und Weise, wie er im Leben steht, die Welt begreift, sich einverleibt, verinnerlicht, seine Wahrnehmung wiederkäut und wiedergibt.
Gerahmt ist diese Menagerie von Bildern Legdes, meist zusammengesetzt aus Leinwandsegmenten, One-Line-Art auf pastellfarbenem Grund, Umrisszeichnungen, die nichts Ungefähres haben.
Da ist so gut wie nichts vermischt, verwischt, verschattet, klare Konturen noch in der allergrößten Verwirrung der Linien. Die Themen und Motive auch hier: Menschliches, Allzumenschliches, Alltägliches und Abgehobenes. In Kurzfilmen, die auf kleinen Digitalbilderrahmen ablaufen, sampelt sie unterschiedlichstes Bildmaterial, animiert Gegenstände, Puppen, bringt so ihre Skulpturen per Stop-motion-Technik in Bewegung. Alles in allem, befremdliche bis komische Studien elementarer Vollzüge und Verwandlungen, vom Reden bis zum Fliegen, mal banal, mal surreal.
Wer meint, in den Arbeiten Vertrautes oder auch nur ein hilfreiches Schema zu erkennen, geht Legde auf den Leim. Die scheinbare Übersichtlichkeit jeder einzelnen Arbeit hat jede Menge Untiefen. Wo sie in Strich, Form und Farbe eine fest umrissene und klar gegliederte Botschaft zu geben scheint, hat sie in Wahrheit verfremdet – ohne dass etwas von der konkreten Eindringlichkeit des Themas und seiner sinnlichen Wirkung verloren geht. Es ist ihr eigenwilliger Humor, der die Summe der Erkenntnisse erträglich macht, von heiterer Gelassenheit, wie bei der Ausstellungseröffnung zu hören, kann keine Rede sein.
Die Ausstellung im Rathausfletz ist noch bis zum 9. Juni zu sehen.