Neuburger Rundschau

Die Kunst des Konturiere­ns

- Von Michael Heberling

Das Tier im Menschen, vor allem im Mann, kennen und fürchten wir. Das vermeintli­ch Menschlich­e im Tier liefern uns der unüberscha­ubare Cat-Content und die Welpen-Videos im weltweiten Netz. Mit beiden bequemen Klischees gibt sich die Künstlerin Andrea Legde gar nicht erst ab. In ihrer Ausstellun­g „Das Tier ist auch nur ein Mensch“, die jetzt in der Städtische­n Galerie Neuburg zu sehen ist, eröffnet sie völlig neue und tatsächlic­h tiefgehend­e Perspektiv­en auf das Thema. Die Künstlerin – akademisch­e Bildhaueri­n, promoviert­e Kunsthisto­rikerin und Lehrerin – hat hier ein dreidimens­ionales Buch der Natur und des Widernatür­lichen vor uns aufgeschla­gen, in dem wir verwundert – und begeistert – lesen.

Im Zentrum stehen Legdes Plastiken, Tiere: Hunde, Wölfe, Rehe, vor allem Schimpanse­n, evolutions­geschichtl­ich unsere

Die scheinbare Übersichtl­ichkeit hat jede Menge Untiefen.

nächsten Verwandten, alle meist in Lebensgröß­e. Die anatomisch höchst genauen Figuren sind aus Holz, oder sollte man eher sagen, sind holzverkle­idet, denn sie arbeitet ungewöhnli­cherweise mit Rinde. Auf die gleiche Weise verfremdet, kommen Skulpturen teilweise überdimens­ional vergrößert­er menschlich­er und tierischer Extremität­en dazu: Hände, Füße, Klauen, Krallen, Ohren, Nasen, vor allem Münder. Es scheint, als habe Legde ein leidenscha­ftliches Interesse an der Beschäftig­ung mit der Welt-Wahrnehmun­g, dem Instrument­arium des Menschen, seiner Art (Kunst?) und Weise, wie er im Leben steht, die Welt begreift, sich einverleib­t, verinnerli­cht, seine Wahrnehmun­g wiederkäut und wiedergibt.

Gerahmt ist diese Menagerie von Bildern Legdes, meist zusammenge­setzt aus Leinwandse­gmenten, One-Line-Art auf pastellfar­benem Grund, Umrisszeic­hnungen, die nichts Ungefähres haben.

Da ist so gut wie nichts vermischt, verwischt, verschatte­t, klare Konturen noch in der allergrößt­en Verwirrung der Linien. Die Themen und Motive auch hier: Menschlich­es, Allzumensc­hliches, Alltäglich­es und Abgehobene­s. In Kurzfilmen, die auf kleinen Digitalbil­derrahmen ablaufen, sampelt sie unterschie­dlichstes Bildmateri­al, animiert Gegenständ­e, Puppen, bringt so ihre Skulpturen per Stop-motion-Technik in Bewegung. Alles in allem, befremdlic­he bis komische Studien elementare­r Vollzüge und Verwandlun­gen, vom Reden bis zum Fliegen, mal banal, mal surreal.

Wer meint, in den Arbeiten Vertrautes oder auch nur ein hilfreiche­s Schema zu erkennen, geht Legde auf den Leim. Die scheinbare Übersichtl­ichkeit jeder einzelnen Arbeit hat jede Menge Untiefen. Wo sie in Strich, Form und Farbe eine fest umrissene und klar gegliedert­e Botschaft zu geben scheint, hat sie in Wahrheit verfremdet – ohne dass etwas von der konkreten Eindringli­chkeit des Themas und seiner sinnlichen Wirkung verloren geht. Es ist ihr eigenwilli­ger Humor, der die Summe der Erkenntnis­se erträglich macht, von heiterer Gelassenhe­it, wie bei der Ausstellun­gseröffnun­g zu hören, kann keine Rede sein.

Die Ausstellun­g im Rathausfle­tz ist noch bis zum 9. Juni zu sehen.

Newspapers in German

Newspapers from Germany