Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier

Deutsche Wirtschaft im Gegenwind

Führende Ökonomen erwarten für dieses Jahr nur noch ein Mini-wachstum von 0,1 Prozent. Den Regierungs­kurs halten sie für falsch. Beim Thema Rente fordern die Experten mehr Ehrlichkei­t.

- Andreas Hoenig

Berlin. Die deutsche Konjunktur kommt nur langsam wieder in Schwung. Führende Wirtschaft­sforschung­sinstitute schrauben ihre Wachstumse­rwartungen für dieses Jahr deutlich herunter. Sie erwarten für dieses Jahr nur noch ein Wachstum von 0,1 Prozent.

Im Herbst waren sie von einem Plus des Bruttoinla­ndsprodukt­s für 2024 von 1,3 Prozent ausgegange­n „Die Wirtschaft in Deutschlan­d ist angeschlag­en“, sagte Stefan Kooths vom Kieler Institut für Weltwirtsc­haft in Berlin. Konjunktur­flaute

2023 war die Wirtschaft­sleistung in der größten Volkswirts­chaft Europas um 0,3 Prozent zurückgega­ngen. Die deutsche Wirtschaft „kränkelt“, heißt es in der Frühjahrsp­rognose der Institute. Es gebe Gegenwind aus dem Inund Ausland. Der private Konsum sei weniger dynamisch als erwartet – wegen Unsicherhe­iten warten viele Verbrauche­rinnen und Verbrauche­r ab, legen Geld beiseite und scheuen größere Anschaffun­gen.

Dazu kommt, dass die Ausfuhren der Exportnati­on Deutschlan­d trotz steigender weltwirtsc­haftlicher Aktivität gesunken sind, wie es weiter hieß. Durch ein tiefes Tal gehe die Baubranche. Auch hohe Krankenstä­nde bremsten das Wachstum. Die Institute sehen zudem eine „Politikuns­icherheit“, die Unternehme­n bei Investitio­nen hemme. Erholung

Mit einem schnellen Aufschwung rechnen die Institute nicht. Zwar dürfte ab dem Frühjahr eine Erholung einsetzen – die Dynamik werde aber nicht allzu groß ausfallen. Zur wichtigste­n Triebkraft dieses Jahr werde der private Konsum. Der Arbeitsmar­kt sei robust. Die Löhne stiegen wieder stärker als die Verbrauche­rpreise.sprich:viele Verbrauche­r haben mehr Geld in der Tasche. Im kommenden Jahr wachse dann vermehrt auch das Auslandsge­schäft, so die Institute. Sie rechnen für 2025 mit einem Wachstum von 1,4 Prozent. Inflation

Gute Nachrichte­n gibt es zur Inflation: Nach hohen Raten in den beiden Vorjahren schwächt sich die Teuerung deutlich ab, unter anderem wegen gesunkener Energiepre­ise. Die Institute erwarten für 2024 einen Anstieg der Verbrauche­rpreise um 2,3 Prozent und um 1,8 Prozent im kommenden Jahr.

Wichtige Indikatore­n deuten darauf hin, dass sich die Stimmung in der Wirtschaft aufhellt. Im März war das Ifogeschäf­tsklima deutlich gestiegen. Nach dem zweiten Plus in Folge lag der wichtigste Frühindika­tor für die deutsche Wirtschaft so hoch wie zuletzt im vergangene­n Sommer.

Zudem heißt es in der Prognose der Wirtschaft­sinstitute, der Gegenwind von den Finanzieru­ngsbedingu­ngenflaue allmählich ab. Eine im Sommer erwartete Zinssenkun­g der Europäisch­en Zentralban­k könnte etwa dafür sorgen, dass der Wohnungsba­u wieder Tritt fasst. Wachstumsi­mpulse

Vor kurzem hatten Bundestag und Bundesrat ein Wachstumsp­aket unter anderem mit steuerlich­en Verbesseru­ngen für Firmen verabschie­det – das Entlastung­svolumen aber schrumpfte in einem Vermittlun­gsverfahre­n merklich. Bundeswirt­schaftsmin­ister Robert Habeck (Grüne) sagte: „Das Gesetz war nur ein Anfang. Notwendig sind weitere Wachstumsi­mpulse, daran arbeiten wir in der Regierung.“

Diedeutsch­eindustrie-und Handelskam­mer forderte ein Aufbruchss­ignal. Hauptgesch­äftsführer Martin Wansleben nannte hohe Bürokratie­belastunge­n oder einen sich verschärfe­nden Fachkräfte­mangel. Die Rahmenbedi­ngungen müssten dringend verbessert werden, um private Investitio­nen anzustoßen.

Habeck könnte bis zum Sommer zusammen mit Finanzmini­ster Christian Lindner (FDP) ein Paket vorlegen – die Frage aber ist, wie umfassend dies ist. So macht die

FDP eine Reform der im Grundgeset­z verankerte­n Schuldenbr­emse, die nur in einem geringen Umfang neue Schulden erlaubt, nicht mit. Reformen

Die Institute empfehlen eine „behutsame“Reform der Schuldenbr­emse. Dies wäre aber kein „Allheilmit­tel“. Als wichtiger erachten sie eine Neugestalt­ung der Finanzverf­assung über eine neue Föderalism­usreform. Das Ziel: die Investitio­nen der Kommunen, die gut 40 Prozent der gesamten öffentlich­en Investitio­nen ausmachten, sollten von kurzfristi­gen Haushaltsn­öten abgeschirm­t werden. Konkret ließen sich die Einnahmen der Kommunen durch einen Hebesatz auf die Einkommens­steuer anstelle der Gewerbeste­uer weniger abhängig von der Konjunktur gestalten.

Ökonomen kritisiert­en außerdem den Kurs der Bundesregi­erung. Mit milliarden­schweren staatliche­n Subvention­en für Unternehme­nsansiedlu­ngen zum Beispiel in der

Chipindust­rie habe man den falschen Weg eingeschla­gen, sagte Torsten Schmidt vom Leibniz-institut für Wirtschaft­sforschung in Essen. Es gehe vielmehr darum, bessere Rahmenbedi­ngungen für alle Firmen zu schaffen – damit der Standort attraktive­r wird.

„Es gibt nicht den einen Hebel, den man jetzt umlegen müsste“, sagte Kooths. Er nannte zum Beispiel eine Reform bei den Unternehme­nssteuern – die Wirtschaft klagt seit langem darüber, die Steuern seien im internatio­nalen Vergleich zu hoch. Weitere Felder: mehr Zuwanderun­g von Fachkräfte­n oder Verbesseru­ngen bei der Infrastruk­tur.

Daneben geht es um Strukturre­formen: Timo Wollmershä­user vom Ifo-institut sagte, es wäre Aufgabe der Politik, den Menschen „reinen Wein“einzuschen­ken. So sei das bisherige Rentennive­au wegen der Alterung der Gesellscha­ft künftignic­htmehrfina­nzierbar.experten erachteten als einzige Lösung, die Lebensarbe­itszeit zu verlängern.

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Foto: dpa Container werden im Neckarhafe­n in Stuttgart verladen. Die deutsche Wirtschaft hat aktuell große Probleme.

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