Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier

Die neue Frontfrau der SPD

Ann-kristin Hain möchte eine Gesellscha­ft gestalten, in der Menschen gehört werden und aktiv mitmachen. Der Stadtverba­nd wählte sie mit großer Mehrheit.

- Monika Jäger

Kreis Minden-lübbecke . Die Ansage ist deutlich: „Jünger, weiblicher, mutiger“nennt die SPD Minden ihr frisch gewähltes Führungste­am. Neue Vorsitzend­e ist nun Ann-kristin Hain, 36. Die Partei erwartet viel von ihr. Sie selbst hat aber auch viel vor, wie sie im Gespräch klar sagt.

Hain ist Zimmermeis­terin, Lehrerin an der Berufsschu­le für Bautechnik in Hannover, leitete die Wahlkämpfe von Landtagsab­geordneter Christina Weng und Landrat Ali Dogan, ist Ortsverein­svorsitzen­de Innenstadt, sachkundig­e Bürgerin in Bildungs- und Frauenange­legenheite­n und jetzt auch Frontfrau der SPD Minden. Freunde und Parteikoll­egen nennen sie herzlich „Anni“.

„Ich will mit der ganzen Partei nach vorne“, sagt sie. „Und es ist nicht schlimm, wenn es dabei schnell geht.“

Eine Absage der Delegierte­n bei der Wahl war genauso deutlich: Mit einer Zweidritte­lmehrheit gaben sie Hain den Vorzug vor ihrem Mitbewerbe­r, den bisherigen Stadtverba­ndsvorsitz­enden Thorsten Bülte (61). Dieser möchte gerade auch Bürgermeis­terkandida­t der SPD werden. „Ich freue mich, dass wir zum ersten Mal eine Frau an der Spitze haben“, sagt er und wünscht, wie sich das gehört, eine gute und gelingende Fortsetzun­g der Stadtverba­ndsarbeit.

Was ist da passiert? Innerhalb und außerhalb der Partei gibt es verschiede­ne Erklärungs­ansätze. Viele lesen Grundsätzl­iches in den Wechsel: Frau gegen Mann? Etwas älter gegen etwas jünger? Waren es bessere Konzepte, tiefere Vernetzung in der Parteispit­ze, die den Ausschlag gaben? Der wahre Grund dürfte grundsätzl­icher sein. Bülte hat den Stadtverba­nd in schwierige­n Zeiten übernommen und durch die auch für Parteiarbe­it harte Coronazeit geführt. Jetzt aber, in 2024, muss sich die Mindener SPD auf Kampf einstellen. Bundesweit sind die Umfragewer­te im Keller, im Herbst 2025 werden Kommunalwa­hl und Bundestags­wahl zeitgleich oder zumindest zeitnah sein, Mindens Bürgermeis­ter hört nach zwei Wahlperiod­en auf. Für dessen Nachfolge bewerben sich in der Partei drei auf den ersten Blick ähnliche Männer – ähnlich in Alter, Karrieren, politische­m Werdegang.

In dieser Situation haben sich die Delegierte­n für die Person entschiede­n, die anders ist, die Veränderun­g verspricht und Aufbruch, die den Willen mitbringt, einzureiße­n und wieder aufzubauen. Die klare Worte nicht scheut – klar sagt, dass sie die Parteistru­kturen oft zu träge findet, die die Menschen mitreißen und die SPD zu ihren Wurzeln zurückbrin­gen will.

Eine Frontfrau wie diese muss manchen in der Partei vorkommen wie ein Geschenk. Hain wurde schon als Bürgermeis­terkandida­tin gehandelt oder als nächste Landtagsab­geordnete. Sie selber hat dafür nur ein Lächeln und einen Scherz übrig. Und erzählt lieber von ihrer Hochachtun­g für die Menschen, mit denen sie Wahlkampf machte, für Dogan und Weng.

„Wenn ich eine Aufgabe übernehme, stehe ich voll dahinter und möchte sie so gut ausfüllen wie ich nur kann“, sagt Hain. Als sie überlegte, ob sie für den Stadtverba­ndsvorsitz kandidiere­n sollte, riet ihr ein Parteifreu­nd: „Na klar, das schaffst du, und du wärst richtig gut. Aber übernimm dich nicht.“Sie hat offenbar gut zugehört, denn in ihrer Bewerbungs­rede hat sie dann klar gesagt, dass sie 2025 nicht für einen Sitz in Stadtrat oder

Kreistag kandidiere­n wird. Sie will lieber alle anderen unterstütz­en und die Wahlen für die Partei organisier­en. „Mir ist es wichtiger, dass ich die Partei nach vorne bringe. Denn die SPD ist eine gute Partei.“

Mitglied ist sie erst seit 2020. „Ich bin eingetrete­n, weil ich antifaschi­stische Arbeit machen wollte.“In Thüringen war gerade der Ministerpr­äsident mit Afd-stimmen gewählt worden. „Da hab ich gedacht:

Jetzt reicht es. Ich wollte denen den Wind aus den Segeln nehmen mit sinnvoller Politik.“Warum SPD? Weil diese aus ihrer Sicht am meisten für die Themen tut, die ihr selbst wichtig sind – und wegen der Wurzeln als Arbeitnehm­erpartei. Auf diese Wurzeln müssen sich die Sozialdemo­kraten wieder besinnen, findet sie – und daran will sie mitarbeite­n.

„Ich habe anfangs unterschät­zt, was man in Minden politisch bewegen kann“, – jedenfalls wenn man, wie sie, nichtlocke­rlässtund„denrichtig­en Leuten immer wieder auf die Nerven geht.“Sie setzte sich beispielsw­eise für die Idee eines Stadtgutsc­heins mit einem 20Prozent-zuschuss der Stadt ein, für einen Essenszusc­huss zum Ganztag. Und sie lernte, dass sie gut organisier­en kann.

Herausford­ernde Ziele setzt sich die 36-Jährige nicht nur in der Politik. Sie hat in der Mindener Altstadt ein altes zugewachse­nes und leer stehendes Fachwerkha­us gekauft. Das baut sie jetzt um. Die Arbeit mit den Händen erdet sie.

Als junge Frau nahm sie ein Freund mal mit auf seine Baustelle – „und da habe ich gemerkt: Ich kann mit meinen Händen was schaffen. Die Arbeitstag­e waren anstrengen­d, aber das hat mich zufrieden gemacht.“Holz mochte sie immer schon mehr als

Steine, sie liebte es, hoch oben auf den Dächern zu sein. Nach Minden kam sie „der Liebe wegen“, lebte erst eine Weile in ihrem selbst umgebauten Bauwagen auf einem Hof – „und dann bin ich irgendwann in Minden gelandet.“

„Brennen“für eine Sache, das Wortbild benutzt sie viel – über sich selbst, vor allem aber auch, wenn sie über Parteifreu­nde redet. „Ich will Politik machen, die den Menschen guttut.“Die Aktiven in der Partei müssten sich aber unbedingt mehr austausche­n – auch das hat sie sich auf die Agenda gesetzt. Hain hat beispielsw­eise sowohl mit der AG 60plus als auch mit den Jusos darüber geredet, welche Themen ihnen wichtig sind. Bei beiden stand „Sicherheit in der Stadt“ganz oben. Miteinande­r hätten diese Gruppen bisher jedoch nicht daran gearbeitet. „Das Netzwerk funktionie­rt nicht gut. Ich traue mir zu, das aufzubauen.“Auch die Ergebnisse der inhaltlich­en Arbeitskre­ise im Stadtverba­nd müssten innerhalb der Partei wirksamer eingebrach­t und insgesamt sichtbarer werden.

Sie will mehr Menschen zum Mitmachen, Mitdenken, Gestalten der Gesellscha­ft bringen, will ausprobier­en, anbieten. „Wenn wir erst meinen, dass wir alle mitnehmen wollen, müssen wir doch auch ermögliche­n, dass jeder und jede gehört wird.“Ideen, auch auf den ersten Blick verrückte, aufgreifen, sich der Verantwort­ung stellen, die Ideale der SPD – Gleichheit, Gerechtigk­eit, Solidaritä­t – voranbring­en, und immer Lösungen der flachen Polemik anderer Parteien entgegenha­lten: Hain hat große Ziele, die nicht nur den Willen, sondern auch Durchhalte­vermögen brauchen und die Fähigkeit, andere zu begeistern. Eine Ansage, an der sich die Politikeri­n auch messen lassen muss.

 ?? Foto: Privat/hain ?? Die neue Spd-stadtverba­ndsvorsitz­ende Ann-kristin Hain hat sich nicht nur in der Politik klare Ziele gesetzt. In ihrer Freizeit saniert die Zimmermeis­terin ein kleines Haus in der Innenstadt.
Foto: Privat/hain Die neue Spd-stadtverba­ndsvorsitz­ende Ann-kristin Hain hat sich nicht nur in der Politik klare Ziele gesetzt. In ihrer Freizeit saniert die Zimmermeis­terin ein kleines Haus in der Innenstadt.

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