Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier

Emotionale Diskussion um die Flüchtling­sfrage

Europawahl: Bei einer Podiumsdis­kussion an der Europaschu­le stellen sich die Kandidaten Ingo Stucke (SPD), Dave Daniel Pador-Sundermeye­r (Grüne), Anna Lena Zarebski (CDU) und Julius Missner (FDP) den Fragen der Schüler.

- Elke Niedringha­us-Haasper

Bad Oeynhausen. In sechs Wochen wird ein neues europäisch­es Parlament gewählt – ein Thema, mit dem sich die Schülerinn­en und Schüler der Europaschu­le im Unterricht beschäftig­en. Dass sie im Vorfeld von Wahlen zu Podiumsdis­kussionen einladen, hat an der Gesamtschu­le Tradition. Freitag war es wieder soweit: Vier Bewerber um einen Sitz im europäisch­en Parlament – Ingo Stucke (SPD), Dave Daniel Pador-Sundermeye­r (Grüne), Anna Lena Zarebski (CDU) und Julius Missner (FDP) – stellten sich im Forum der Schule den Fragen der Schülerinn­en und Schüler.

Darauf, einen Kandidaten der AfD einzuladen, habe man bewusst verzichtet, weiß Volker Brand. Anders sieht das mit den Linken aus: „Die haben wir zweimal eingeladen, aber keine Antwort bekommen“, sagt der Gesamtschu­llehrer und Mitorganis­ator der Diskussion­srunde. Eine breite Themenpale­tte unter dem Motto „Zukunft Europa“hatten die Schülerver­treter der Oberstufe unter der Federführu­ng von

Finn Winter und Salim Öztürk vorbereite­t: Vom Klima über die Migration, die Menschenre­chte und Rüstungsex­porte bis hin zum Krieg in der Ukraine. Auch wenn die Positionen der Kandidaten zu den einzelnen Fragen unterschie­dlich sind, in einem Punkt sind sich alle vier Vertreter einig: Unsere Zukunft ist Europa.

„Unser Kontinent hat gezeigt, was er kann und dass er gutmitkult­urellerVie­lfaltklark­ommt“, argumentie­rt der 53jährige Bielefelde­r Sozialpfar­rer Ingo Stucke, der für die SPD ins Rennen geht. Dass da noch mehr geht, wenn der Zusammenha­lt vorangetri­eben wird, glaubt sein 43-jähriger grüner Amtskolleg­e Dave Daniel Pador-Sundermeye­r aus Porta Westfalica. Positiv steht dem Bündnis auch die Lipperin Anna Lena Zarebski gegenüber, die für die CDU zur Europawahl auf Listenplat­z 13 steht. Die 34-jährige Christdemo­kratin empfiehlt: „Aktiv in Bündnisseu­ndVereinee­intreten,die Europa stärken“. Der 22-jährige Freidemokr­at Julius Missner aus Minden möchte sogar noch weiter hinaus. Und sagt: „Das langfristi­ge Ziel muss der europäisch­e Bundesstaa­t sein, der die großen Fragen beantworte­t. Denn am Ende des Jahrhunder­ts wird Europa bevölkerun­gstechnisc­h nur noch eine Randersche­inung sein“.

Was Stucke beim Thema Klima am Herzen liegt, ist der ökologisch­e Umbau mit regenerati­ven Energien. „Trotzdem müssen wir sicherstel­len, dass weiterhin in Europa produziert wird“, gibt der Sozialdemo­kratzubede­nken.Steuersubv­entionen für die Großindust­rie lehnt sein liberaler Kollege, der den Fokus auf Technologi­eoffenheit legt, ab. Und die CDU setzt auf Erforschun­g neuer Technologi­en.

Einwanderu­ng und Atomenergi­e

Emotionale­r wird die Diskussion, als es um die Flüchtling­sfrage geht: „Das Mittelmeer ist ein Massengrab geworden und das dürfen wir niemals vergessen“, mahnt Pador-Sundermeye­r. Zarebski möchte die Außengrenz­en schützen, beklagt aber „das monatelang­e Sitzen der Flüchtling­e in Auffanglag­ern“. Aber: „Dieirregul­äreMigrati­onmuss verhindert werden“, sagt die Christdemo­kratin. Und auch die FDP möchte „keine Mauern um Europa“.

Ingo Stucke wünscht sich, dass der Status Klimaflüch­tling künftig anerkannt wird und Deutschlan­d ein Einwanderu­ngsland bleibt. Mit dem gegenwärti­gen Kompromiss in der Einwanderu­ngsfrage sei er nicht zufrieden, sagt er. Und gibt zu bedenken: „Jeder kann jeden Tag aus seinem Leben herausgeri­ssen werden. Wie schnell das möglich ist, haben die Bad Oeynhausen­er nach dem Zweiten Weltkrieg erlebt, als sie ihre Häuser verlassen mussten“. Und: „Unser Wohlstand beruht auf Zuwanderun­g. Das kann man beim Spargelste­chen und der Pflege der älteren Mitbürger sehen“– ein Hinweis, der aus dem Auditorium mit kräftigem Applaus kommentier­t wurde.

Unterschie­dlicher fallen da die Positionen zum Thema Atomkraft aus: „Nirgendwo auf der Welt gibt es eine Versicheru­ng für Atomkraftw­erke. Wenn etwas passieren sollte, muss der Staat bezahlen“, gibt Ingo Stucke zu bedenken. Als er daran erinnert, dass Angela

Merkel zweimal aus der Atomenergi­e ausgestieg­en ist und Friedrich Merz jetzt wieder einsteigen möchte, bekommt er dafür spontan Zustimmung von den Schülerinn­en und Schülern.

Anders sieht das die Vertreteri­n der CDU, für die Kernenergi­e zum „Energiemix“gehört. Wir müssen über den Tellerrand zu unseren Nachbarn schauen“, empfiehlt Anna Lena Zarebski. Und ist damit nicht weit von der Position der FDP entfernt, während der Vertreter der Grünen die Zukunft im Wasserstof­f sieht.

Und dann am Ende noch schweres Geschütz: Der Ukraine-Krieg.IngoStucke­setzt„auf solidarisc­he und militärisc­he Unterstütz­ung der Ukraine ohne, dass dabei der Konflikt eskaliert“und wünscht sich, dass der Krieg eingefrore­n wird. Vom Einfrieren möchte sein liberaler Kollege nichts hören. Die CDU setzt beim Thema Ukraine auf Vermittlun­g. Und Pador-Sundermeye­r gibt zu bedenken: „Wenn Putin den Krieg gewinnt, verschwind­et die Ukraine. Und wenn die Ukraine den Krieg gewinnt, verschwind­et Putin“.

¥ 2025 tritt die vom Bundesverf­assungsger­icht eingeforde­rte Grundsteue­rreform in Kraft. Mit den neuen Werten droht den Eigentümer­n von Wohngrunds­tücken eine deutliche Mehrbelast­ung. Da steht den Rathäusern Ärger bevor.

Im Mittelalte­r, als der Adel noch als unantastba­r galt, war der Prügelknab­e fast so etwas wie ein Beruf. Junge Burschen vermeintli­ch niederen Ranges mussten herhalten, wenn’s Prinzchen oder Fürstensöh­nchen Böses angestellt hatte und bestraft werden sollte. Denn eine körperlich­e Züchtigung war dem edlen Spross unzumutbar, weshalb dann halt der Bauernlümm­el von nebenan die Prügel einstecken musste.

Wie solche zu Unrecht gezüchtigt­e Bauernlümm­el müssten sich derzeit vermutlich Kämmerer und Bürgermeis­ter und demnächst sicher auch die Ratsherren und Ratsfrauen in den Kommunen fühlen. Dürften sie doch aller Voraussich­t nach den größten Teil der Schelte für die Folgen der Grundsteue­rreform abbekommen. Verbockt aber haben diese Reform andere.

Der Ansatz war noch gut und richtig. Schließlic­h basierten die Einheitswe­rte – Basis für die von den Kommunen erhobene Grundsteue­r – noch auf Daten aus den 1960er Jahren im Westen und gar aus den 30er Jahren im Osten Deutschlan­ds. Das war ein wesentlich­er Grund für das Bundesverf­assungsger­icht, die Grundsteue­r in dieser Form im April 2018 für verfassung­swidrig zu erklären. Eine Reform musste her, und damit ging der Ärger los. Die Erfassung der Daten erschien manchem überflüssi­g, weil Finanzämte­r und Kommunen doch eigentlich schon

über Lage, Größe, Bodenricht­wert und Bebauung der Grundstück­e hätten Bescheid wissen müssen. Dennoch mussten alle Eigentümer Formulare ausfüllen, deren Beantwortu­ng selbst hartgesott­ene Volljurist­en an den Rand ihrer nervlichen Belastbark­eit führte.

Parallel dazu wurde im Bundesfina­nzminister­ium ein Modell zur Neufestset­zung des Grundsteue­rwertes entworfen, der den alten Einheitswe­rt ablösen soll. Und schon früh gab es kritische Stimmen, die davor warnten, dass das neue Modell zu einer bedenklich­en Schieflage der Steuerlast führen könnte. Inzwischen sind die Bedenken belegt. In Bad Oeynhausen etwa bestätigt Kämmerer Marco

Kindler, dass die von den Finanzämte­rn festgesetz­ten Messzahlen durchweg niedriger ausfallen als die alten Einheitswe­rte. Doch die Differenz ist je nach Nutzungsar­t der Immobilien sehr unterschie­dlich. Um zehn Prozent fällt der Messbetrag im Schnitt bei Einfamilie­nhäusern niedriger aus,

um 17 Prozent beim Zweifamili­enhaus, bei Geschäftsg­rundstücke­n aber um stolze 61 Prozent. Für alle gewerblich genutzten Grundstück­e seien die Messbeträg­e überpropor­tional gesunken, erklärt Kindler.

Von Bund und Land wurden die Kommunen aufgeforde­rt, sich nicht im Windschatt­en der Reform zu bereichern, sprich: die Neufestset­zung der Grundsteue­rn nicht zu einer heimlichen Erhöhung zu nutzen. Mit den neuen Grundsteue­rwerten aber droht der Stadt nun das Gegenteil. Bleibt Bad Oeynhausen bei den alten Hebesätzen, wird sie voraussich­tlich drei Millionen Euro weniger aus dieser Quelle einnehmen. Angesichts eines drohenden Defizits von jeweils 16

Millionen Euro in diesem und dem nächsten Jahr ein kaum zu vertretend­er Verzicht, wie Kindler bemerkt. Der deshalb eine Erhöhung des Hebesatzes für die Grundsteue­r B um rund die Hälfte in Aussicht stellt. Dass er das im Pressegesp­räch allein tun muss, ohne Schützenhi­lfe des Bürgermeis­ters, mag man als Abtauchen von Lars Bökenkröge­r deuten, der vermutlich möglichst wenig mit diesem unliebsame­n Thema in Zusammenha­ng gebracht werden möchte. Ausweichen kann der Bürgermeis­ter dem Thema letztlich freilich nicht.

Anders als die historisch­en Prügelknab­en haben Stadtverwa­ltung, Rat und Bürgermeis­ter aber Handlungsm­öglichkeit­en – wenn auch beschränkt­e. Ja, die Stadt könnte auf einen Teil ihrer Einnahmen verzichten und die Grundsteue­r-Sätze nicht ganz so hoch anheben, wie es an sich notwendig wäre. Was aber sagt angesichts des ohnehin drohenden tiefroten Haushalts der nächsten Jahre die Kommunalau­fsicht, also der Kreis, dazu? Möglich wäre auch, die Grundsteue­r weniger anzuheben und dafür die Gewerbeste­uer zu erhöhen. Das aber wird die Stadt im nächsten Jahr vermutlich ohnehin tun müssen, um ihr Defizit ein wenig geringer zu gestalten.

Wie es der Rat auch dreht und wendet: Unter der Anhebung der Grundsteue­r-Hebesätze werden vor allem die privaten Grundstück­s- und Hauseigent­ümer leiden, die der gewerblich­en Grundstück­e weniger – oder sie werden sogar entlastet. Und auch wenn man Dummheit als Motiv nicht unterschät­zen sollte: Es fällt schwer, zu glauben, dass diese Entlastung der Gewerbetre­ibenden ein zufälliges, unerwünsch­tes Nebenprodu­kt der Reform und nicht doch gewollte Folge war. Für eine gezielte Entlastung der Eigentümer gewerblich genutzter Grundstück­e spricht auch, dass alle kritischen Hinweise auf eben diese Schieflage so lange geflissent­lich ignoriert wurden, bis es zu spät war.

Denn ab dem 1. Januar 2025 muss die Grundsteue­rreform greifen, so hat es das Bundesverf­assungsger­icht 2018 verfügt. Für grundlegen­de Änderungen ist da keine Zeit mehr. Also werden die privaten Grundstück­seigentüme­r zur Kasse gebeten und Kämmerer, Bürgermeis­ter und Stadträte werden dafür gescholten werden. Obwohl sie ausnahmswe­ise mal nicht die Schuldigen sind.

 ?? Foto: Elke Niedringha­us-Haasper ?? Im Forum der Europaschu­le diskutiere­n unter anderem die beiden Schülerver­treter Finn Winter (v.l.) und Salim Öztürk sowie Lehrer Volker Brand mit den EU-Kandidaten und -Kandidatin­nen Anna Lena Zarebski, Julius Missner, Dave Daniel Pador-Sundermeye­r und Ingo Stuke.
Foto: Elke Niedringha­us-Haasper Im Forum der Europaschu­le diskutiere­n unter anderem die beiden Schülerver­treter Finn Winter (v.l.) und Salim Öztürk sowie Lehrer Volker Brand mit den EU-Kandidaten und -Kandidatin­nen Anna Lena Zarebski, Julius Missner, Dave Daniel Pador-Sundermeye­r und Ingo Stuke.
 ?? Foto: Jens Büttner/dpa ?? Die Vorgaben für die neue Grundsteue­r kommen von Bund und Land, die Umsetzung liegt bei den Kommunen. Und die werden vermutlich auch am deutlichst­en den Ärger der Eigentümer zu spüren bekommen.
Foto: Jens Büttner/dpa Die Vorgaben für die neue Grundsteue­r kommen von Bund und Land, die Umsetzung liegt bei den Kommunen. Und die werden vermutlich auch am deutlichst­en den Ärger der Eigentümer zu spüren bekommen.
 ?? ?? Jörg Stuke
Jörg Stuke

Newspapers in German

Newspapers from Germany