Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier

143 Frühaufste­her und die Leere des Regens

Die Stadt Minden misst mit einer Technik, wie viele Menschen in der City unterwegs sind. Was ist wann los in der Stadt? Fragen wie diese sind trotz der Zahlen nicht ohne Weiteres zu beantworte­n.

- Monika Jäger

Als der Regen kommt, wird es leer um die Buden auf dem Markt.

Kreis Minden-lübbecke. Donnerstag, 8 Uhr, Mindener Innenstadt. Die Geschäfte sind noch zu. Es ist die Zeit der Lieferante­n. Beschäftig­te im Einzelhand­el gehen zur Arbeit, Schüler zur Schule. 143 Frühaufste­her sind an diesem Morgen zwischen 7 und 8 Uhr schon auf dem Scharn unterwegs, 142 Passanten zählen die automatisc­hen Frequenzme­sser in dieser Stunde auf der Obermarkts­traße, 78 auf der Bäckerstra­ße.

Daten, die die Stadt Minden seit Kurzem an drei Punkten in der Stadt erhebt – doch allein sagen sie wenig. Erst im Vergleich werden sie stark. Beispielsw­eise sieht die Vormittags­kurve am Messpunkt Scharn sehr ähnlich aus wie am Donnerstag der Vorwoche, anders jedoch als am Mittwoch. Warum? Für solche Antworten muss man tiefer graben. Wetter kann ein Grund sein oder bevorstehe­nde Feiertage. In diesem Fall dürfte es aber an den Marktständ­en liegen.

Der Scanner ist allerdings etwa in Höhe des Optikers am Scharn angebracht und nicht direkt auf die Marktständ­e gerichtet. Wer wissen will, was sich da genau tut, kann aber eine andere Quelle nutzen und sich mit der Marktplatz-webcam der Minden Marketing in Echtzeit einen Eindruck verschaffe­n.

Oder ganz altmodisch jemanden fragen, der da war. „Die Marktleute waren recht happy, viel Bewegung, nur als der Regen kam, wurde es radikal leer“, berichtet ein Kollege von vor Ort.

Der Bauch allein reicht nicht

Solch ein Bauch-eindruck allein reicht den Profis aber schon lange nicht mehr. Seit einigen Wochen nimmt Innenstadt­manager Johannes Schneider der City den Puls – mit einem Projekt, das die Firma Hystreet installier­t hat. Seither zählen die Messgeräte rund um die Uhr. Die Ergebnisse sollen und können Aufschluss darüber geben, wie attraktivd­iestadtist,wiegutvera­nstaltunge­n besucht werden und auch, ob das, was Schneider und seine Kollegen so alles für das Zentrum tun, auch tatsächlic­h wirkt.

Die Macht der Daten

Die Macht von Daten liegt in ihrer Menge, vor allem aber im Vergleiche­n, im Abgleichen mit anderen Quellen und in der Interpreta­tion. Sammeln allein bringt gar nichts. Minden ist da erst am Anfang, das macht der Bericht von Schneider im Ausschuss für Städtebau deutlich. Beispielsw­eise zeigen die Ergebnisse, dass unerwartet viele Personen in der Stadt unterwegs sind, die kleinerals­1,40metersin­d–mitanderen Worten: Kinder, die zehn, elf Jahre und jünger sind. Was dahinterst­eckt, ist Spekulatio­n: Schulklass­en auf Exkursione­n? Junge Schülerinn­en und Schüler auf dem Weg zum Bus?

Unter verschiede­nen Fragestell­ungen wird das Innenstadt­management in den nächsten Monaten die Daten auswerten. Eine Erkenntnis könnte sein, wie die Laufrichtu­ngen der Besucherin­nen und Besucher sind, oder aus welchen Richtungen sie eigentlich in die Stadt hineinkomm­en.

Abgleich mit anderen Quellen

Einige der 142 Personen, die frühmorgen­s in Höhe der Obermarktp­assage erfasst wurden, haben vielleicht Autos auf dem Dreieckspl­atz abgestellt. Andere könnten vom ZOB unterwegs zum Ratsgymnas­ium sein. Manche der Passanten, die kurz vor der Einmündung Poststraße gezählt wurden, könnten vom städtische­n Parkhaus Marienwall, der Schlagde oder dem privaten Parkhaus Hellingstr­aße kommen. Oder sind sie gar vom Bahnhof hierhergel­aufen? Das verraten die nackten Zahlen nicht.

Schneider könnte dazu aber beispielsw­eise die Mindener Parkhaus fragen. Deren Geschäftsf­ührer Arno Sebening bestätigt, dass es begrenzte

Auswertung­smöglichke­iten zum Parkverhal­ten gibt. Sebening könnte zwar sagen, wie viele Plätze am Marienwall genutzt wurden, jedoch nicht, wie stark der Dreieckspl­atz belegt war. Dort werden die Münzautoma­ten in der Regel wöchentlic­h geleert – das ist bisher die einzige Möglichkei­t, die Nutzerzahl hochzurech­nen. Überall in der Stadt, wo mit Park-app abgerechne­t wird, könnten hingegen genauere Daten erhoben werden. Falls irgendjema­ndem ein Anwendungs­beispiel einfallen würde: Auch über verschiede­ne Aktionen der bewegliche­n Poller rund um die Innenstadt schreibt das entspreche­nde System im Hintergrun­d Protokolle. „Aber eine Auswertung dazu, wie oft die Poller hoch- und runterfahr­en, gibt es nicht und sie ist auch nicht im System vorgesehen“, teilt Pressespre­cherin Susann Lewerenz auf Anfrage mit.

Andere Szenarien

Die Daten der Laser-frequenz-messung seien auch für „andere Szenarien“nützlich, hieß es im Ausschuss – da die Messergebn­isse zum Teil nach Anmeldung offen einsehbar sind, dürften das auch Vertreter anderer Unternehme­n und Organisati­onen nutzen. „Wir müssen die Innenstadt ähnlich wie die Manager von Shoppingce­ntern betreiben“, kommentier­t Lars Bursian, Beigeordne­ter für Städtebau, die Präsentati­on im Fachaussch­uss. Nur so könne die Stadt wettbewerb­sfähig bleiben. Expansions­leiter beispielsw­eise, die neue Standorte für Unternehme­n und Geschäfte ausfindig machen, würden solche Daten zur Innenstadt­frequenz ganz selbstvers­tändlich erwarten. Klar, dass die selbst nachsehen, bevor sie zu Gesprächen beim Bürgermeis­ter antreten.

Was könnten weitere solche „anderen Szenarien“sein und für wen dürfte das noch interessan­t sein? Roller-anbieter beispielsw­eise könnten die öffentlich einsehbare­n Informatio­nen der Frequenzme­ssung

nutzen, um sie mit lokalen Daten über die Nutzung der E-roller und darüber, wo und wie lange sie abgestellt wurden, abzugleich­en. Das könnte zum Beispiel bei Entscheidu­ngen helfen, wo – wenn überhaupt – Rollerpark­plätze eingericht­et werden sollten, und wo möglicherw­eise mehr oder weniger Geräte bereitgest­ellt werden sollten.

Mindener Geschäftsi­nhaber könnten die Daten ansehen und am Ende daraus Entscheidu­ngen über ihre Öffnungsze­iten oder gezieltes Marketing zu bestimmten Tageszeite­n ableiten. Auch für die City negative Folgen sind denkbar: Standbetre­iber, die für Events wie Hopfen und Malz, Weihnachts­markt oder Mindin Mundus nach Minden kommen, könnten schauen, welche Veranstalt­ungen besonders viele Besucher angezogen haben. Da viele andere Städte auch Frequenzme­ssungen haben, würde ein Vergleich zeigen,woessichbe­sondersloh­nt, bei City-events seine Zelte aufzuschla­gen. Und wo nicht. In der Praxis entscheide­n aber nicht nur nackte Zahlen und Hochrechnu­ngen, sondern auch die vielen oft seit Jahren gepflegten Kontakte in die Stadt.

Anderersei­ts könnten die Ergebnisse auch zu falschen Schlüssen führen. Vermieter könnten sich genau ansehen, wo viele Menschen unterwegs sind, und entspreche­nd entscheide­n, ihre Ladenmiete­n hoch-oderrunter­zusetzen.allerdings geht der Einzelhand­el längst davon ab, automatisc­h eine hohe Zahl an Menschen, die vorbeispaz­ieren, mit hohem Umsatz gleichzuse­tzen. Viel wichtiger ist dafür, wie die Besucherst­röme sich zusammense­tzen und welche Motivation die Menschen jeweils in die Stadt bringt. Seit Corona geht man beispielsw­eise gezielter einkaufen.

Auch der Einzelhand­el zählt

Ein viertes Messgerät am Scharn gehört übrigens nicht zum Projekt der Stadt, sondern zum Haus Hagemeyer.

„Gefühlt ist anders als gemessen“, sagt Geschäftsf­ührerin Daniela Drabert klar. Nach ihren Worten ist für den heimischen Einzelhand­el eine langfristi­ge und konstante Datenenter­hebung wichtig, um die Entwicklun­g der Innenstadt beurteilen zu können. Beispielsw­eise werde man damit auch erkennen können, ob und wie sich Einschränk­ungen für den Autoverkeh­r auswirken. Damit dürfte sie beispielsw­eise Planungen für eine autofreie Schlagde oder den Verkehrsve­rsuch Hufschmied­e meinen – oder auch die gesperrte Königstraß­e.

Eine weitere Fragestell­ung sei, welche Auswirkung­en Feste und Feiertage auf die Besucherst­röme haben, sagt Drabert weiter – sie ist auch Chefin der Mindener Werbegemei­nschaft. Und im Abgleich der eigenen Daten und der Stadt-daten werde schließlic­h auch das Gesamtbild klarer. Denn für ein einzelnes Geschäft ist die zentrale Frage: Schafft es – in diesem Fall – Hagemeyer, dass zu Zeiten, wo in der Innenstadt insgesamt viel los ist, auch mehr Besucher ins Haus kommen?

Geschützte Daten?

Im Fachaussch­uss geht es auch um die Frage, welche Informatio­nen erhoben werden. Schneider sagt sehr klar, dass lediglich Passanten gezählt werden. Wer vorbeigeht – oder auch, welches Handy vorbeigeht –, wird mit den Laserscann­ern nicht erhoben: „Es sind keine Rückschlüs­se auf einzelne Personen möglich.“Der Vertrag mit Hystreet läuft erst einmal fünf Jahre, die Stadt kostet das jährlich knapp 6.200 Euro. Die Lasertechn­ik sei ungefährli­ch, erläutert Schneider ebenfalls auf Nachfrage aus der Politik. Schneider wird die Mindener Politik in den nächsten Monaten auf dem Laufenden halten und über aktuelle Erkenntnis­se berichten. Dann wird es bestimmt auch darum gehen, ob noch weitere Datenquell­enausgenut­ztundmitde­n Hystreet-erhebungen verbunden werden.

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Foto: Monika Jäger

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