Neue Westfälische - Bad Oeynhausener Kurier
143 Frühaufsteher und die Leere des Regens
Die Stadt Minden misst mit einer Technik, wie viele Menschen in der City unterwegs sind. Was ist wann los in der Stadt? Fragen wie diese sind trotz der Zahlen nicht ohne Weiteres zu beantworten.
Als der Regen kommt, wird es leer um die Buden auf dem Markt.
Kreis Minden-lübbecke. Donnerstag, 8 Uhr, Mindener Innenstadt. Die Geschäfte sind noch zu. Es ist die Zeit der Lieferanten. Beschäftigte im Einzelhandel gehen zur Arbeit, Schüler zur Schule. 143 Frühaufsteher sind an diesem Morgen zwischen 7 und 8 Uhr schon auf dem Scharn unterwegs, 142 Passanten zählen die automatischen Frequenzmesser in dieser Stunde auf der Obermarktstraße, 78 auf der Bäckerstraße.
Daten, die die Stadt Minden seit Kurzem an drei Punkten in der Stadt erhebt – doch allein sagen sie wenig. Erst im Vergleich werden sie stark. Beispielsweise sieht die Vormittagskurve am Messpunkt Scharn sehr ähnlich aus wie am Donnerstag der Vorwoche, anders jedoch als am Mittwoch. Warum? Für solche Antworten muss man tiefer graben. Wetter kann ein Grund sein oder bevorstehende Feiertage. In diesem Fall dürfte es aber an den Marktständen liegen.
Der Scanner ist allerdings etwa in Höhe des Optikers am Scharn angebracht und nicht direkt auf die Marktstände gerichtet. Wer wissen will, was sich da genau tut, kann aber eine andere Quelle nutzen und sich mit der Marktplatz-webcam der Minden Marketing in Echtzeit einen Eindruck verschaffen.
Oder ganz altmodisch jemanden fragen, der da war. „Die Marktleute waren recht happy, viel Bewegung, nur als der Regen kam, wurde es radikal leer“, berichtet ein Kollege von vor Ort.
Der Bauch allein reicht nicht
Solch ein Bauch-eindruck allein reicht den Profis aber schon lange nicht mehr. Seit einigen Wochen nimmt Innenstadtmanager Johannes Schneider der City den Puls – mit einem Projekt, das die Firma Hystreet installiert hat. Seither zählen die Messgeräte rund um die Uhr. Die Ergebnisse sollen und können Aufschluss darüber geben, wie attraktivdiestadtist,wiegutveranstaltungen besucht werden und auch, ob das, was Schneider und seine Kollegen so alles für das Zentrum tun, auch tatsächlich wirkt.
Die Macht der Daten
Die Macht von Daten liegt in ihrer Menge, vor allem aber im Vergleichen, im Abgleichen mit anderen Quellen und in der Interpretation. Sammeln allein bringt gar nichts. Minden ist da erst am Anfang, das macht der Bericht von Schneider im Ausschuss für Städtebau deutlich. Beispielsweise zeigen die Ergebnisse, dass unerwartet viele Personen in der Stadt unterwegs sind, die kleinerals1,40metersind–mitanderen Worten: Kinder, die zehn, elf Jahre und jünger sind. Was dahintersteckt, ist Spekulation: Schulklassen auf Exkursionen? Junge Schülerinnen und Schüler auf dem Weg zum Bus?
Unter verschiedenen Fragestellungen wird das Innenstadtmanagement in den nächsten Monaten die Daten auswerten. Eine Erkenntnis könnte sein, wie die Laufrichtungen der Besucherinnen und Besucher sind, oder aus welchen Richtungen sie eigentlich in die Stadt hineinkommen.
Abgleich mit anderen Quellen
Einige der 142 Personen, die frühmorgens in Höhe der Obermarktpassage erfasst wurden, haben vielleicht Autos auf dem Dreiecksplatz abgestellt. Andere könnten vom ZOB unterwegs zum Ratsgymnasium sein. Manche der Passanten, die kurz vor der Einmündung Poststraße gezählt wurden, könnten vom städtischen Parkhaus Marienwall, der Schlagde oder dem privaten Parkhaus Hellingstraße kommen. Oder sind sie gar vom Bahnhof hierhergelaufen? Das verraten die nackten Zahlen nicht.
Schneider könnte dazu aber beispielsweise die Mindener Parkhaus fragen. Deren Geschäftsführer Arno Sebening bestätigt, dass es begrenzte
Auswertungsmöglichkeiten zum Parkverhalten gibt. Sebening könnte zwar sagen, wie viele Plätze am Marienwall genutzt wurden, jedoch nicht, wie stark der Dreiecksplatz belegt war. Dort werden die Münzautomaten in der Regel wöchentlich geleert – das ist bisher die einzige Möglichkeit, die Nutzerzahl hochzurechnen. Überall in der Stadt, wo mit Park-app abgerechnet wird, könnten hingegen genauere Daten erhoben werden. Falls irgendjemandem ein Anwendungsbeispiel einfallen würde: Auch über verschiedene Aktionen der beweglichen Poller rund um die Innenstadt schreibt das entsprechende System im Hintergrund Protokolle. „Aber eine Auswertung dazu, wie oft die Poller hoch- und runterfahren, gibt es nicht und sie ist auch nicht im System vorgesehen“, teilt Pressesprecherin Susann Lewerenz auf Anfrage mit.
Andere Szenarien
Die Daten der Laser-frequenz-messung seien auch für „andere Szenarien“nützlich, hieß es im Ausschuss – da die Messergebnisse zum Teil nach Anmeldung offen einsehbar sind, dürften das auch Vertreter anderer Unternehmen und Organisationen nutzen. „Wir müssen die Innenstadt ähnlich wie die Manager von Shoppingcentern betreiben“, kommentiert Lars Bursian, Beigeordneter für Städtebau, die Präsentation im Fachausschuss. Nur so könne die Stadt wettbewerbsfähig bleiben. Expansionsleiter beispielsweise, die neue Standorte für Unternehmen und Geschäfte ausfindig machen, würden solche Daten zur Innenstadtfrequenz ganz selbstverständlich erwarten. Klar, dass die selbst nachsehen, bevor sie zu Gesprächen beim Bürgermeister antreten.
Was könnten weitere solche „anderen Szenarien“sein und für wen dürfte das noch interessant sein? Roller-anbieter beispielsweise könnten die öffentlich einsehbaren Informationen der Frequenzmessung
nutzen, um sie mit lokalen Daten über die Nutzung der E-roller und darüber, wo und wie lange sie abgestellt wurden, abzugleichen. Das könnte zum Beispiel bei Entscheidungen helfen, wo – wenn überhaupt – Rollerparkplätze eingerichtet werden sollten, und wo möglicherweise mehr oder weniger Geräte bereitgestellt werden sollten.
Mindener Geschäftsinhaber könnten die Daten ansehen und am Ende daraus Entscheidungen über ihre Öffnungszeiten oder gezieltes Marketing zu bestimmten Tageszeiten ableiten. Auch für die City negative Folgen sind denkbar: Standbetreiber, die für Events wie Hopfen und Malz, Weihnachtsmarkt oder Mindin Mundus nach Minden kommen, könnten schauen, welche Veranstaltungen besonders viele Besucher angezogen haben. Da viele andere Städte auch Frequenzmessungen haben, würde ein Vergleich zeigen,woessichbesonderslohnt, bei City-events seine Zelte aufzuschlagen. Und wo nicht. In der Praxis entscheiden aber nicht nur nackte Zahlen und Hochrechnungen, sondern auch die vielen oft seit Jahren gepflegten Kontakte in die Stadt.
Andererseits könnten die Ergebnisse auch zu falschen Schlüssen führen. Vermieter könnten sich genau ansehen, wo viele Menschen unterwegs sind, und entsprechend entscheiden, ihre Ladenmieten hoch-oderrunterzusetzen.allerdings geht der Einzelhandel längst davon ab, automatisch eine hohe Zahl an Menschen, die vorbeispazieren, mit hohem Umsatz gleichzusetzen. Viel wichtiger ist dafür, wie die Besucherströme sich zusammensetzen und welche Motivation die Menschen jeweils in die Stadt bringt. Seit Corona geht man beispielsweise gezielter einkaufen.
Auch der Einzelhandel zählt
Ein viertes Messgerät am Scharn gehört übrigens nicht zum Projekt der Stadt, sondern zum Haus Hagemeyer.
„Gefühlt ist anders als gemessen“, sagt Geschäftsführerin Daniela Drabert klar. Nach ihren Worten ist für den heimischen Einzelhandel eine langfristige und konstante Datenenterhebung wichtig, um die Entwicklung der Innenstadt beurteilen zu können. Beispielsweise werde man damit auch erkennen können, ob und wie sich Einschränkungen für den Autoverkehr auswirken. Damit dürfte sie beispielsweise Planungen für eine autofreie Schlagde oder den Verkehrsversuch Hufschmiede meinen – oder auch die gesperrte Königstraße.
Eine weitere Fragestellung sei, welche Auswirkungen Feste und Feiertage auf die Besucherströme haben, sagt Drabert weiter – sie ist auch Chefin der Mindener Werbegemeinschaft. Und im Abgleich der eigenen Daten und der Stadt-daten werde schließlich auch das Gesamtbild klarer. Denn für ein einzelnes Geschäft ist die zentrale Frage: Schafft es – in diesem Fall – Hagemeyer, dass zu Zeiten, wo in der Innenstadt insgesamt viel los ist, auch mehr Besucher ins Haus kommen?
Geschützte Daten?
Im Fachausschuss geht es auch um die Frage, welche Informationen erhoben werden. Schneider sagt sehr klar, dass lediglich Passanten gezählt werden. Wer vorbeigeht – oder auch, welches Handy vorbeigeht –, wird mit den Laserscannern nicht erhoben: „Es sind keine Rückschlüsse auf einzelne Personen möglich.“Der Vertrag mit Hystreet läuft erst einmal fünf Jahre, die Stadt kostet das jährlich knapp 6.200 Euro. Die Lasertechnik sei ungefährlich, erläutert Schneider ebenfalls auf Nachfrage aus der Politik. Schneider wird die Mindener Politik in den nächsten Monaten auf dem Laufenden halten und über aktuelle Erkenntnisse berichten. Dann wird es bestimmt auch darum gehen, ob noch weitere Datenquellenausgenutztundmitden Hystreet-erhebungen verbunden werden.