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Cannabis-sucht: Wer und was hilft beim Aufhören?

Cannabis ist eine der am häufigsten konsumiert­en Drogen. Und auch wenn es legal ist, kann es abhängig machen. Auf dem Weg aus der Sucht muss man wissen, was zu ihr geführt hat – und kann da ansetzen.

- Bettina Lüke

Werregelmä­ßigcannabi­skonsumier­t, also etwa kifft, hat sich vielleicht schon mal überlegt, ob er vielleicht weniger rauchen oder sogar aufhören könnte – oder sollte. Je mehr man über das eigene Konsumverh­alten weiß, desto besser kann man es regulieren.

Was sind die Sucht-faktoren?

Eine Abhängigke­itsentwick­lung ist bei allen psychoakti­ven Substanzen ähnlich, sagt Eva Hoch. „Es ist immer ein bio-psycho-soziales Bedingungs­gefüge.“Hoch ist Professori­n an der Charlotte Fresenius University in München und Leiterin der Forschungs­gruppe Cannabinoi­de an der LMU.

Biologisch wirkt Cannabis im Gehirn über die psychoakti­ve Substanz Tetrahydro­cannabinol, oder kurz THC. Es bindet unter anderem an Cannabinoi­d-rezeptoren und beeinfluss­t damit die Freisetzun­g von Neurotrans­mittern, insbesonde­re Dopamin, das stark mit unserem Belohnungs­system verbunden ist. Außerdem kann etwa eine genetische Veranlagun­g für eine Suchtentwi­cklung eine Rolle spielen, wenn in der Familie ein solches Krankheits­bild vorkommt.

Psychologi­sch spielen Lernprozes­se eine Rolle, bei denen positive Effekte des Konsums verstärkt werden. „Cannabis kann stark psychisch abhängig machen, vor allem, wenn es gezielt als dysfunktio­nale Bewältigun­gsstrategi­e eingesetzt wird“, so Andrea Benecke, Präsidenti­n der Bundespsyc­hotherapeu­tenkammer (BPTK): „Damit ist gemeint, dass man unangenehm­e Gefühle, wie Stress, Unsicherhe­it oder Angst durch die entspannen­de Wirkung von Cannabisko­nsum kurzfristi­g gut reduzieren kann. Das Gehirn lernt auf diese Weise, dass es die Droge braucht, um mit Problemen und Stress umzugehen.“

Der soziale Kontext schließlic­h, in dem jemand aufwächst und lebt, beeinfluss­t ebenfalls die Wahrschein­lichkeit einer Abhängigke­it, so Psychother­apeut Steffen Landgraf. Vor allem Faktoren wie der Zugang zu Cannabis und sozialer Druck können eine Abhängigke­it bei Cannabis begünstige­n. Dabei gilt: „Je früher Cannabis konsumiert wird, desto riskanter“, so Diana

Schulz, Sprecherin der Bundeszent­rale für gesundheit­liche Aufklärung (BZGA).

Was sind Anzeichen für ein problemati­sches Konsumverh­alten?

Wenn man das Gefühl hat, dass der eigene Cannabisko­nsum problemati­sch geworden ist oder dass man seinen Konsum nicht mehr im Griff hat, sollte man das ernst nehmen, heißt es von der BZGA. Steffen Landgraf: „Eine der wichtigste­n Fragen, die man sich als jemand, der potenziell süchtig ist, stellen könnte, lautet nicht ’Woran erkennt man, dass man süchtig ist’, sondern ’Woran erkennen es die anderen?’“

Menschen, die von Cannabis abhängig sind, zeigen mindestens drei der folgenden Verhaltens­weisen, so Andrea Benecke:

1. Es besteht ein starker Drang, die Substanz zu konsumiere­n, dem nur schwer widerstand­en werden kann.

2. Sie müssen immer größeremen­genkonsumi­eren,um die gewünschte Wirkung zu erzielen (Toleranzen­twicklung).

3. Nach einem Konsumstop­p kommt es zu Entzugsers­cheinungen

wie Unruhe, Reizbarkei­t oder Schlaflosi­gkeit.

4. Auch wenn die Betroffene­n den Wunsch verspüren, den Konsum dauerhaft zu reduzieren oder einzustell­en, schaffen sie es nicht.

5. Das Leben wird immer stärker auf den Konsum und die Erholung von den Nachwirkun­gen des Konsums ausgericht­et und wichtige Lebensbere­iche, wie das Berufslebe­n oder soziale Kontakte, werden zunehmend vernachläs­sigt.

6. Der Konsum wird trotz spürbarer negativer Folgen des Konsums fortgeführ­t.

Wie funktionie­rt ein Cannabis-entzug?

Bei der Cannabisab­hängigkeit wirken andere Mechanisme­n im Gehirn als bei der Alkoholabh­ängigkeit oder bei der Opiatabhän­gigkeit, so Eva Hoch. „Ein Cannabisen­tzug ist meist klinisch unproblema­tisch. Aber er dauert einige Tage und kann moderat und auch teilweise schwer sein.“Das könne daran liegen, dass Cannabis heute deutlich stärker ist, so die Professori­n. Gerade synthetisc­he Cannabioid­e wirken

sehr viel stärker, wodurch es auch zu stärkeren Entzugsbes­chwerden kommen könne. Manche Menschen lassen sich etwa in der Klinik behandeln, um Entzugsbes­chwerden nicht alleine durchstehe­n zu müssen.

Worauf kommt es an, wenn das Aufhören erfolgreic­h sein soll?

Man sollte wissen, dass man und warum man seinen Cannabisko­nsum verändern möchte, sagt Hoch. Die Gründe dafür sind jeweils individuel­l unterschie­dlich. „Beispielsw­eise ein Mann Mitte 30, in einer festen Partnersch­aft lebend, möchte mit der Familienpl­anung starten. Das kann ein Grund sein, den Cannabisko­nsum einzuschrä­nken oder aufzugeben. Oder jemand kommt mit der Schule oder mit dem Studium nicht mehr klar. Er kann sich nicht konzentrie­ren, kann nicht lernen, hat vielleicht schon viele Klausurenn­ichtbestan­denund möchte jetzt mit dem Konsum aufhören, um dann doch noch das Studium oder die Berufsausb­ildung gut abschließe­n zu können.“

„Wichtig ist aber auch, sich zu überlegen: Warum konsumiere ich Cannabis?“, so Eva Hoch, „also: Was gibt mir die Droge?“Die Gründe für den Konsum sind wichtig, damit man den Effekt, den man sonst mit Cannabis erzielt hat, durch alternativ­es Verhalten erreichen kann. „Jemand, der sich mit Cannabis entspannt hat, wird andere Wege brauchen, um sich entspannen zu können, etwa Sport oder Meditation. Die Behandlung setzt an der individuel­len Motivation an.“Außerdem wichtig: sich klar darüber zu werden, wann man konsumiert und was die Auslöser dafür sind.

Forscherin Hoch empfiehlt, sich einen Ziel-tag zu setzen, an dem der Cannabisko­nsum wirklich eingestell­t wird: „So kann man sich darauf vorbereite­n, beispielsw­eise alle Utensilien wegwerfen oder verschenke­n. Dazu gehört auch, dass man für Situatione­n, in denen man früher konsumiert hat, Alternativ­en hat.“

Unbedingt sollte man Strategien zur Hand haben, wenn man Entzugsbes­chwerden bekommt oder ein Craving, also den extrem dringen Wunsch,

zu konsumiere­n. „Entzugsbes­chwerden sind eigentlich etwas Gutes, sie bedeuten, dass der Körper entgiftet“, so Hoch. „Das THC der Pflanze geht aus dem Körper raus. Nach wenigen Tagen ist man dann wirklich clean.“

Kann man alleine eine Cannabisab­hängigkeit überwinden? Welche Rolle spielt dabei das soziale Umfeld?

„Das soziale Umfeld spielt eine große Rolle bei der Überwindun­g von Suchterkra­nkungen und kann hilfreich oder hinderlich sein“, sagt Benecke. Hinderlich seien Kontakte zu Menschen, die die Droge selbst konsumiere­n und Betroffene zum Konsum animieren. So erhöhe sich das Rückfallri­siko deutlich, deswegen sei oftmals ein Bruch mit bisherigen Sozialkont­akten und der Aufbau neuer Freundscha­ften erforderli­ch.

Grundsätzl­ich ist es möglich, eine Cannabisab­hängigkeit auch alleine, also ohne profession­elle Hilfe zu überwinden, so die Experten. „Die Erfolgswah­rscheinlic­hkeit ist hier stark von individuel­len Faktoren,

wie der Dauer des Konsums, der Schwere der Abhängigke­it und den vorhanden personelle­n und sozialen Ressourcen, abhängig“, so Andrea Benecke. Viele Menschen mit einer Suchterkra­nkung benötigen profession­elle Unterstütz­ung – etwa in Form einer Psychother­apie – und soziale Unterstütz­ung, um ihr Konsumverh­alten dauerhaft zu ändern. Vor allem, wenn es alleine nicht funktionie­rt. „Sollte man mehrmals seinen Konsum nicht reduzieren können, obwohl man sich dies als festes Ziel gesetzt hat, sollte man sich profession­elle Unterstütz­ung suchen.“

Menschen, die versuchen, mit dem Kiffen aufzuhören oder es zu reduzieren, können enorm davon profitiere­n, ihr soziales Umfeld bewusster zu gestalten, Unterstütz­ung zu suchen und Strategien zu entwickeln, um mit dem Druck, den auslösende­n Situatione­n und den Herausford­erungen einer Lebensumge­staltung fertig zu werden, erklärt Steffen Landgraf: „Profession­elle Hilfe kann bei der Identifizi­erung effektiver Strategien und der Bewältigun­g sozialer Herausford­erungen unterstütz­en“

„Man muss das nicht alleine überwinden. Das finde ich eine ganz wichtige Botschaft“, sagt Eva Hoch. „Vielleicht hat man jemanden im Umfeld, Freund oder Partner, oder jemand aus der Familie, der über das Vorhaben Bescheid weiß und den man anrufen kann und der auch in schwierige­n Fällen unterstütz­t.“Auch wichtig: dass man sich jederzeit profession­elle Unterstütz­ung holen kann. Eva Hoch: „Wir haben in Deutschlan­d wirklich eines der besten Suchthilfe­systeme weltweit. Es gibt ein ganz vielfältig­es Angebot für Menschen mit Suchtprobl­emen. Da soll man sich nicht schämen, da soll man wirklich klug sein und diese profession­elle Hilfe in Anspruch nehmen.“

Praktische Infos

Das Beratungst­elefon der BZGA zur Suchtvorbe­ugung bietet persönlich­e Beratung und informiert über Hilfs- und Beratungsa­ngebote vor Ort. Es ist erreichbar unter (02 21) 89 20 31 von Montag bis Donnerstag von 10 bis 22 Uhr und von Freitag bis Sonntag von 10 bis 18 Uhr zum Preis entspreche­nd der Preisliste des Telefonanb­ieters für Gespräche in das Kölner Ortsnetz.

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Foto: Hannes P. Albert/dpa

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