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„Umgangspause“für Gewalttäter gefordert
Mütter, die vor Schlägen und Demütigungen ihres Partners flüchten, werden durch das geltende Umgangsrecht oft ernster Gefahr ausgesetzt. Bielefelder Expertinnen warnen vor dem Dilemma.
Bielefeld. Sarah (Name geändert) hat viele Jahre unter den Demütigungen und Gewaltausbrüchen ihres Mannes gelitten. Er hat ihr die wildesten Vorwürfe gemacht, hat sie zu Hause eingesperrt, sie seelisch und immer wieder auch körperlich schwer getroffen. Doch sie ist trotzdem bei ihm geblieben – auch wegen der Kinder. Als Sarah aber bemerkte, dass die Kinder mehr und mehr unter den Auseinandersetzungen im Haus litten und immer öfter teilnahmslos in ihren Kinderzimmern saßen, verließ sie endlich ihren Mann.
„Viele Frauen bleiben relativ lange in solchen Gewalt-beziehungen. Wenn sie dann gehen, ist oft schon sehr viel passiert“, sagt Beatrice Tappmeier, Leiterin des autonomen Frauenhauses in Bielefeld und Sprecherin des hiesigen Netzwerks der Mädchen- und Frauenprojekte („Femnet“). Diese Frauen, aber oft auch die Kinder, seien dann in einem Ausnahmezustand, brauchten erst mal Ruhe. „Doch die schnelle Umsetzung des Kindschaftsrechts, das beiden Eltern den Umgang mit den eigenen Kindern sichern soll, lässt oft diese Ruhe nicht zu“, sagt Tappmeier.
„Denn Sorge- und Umgangsrecht und das Schutzbedürfnis des Opfers stehen dann gleichberechtigt nebeneinander.“
Beatrice Tappmeier will diese Gleichberechtigung gar nicht grundsätzlich kritisieren. „Für das Kindeswohl ist der Kontakt zu beiden Eltern wichtig und richtig.“Was sie aber kritisiert, ist, dass das schnelle Eingreifen von Jugendämtern und Familiengerichten auch Gefahren birgt – wenn Häusliche Gewalt im Spiel ist. „Schutzanordnungen nach dem Gewaltschutzgesetz, etwa ein Annäherungsverbot, werden durch Umgangsregelungen oft eingeschränkt oder sogar ausgehebelt.“
Ein dramatisches Beispiel erlebten Mitarbeiterinnen des Bielefelder Kinderschutzhauses im April 2021, als ein Vater (43) bei einem „begleiteten Umgang“– also in Anwesenheit von neutralen Personen – völlig ausrastete und unaufhörlich auf die Mutter des gemeinsamen einjährigen Kindes einprügelte und diese schwer verletzte. Fünf Fachkräfte aus dem Haus waren nötig, um den tobenden Angreifer von der 34-jährigen Frau herunterzureißen und Mutter wie Kind in Sicherheit zu bringen. Die erfahrenen Helferinnen sprachen damals von einem ungewöhnlich heftigen Gewaltausbruch. Beatrice Tappmeier kennt solche Eskalationen bei der Übergabe von Kindern oder bei der vor allem bei Kleinkindern ständig nötigen Absprache von Terminen. Es sei damals Glück gewesen, dass der schwere Angriff unter Zeugen passierte: „In der Regel sind die Frauen solchen Situationen allein ausgesetzt.“
„Es kommt immer wieder zu Vorwürfen, Drohungen und Gewalt“
Warum können Behörden und Gerichte auf diese besonderen Anforderungen bei der Vermittlung des Umgangsrechts nicht passender eingehen? Agnieszka Salek von der Gleichstellungsstelle der Stadt sieht das Problem in der Gesetzgebung, die das Umgangsrecht in solchen Fällen nicht infragestellt.erstkürzlichveranstalteten Gleichstellungsstelle und „Femnet“einen sehr gut besuchten Fachtag zu dem Thema im Rathaus: „Die Jugendämter fordern von den Eltern, dass sie ihre Probleme auf der Partnerebene von der Elternebene
trennen. Doch das gelingtvielenväternnicht,und deshalbkommtesbeidenmeist unumgänglichen Übergaben der Kinder immer wieder zu Vorwürfen, Drohungen und auch zu Gewalt.“
Tappmeier fordert deshalb in Gewaltschutzfällen eine juristische Möglichkeit, das Umgangsverfahren etwa für sechs Monate aussetzen zu können. „Diese gesetzliche Möglichkeit gibt es quasi nicht.“Den Frauen werde immer vorgeworfen, sie verzögerten den Prozess künstlich. „Sie brauchen ein Recht auf eine solche Pause.“„Ein Mann, der seine Frau schlägt, und die Kinder bekommen das alles mit, der hat meiner Ansicht nach einen Teil seines Umgangsrechts verwirkt“, sagt Tappmeier. Nur wenn die Kinder selbst Gewalt erfahren haben, liege der Fall anders. Dafür müssten allerdings Beweise in Form von Gutachten vorgelegt werden.
Ekin Deligöz, Staatssekretärin beim Bundesfamilienministerium, hatte bereits bei einer Fachtagung Ende 2022 konstatiert: „Wenn häusliche Gewalt festgestellt wird, ist dies in einem Umgangsverfahren zwingend zu berücksichtigen. Doch das ist noch lange nicht der Standard.“
Sarah, die mit ihren ein und drei Jahre alten Kindern im Frauenhaus Schutz gesucht hatte, traf schon sehr bald wieder auf den Vater. „Begleiteter Umgang findet in der Regel sechs Mal statt. Das Instrument ist gut“, sagt Tappmeier. Aber leider nur kurz. Bei Sarah regelte das Familiengericht anschließend einen klassischen Umgangsplan: Der Vater durfte seine Kinder alle 14 Tage sehen. Da Sarah inzwischen aber weit entfernt lebt, war dieser Plan praktisch nicht umsetzbar. So gab es automatischstreitdarüber,wie Sarah die Kinder nun zu bringen hatte. Er machte ihr außerdem ständig Vorwürfe – etwa über „falsche Erziehung“. Jedes dieser Treffen war für Sarah angstgeprägt. Die Kinder spürten das, reagierten verstört. „Nach einer Gewaltbeziehung ist gute Kommunikation zwischen den Eltern nicht lebensnah. In so einer Phase ist eine Pause wichtig“, fordert Tappmeier und geht auch auf die Ängste der Väter ein. „Kinder im Kita- und Grundschulalter vergessen ihren Vater deshalb nicht. Die Angst davor ist unbegründet.“Aber viele dieser Männer dächten besitzergreifend: „Meine Frau, meine Kinder.“