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Pflegeheim­bewohner jubeln auf der Alm

Herzenswün­sche gehen in der Schüco-arena in Erfüllung: Ist die Mobilität eingeschrä­nkt und bietet das Leben im Pflegeheim nur wenige Höhepunkte, ist ein Besuch im gefüllten Fußballsta­dion etwas nahezu Unfassbare­s.

- Jürgen Mahncke

Bielefeld. Es ist schon einzigarti­g, dass ein Drittligis­t wie Arminia Bielefeld an einem kalten Freitagabe­nd gegen einen unattrakti­ven Gegner wie Lübeck mehr als 20.000 Zuschauer ins Fußballsta­dion Schüco-arena lockt. Zwei ganz besondere Anhänger des DSC haben sich in den Strom der vielen Fans eingereiht. Sehnsüchti­g haben sie auf den Tag gewartet, einmal die einzigarti­ge Atmosphäre zwischen Bratwurstb­uden und Spielerras­enerlebenz­udürfen,dieimposan­te Zuschauerk­ulisse und natürlich die Mannschaft ihrer Arminen. Sie sind in Begleitung von drei Betreuern und haben die Stadtbahn bis zur Rudolf-oetker-halle genommen. Sie kommen aus dem Dorothee-sölle-haus, einer Pflegeeinr­ichtung in Schildesch­e. Auf der West-tribüne. Alle sind mit Arminia-fanschal ausgerüste­t und werden das Spiel auf der West-tribüne verfolgen.

Karin Goldbeck ist bereits ganz unruhig und will endlich die Stufen hochgehen, um den ersten Blick ins Stadion zu werfen. Trotz ihrer 84 Jahre ist sie körperlich noch rüstig. „Ich möchte endlich mal sehen, wo sich mein Mann an vielen, vielen Wochenende­n immer aufgehalte­n hat. Er war ein riesiger Arminia-fan und hat kein Spiel verpasst. Mir war das zu teuer, und deswegen wartete ich zu Hause auf ihn. Und dann erzählte er mir von Siegen und Niederlage­n“, erinnert sich die Seniorin. Vor einigen Jahren ist ihr Mann gestorben, und jetzt will sie zum ersten Mal

den Schritt ins Stadion machen.

Aus Savvas Zales, 76 Jahre alt, sprudelt es nur so heraus. Der im griechisch­en Thessaloni­ki geborene Wahlbielef­elder erzählt von seinem Sohn Christos, der früher auf der Alm in der E-jugend gespielt hat, natürlich unter den kritischen­augenseine­svaters.„ich bin so viele Jahre zur Alm gegangen, da gab es noch Holzbänke für die Zuschauer. Zum letzten Mal war ich vor 25 Jahren im Stadion. Ich habe alle Höhen und Tiefen des Vereins miterlebt. Es war ein Traum, Norbert Eilenfeldt und Ewald Lienen auf dem grünen Rasen zu sehen. Mein heutiger Held ist Fabian Klos. Und

den werde ich jetzt gleich sehen.seit25jahr­enwarichni­cht mehr auf der Alm. Daran ist meine Gesundheit schuld“, erzählt

Savvas Zales. Seine Dankbarkei­t und Freude für diesen Ausflug, organisier­t vom Pflegeteam des Dorothee-söllehause­s,

ist in sein Gesicht geschriebe­n. Er möchte gar nicht aufhören, von alten, schönen Zeiten zu erzählen. Mit Herzrasen die Stufen hoch in Block E

Total aus dem Häuschen seien Karin Goldbeck und Savvas Zales gewesen, als sie von dem Fußball-ausflug zur Alm erfahren hätten, erzählt Raphael Wilkening, Fachkraft Begleitend­er Dienst. Gemeinsam mit seinen beiden Kolleginne­n Seval Özbay und Liane Kraemer begleitet er das aufgeregte Fan-duo an diesem Abend.

Für viele zu Pflegende ist es etwas ganz Besonderes, wenn

es Aktionen wie diese gibt. Aufgrund ihres hohen Alters und vieler Einschränk­ungen ist es den meisten Seniorinne­n und Senioren nicht mehr möglich, auf eigene Faust zum Beispiel ein Fußballspi­el zu besuchen. Oft fehlt es an der notwendige­n Mobilität.

Karin Goldbeck drängelt. Sie hat Angst, den Anpfiff zu verpassen und will endlich den Innenraum vom Stadion sehen. Die Stufen im Block E hoch, ein erster Blick ins Stadion, die Stufen runter bis zur ersten Reihe. Die Freude der beiden Heimbewohn­er auf das Spiel, die gesamte Szenerie, die Atmosphäre, ist unbeschrei­blich,alssieplat­zgenommenh­aben. Während dem Spiel auf dem grünen Rasen jegliche Klasse und Spannung fehlt, genießt Karin Goldbeck in vollen Zügen das für sie einmalige Erlebnis. Immer wieder geht ihr Blick in das Stadionrun­d, und sie denkt vermutlich an die vielen Stunden, die ihr Ehemann hier verbracht hat. Savvas Tales dagegen ist komplett vom Fußballspi­el gefangen. „Der verschosse­ne Elfmeter von Putaro war kein Unvermögen. 80 Prozent der Strafstöße gehen rein, der Schuss gehörte zu den 20 Prozent“, analysiert der 76-Jährige die erste Halbzeit.

Für Karin Goldbeck ist das Fazit der 90 Minuten einfach: „Eswarschön,abereswäre­besser, mit einem Tor für die Arminia gewesen.“Ein paar Minuten vor dem Schlusspfi­ff geht es für die fünf wieder auf den Heimweg. Sie wollen rechtzeiti­g ihre Bahn erreichen, nicht lange an der Haltestell­e in der Kälte warten.

Für die beiden Senioren war es ein wunderbare­s Erlebnis in ihrem Leben. Ihnen wurde ein Traum erfüllt und ihr Dank an den Organisato­r Raphael Wilkening ist überschwän­glich. „Dies stärkt meine Arbeit, das macht meinen Arbeitstag glücklich. Wir Pfleger sind glücklich, in diese fröhlichen Gesichter zu sehen. Das ist die Motivation, es wieder zu machen“, sagt Wilkening.

Mehr als 20.000 Menschen verlassen nach einem mageren, torlosen Unentschie­den eher missgelaun­t die Alm. Zwei unter ihnen sind mehr als glücklich. Für sie ging ein Herzenswun­sch in Erfüllung. Von diesem Erlebnis werden sie lange zehren.

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Fotos: Peter Unger
 ?? ?? Salva Zales war zuletzt vor 25 Jahren im Stadion. Liane Krämer vom Sölle-haus hat sich zu seiner Begleitung passend ausgestatt­et.
Salva Zales war zuletzt vor 25 Jahren im Stadion. Liane Krämer vom Sölle-haus hat sich zu seiner Begleitung passend ausgestatt­et.

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