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Pflegeheimbewohner jubeln auf der Alm
Herzenswünsche gehen in der Schüco-arena in Erfüllung: Ist die Mobilität eingeschränkt und bietet das Leben im Pflegeheim nur wenige Höhepunkte, ist ein Besuch im gefüllten Fußballstadion etwas nahezu Unfassbares.
Bielefeld. Es ist schon einzigartig, dass ein Drittligist wie Arminia Bielefeld an einem kalten Freitagabend gegen einen unattraktiven Gegner wie Lübeck mehr als 20.000 Zuschauer ins Fußballstadion Schüco-arena lockt. Zwei ganz besondere Anhänger des DSC haben sich in den Strom der vielen Fans eingereiht. Sehnsüchtig haben sie auf den Tag gewartet, einmal die einzigartige Atmosphäre zwischen Bratwurstbuden und Spielerrasenerlebenzudürfen,dieimposante Zuschauerkulisse und natürlich die Mannschaft ihrer Arminen. Sie sind in Begleitung von drei Betreuern und haben die Stadtbahn bis zur Rudolf-oetker-halle genommen. Sie kommen aus dem Dorothee-sölle-haus, einer Pflegeeinrichtung in Schildesche. Auf der West-tribüne. Alle sind mit Arminia-fanschal ausgerüstet und werden das Spiel auf der West-tribüne verfolgen.
Karin Goldbeck ist bereits ganz unruhig und will endlich die Stufen hochgehen, um den ersten Blick ins Stadion zu werfen. Trotz ihrer 84 Jahre ist sie körperlich noch rüstig. „Ich möchte endlich mal sehen, wo sich mein Mann an vielen, vielen Wochenenden immer aufgehalten hat. Er war ein riesiger Arminia-fan und hat kein Spiel verpasst. Mir war das zu teuer, und deswegen wartete ich zu Hause auf ihn. Und dann erzählte er mir von Siegen und Niederlagen“, erinnert sich die Seniorin. Vor einigen Jahren ist ihr Mann gestorben, und jetzt will sie zum ersten Mal
den Schritt ins Stadion machen.
Aus Savvas Zales, 76 Jahre alt, sprudelt es nur so heraus. Der im griechischen Thessaloniki geborene Wahlbielefelder erzählt von seinem Sohn Christos, der früher auf der Alm in der E-jugend gespielt hat, natürlich unter den kritischenaugenseinesvaters.„ich bin so viele Jahre zur Alm gegangen, da gab es noch Holzbänke für die Zuschauer. Zum letzten Mal war ich vor 25 Jahren im Stadion. Ich habe alle Höhen und Tiefen des Vereins miterlebt. Es war ein Traum, Norbert Eilenfeldt und Ewald Lienen auf dem grünen Rasen zu sehen. Mein heutiger Held ist Fabian Klos. Und
den werde ich jetzt gleich sehen.seit25jahrenwarichnicht mehr auf der Alm. Daran ist meine Gesundheit schuld“, erzählt
Savvas Zales. Seine Dankbarkeit und Freude für diesen Ausflug, organisiert vom Pflegeteam des Dorothee-söllehauses,
ist in sein Gesicht geschrieben. Er möchte gar nicht aufhören, von alten, schönen Zeiten zu erzählen. Mit Herzrasen die Stufen hoch in Block E
Total aus dem Häuschen seien Karin Goldbeck und Savvas Zales gewesen, als sie von dem Fußball-ausflug zur Alm erfahren hätten, erzählt Raphael Wilkening, Fachkraft Begleitender Dienst. Gemeinsam mit seinen beiden Kolleginnen Seval Özbay und Liane Kraemer begleitet er das aufgeregte Fan-duo an diesem Abend.
Für viele zu Pflegende ist es etwas ganz Besonderes, wenn
es Aktionen wie diese gibt. Aufgrund ihres hohen Alters und vieler Einschränkungen ist es den meisten Seniorinnen und Senioren nicht mehr möglich, auf eigene Faust zum Beispiel ein Fußballspiel zu besuchen. Oft fehlt es an der notwendigen Mobilität.
Karin Goldbeck drängelt. Sie hat Angst, den Anpfiff zu verpassen und will endlich den Innenraum vom Stadion sehen. Die Stufen im Block E hoch, ein erster Blick ins Stadion, die Stufen runter bis zur ersten Reihe. Die Freude der beiden Heimbewohner auf das Spiel, die gesamte Szenerie, die Atmosphäre, ist unbeschreiblich,alssieplatzgenommenhaben. Während dem Spiel auf dem grünen Rasen jegliche Klasse und Spannung fehlt, genießt Karin Goldbeck in vollen Zügen das für sie einmalige Erlebnis. Immer wieder geht ihr Blick in das Stadionrund, und sie denkt vermutlich an die vielen Stunden, die ihr Ehemann hier verbracht hat. Savvas Tales dagegen ist komplett vom Fußballspiel gefangen. „Der verschossene Elfmeter von Putaro war kein Unvermögen. 80 Prozent der Strafstöße gehen rein, der Schuss gehörte zu den 20 Prozent“, analysiert der 76-Jährige die erste Halbzeit.
Für Karin Goldbeck ist das Fazit der 90 Minuten einfach: „Eswarschön,abereswärebesser, mit einem Tor für die Arminia gewesen.“Ein paar Minuten vor dem Schlusspfiff geht es für die fünf wieder auf den Heimweg. Sie wollen rechtzeitig ihre Bahn erreichen, nicht lange an der Haltestelle in der Kälte warten.
Für die beiden Senioren war es ein wunderbares Erlebnis in ihrem Leben. Ihnen wurde ein Traum erfüllt und ihr Dank an den Organisator Raphael Wilkening ist überschwänglich. „Dies stärkt meine Arbeit, das macht meinen Arbeitstag glücklich. Wir Pfleger sind glücklich, in diese fröhlichen Gesichter zu sehen. Das ist die Motivation, es wieder zu machen“, sagt Wilkening.
Mehr als 20.000 Menschen verlassen nach einem mageren, torlosen Unentschieden eher missgelaunt die Alm. Zwei unter ihnen sind mehr als glücklich. Für sie ging ein Herzenswunsch in Erfüllung. Von diesem Erlebnis werden sie lange zehren.