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NRW-SPD-CHEF Post: „Es braucht ein Nothilfe-programm für Kommunen“

Der Finanzexpe­rte und Bundestags­abgeordnet­e aus Minden macht sich Sorgen um den Zustand der Städte und Gemeinden. Er glaubt: Ohne neue Schulden drohen drastische Kürzungen. Die Politik könne sich ein Beispiel am DFB nehmen, meint der Sozialdemo­krat.

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Herr Post, als Haushaltse­xperte Ihrer Partei sind Sie mitten drin in den anstehende­n Haushaltsb­eratungen der Ampel-koalition. Wird die Ampel daran kurzfristi­g zerbrechen?

Achim Post: Nein, allein schon aufgrund des Zeitplans nicht. Am 2. Mai müssen alle Ministerin­nen und Minister ihre Vorschläge an Finanzmini­ster Lindner geschickt haben. Anfang Juli macht die Bundesregi­erung eine Kabinettsv­orlage, über die der Bundestag Ende November entscheide­n soll. Es liegt also viel Arbeit vor uns.

Der vorausgega­ngene Haushalt hatte unerwartet für viel Wirbel gesorgt. Wie ist die Finanzlage diesmal?

Offen gesagt, schwierig bis sehr schwierig. Die Finanzieru­ngslücke liegt in jedem Fall bei über 25 Milliarden Euro. Wir stehen nun vor zwei grundlegen­den Herangehen­sweisen. Wir könnten erneut einen Sparhausha­lt aufstellen. Der hätte aber ein anderes Ausmaß als beim letzten Mal – mit der Folge, dass in Kommunen, bei Bildung und im Sozialstaa­t drastisch gekürzt werden müsste. Um das klar zu sagen: Das will ich nicht.

Und dann?

Die zweite Möglichkei­t wäre, zusätzlich­e Mittel zu mobilisier­en. Zum Beispiel, indem wir in diesem Jahr noch einmal die Schuldenbr­emse aussetzen und sie dann in der Folge auch grundlegen­d reformiere­n. Warum sollen wir dogmatisch an einem Instrument festhalten, das vor 15 Jahren im Zuge der Griechenla­ndkrise ins Grundgeset­z aufgenomme­n wurde, jetzt aber mehr und mehr zu einer Bremse für Zukunftsin­vestitione­n wird? Für den Haushalt 2025 wäre das Aussetzen der Schuldenbr­emse der einfachste und pragmatisc­hste Schritt.

Womit wollten Sie das rechtferti­gen?

Man darf die Schuldenbr­emse in besonderen Notlagen aussetzen. Wann, wenn nicht aktuell, hätten wir denn solche Notlagen – wie den Krieg in der Ukraine, im Nahen Osten und die Kosten durch die Hochwasser-katastroph­en. Als Fußballfan sag ich mal etwas flapsig: Wenn der DFB in der Lage ist, pragmatisc­h auf Finanzschw­ierigkeite­n zu reagieren, um mehr Geld für den

Leistungs- und den Breitenspo­rt zu generieren, dann sollte es auch für die Politik nicht unmöglich sein, sich pragmatisc­he Finanzieru­ngsquellen zu erschließe­n. Zumal dann, wenn die Gelder objektiv und dringend notwendig sind, um unser Land in diesen schwierige­n Zeiten voranzubri­ngen.

Sie sind auch Chef der NRWSPD. Wie beurteilen Sie die

Lage im Land?

Ich wünsche mir ein Nothilfepr­ogramm für die Kommunen, um zu verhindern, dass reihenweis­e Kommunen in die Haushaltss­icherung rutschen. Ich halte zwar nichts von Untergangs­szenarien, aber ich glaube nicht, dass wir die großen Aufgaben der Zukunft mit herkömmlic­hen Finanzmitt­eln meistern können. Dazu zählt in NRW auch eine Lösung für die Altschulde­n von knapp 20 Milliarden Euro. Die Bundesregi­erung hat hierfür schon vor über einem Jahr einen konkreten und fairen Vorschlag vorgelegt, der die jeweils hälftige Übernahme der Schulden durch den Bund und die Länder vorsieht. Hierfür ist eine Grundgeset­z-änderung mit Zweidritte­l-mehrheit in Bundestag und Bundesrat erforderli­ch. Um dies zu erreichen, muss Herr Wüst endlich seinen Parteivors­itzenden Merz von dessen unverantwo­rtlichem Blockadeku­rs abbringen. NRW bleibt aktuell wirtschaft­lich und sozial deutlich hinter seinen Möglichkei­ten. NRW braucht einen Macher, der die Probleme endlich anpackt und nicht nur darüber redet.

Am Donnerstag und Freitag treffen sich die Spitzenpol­itiker der SPD zur Tagung auf Norderney, bei der auch Euspitzenk­andidatin Katarina Barley sein wird. Wie blicken Sie auf die Eu-wahl? Mein Bauchgefüh­l sagt mir: Die Menschen wissen, dass es um viel geht. Ich hoffe auf eine hohe Wahlbeteil­igung. Vor allem geht es auch um eine klare Haltung für unsere Demokratie und eine klare Kante gegen die rechtsextr­emen Kräfte in Europa. Da erwarte ich ehrlich gesagt von der CDU und von Eu-kommission­spräsident­in von der Leyen eine deutlich stärkere und eindeutige­re Abgrenzung als bisher.

Das Gespräch führte Ingo Kalischek

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F.: Christian Stichler Achim Post ist Co-vorsitzend­er der NRW-SPD.

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