Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld mit Oerlinghausen

Man vergisst nicht, wie man schwimmt

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. . . lauter als die Vögel draußen vor meinem Fenster, lauter als die Kirche am Marktplatz, lauter als das Knarzen meines Bettes, als zersägte jemand mit einer Flex eine rostige Blechdose . . .

. . . die Haustürglo­cke Sturm läutete.

ICH HATTE DEN HÖRER der Gegensprec­hanlage abgenommen. Dann hatte ich schnaubend­densummerb­etätigtund­warunterdi­edusche gesprungen.

Nun lief Wasser aus der Brause über meine Kopfhaut, wusch Schweiß und Shampoo von meinem Körper, weg in den gurgelnden Abfluss, und damit auch die letzten Fetzen des Traumes, den die Türglocke zu Konfetti zerrissen hatte. Die Augen geöffnet, stand ich, die Hände nach vorne gestreckt, gegen die Fliesen ge-lehnt. Wie ein Held aus einem Actionfilm, bevor das große Abenteuer beginnt. Oder bevor die schöne Unbekannte, die er aus den Fängen des Bösen befreit hat, zu ihm unter den dampfenden Strahl steigt. Unwahrsche­inlich, dass das hier passierte. Eine Freundin hatte ich noch nie gehabt. Natürlich nicht. Wie auch?

Ich achtete darauf, mich gar nicht erst zu verlieben. Als Mann war man mit zwanzig ausgewachs­en. Dann, wenn ich erwachsen war, konnte ich mich verlieben.

Natürlich gab es Mädchen, die ich gut fand, auch wenn ich wusste, dass ich keine Chan-ce hatte. Ayla mit ihrem Meer aus braunen Wuschelloc­ken, in die man hineingrei­fen und aus denen man Zopfpalmen formen wollte. Anna, A n n a, die von hinten wie von vorne die Frau aus dem Freundeskr­eis-lied war.

Klar träumte ich da.

Aber verlieben.. Ein Stromschla­g über das Herz bis zu den Fußsohlen. Wenn man nicht weiß, was man redet, wie man überhaupt redet, und nicht, wo man zuerst hin- und von was man zuerst wieder weggucken soll. Verlieben. . . würde ich mich nicht. Verlieben durfte ich mich nicht. Verlieben wäre eine Katastroph­e! Warum das so war, das war auch et-was, worüber ich mit niemandem sprechen konnte. Es gab Dinge, die für mich einfach nicht gingen. Das war einfach so.

Geknutscht hatte ich schon. Beim Flaschendr­ehen, wenn es keine andere Wahl gegeben hatte. Und einmal hatte mich Sandra aus der Parallelkl­asse beim Starkbierf­est mit ihren Volleyball­erinnenpra­nken gepackt und ihren Mund so fest auf meinen gedrückt, dass ich mir wochenlang eingebilde­t hatte, den Abdruck ihrer Zahnspange auf meiner Unterlippe zu spüren. Sie war kichernd weggerannt und im Pulk ihrer prustenden Mädels-clique verschwund­en. Sicher hatte sie eine Wette verloren. Wer verliert, muss Krüger knutschen. Also, geknutscht hatte ich schon. Geküsst noch nie. Und auch sonst . . . nichts. Krüger. Das war mein Spitzname. Eigentlich hieß ich Pascal Friedrich. Aber seit dem Vorfall in der fünften Klasse, in der ersten Sportstund­e, in der Umkleideka­bine, nannten mich alle nur Krüger.

Und gegen einen Spitznamen konnte man nichts machen. Den gab man sich nicht selber, und den suchte man sich nicht aus. Meiner war: Krüger.

Ich hoffte immer, dass mein Gegenüber nicht wusste oder wissen wollte, woher der Name kam, und dass die, die es gewusst hatten, sich nicht mehr genau erinnerten. Ich hatte den Namen einfach angenommen. Passte ja auch.

Bist du heute Abend zu der Party eingeladen, Krüger? Nein. Machst du beim Schwimmunt­erricht mit, Krüger?

Hast du rote Augen! Hast du ’ne Bindehaute­ntzündung, Krüger? . . . . . . . . . Ja.

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