Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld mit Oerlinghausen
Organspende als Gewissensfrage
Organspenden retten Leben, aber das Thema macht vielen Angst. Transplantationsbeauftragte berichten aus ihrem Alltag und klären auf.
Bielefeld. Organspendeausweis dabei: Dann schöpften die Ärzte im Zweifelsfall nicht mehr alle therapeutischen Möglichkeiten aus, befürchten viele. Das stimme natürlich nicht, sagt Friedhelm Bach, Leiter der Klinischen Infektiologie und einer der drei hauptamtlichen Transplantationsbeauftragten am Evangelischenklinikumbethel(evkb). „Aber es gibt viele Ängste und hartnäckige Vorurteile bei dem Thema.“Die auszuräumen, aufzuklären und zu informieren, ist sein Job.
Tausende Menschen hoffen allein in Deutschland auf eine lebenswichtige Organtransplantation – viele vergeblich. Um den eklatanten Mangel zu beheben, hat die Politik jetzt ein Organspenderegister eingerichtet und diskutiert erneut über die sogenannte Widerspruchslösung: „Das heißt, alle sind erst einmal Organspender, wenn sie nicht ausdrücklich widersprechen“, sagt Bach. So machten es viele europäische Länder wie Spanien, Österreich oder die Niederlande, wo im Verhältnis mehr Menschen ihre Organe spenden. Das EVKB steht nach eigenen Angaben seit Jahren an der Spitze der Krankenhäuser in NRW bezüglich der Anzahl der Explantationen – dank eines besonderen Teams.
Erst, wenn es definitiv keine Hoffnung mehr auf ein Überleben gäbe, komme die Möglichkeit einer Organspende überhaupt erst in Frage, sagt Bach. Oft allerdings leider verbunden mit einer großen Bürde für die Angehörigen in einer ohnehin schon extrem belastenden Situation, dazu verbunden mit einem relativ engen Zeitrahmen. Gibt es keinen Ausweis, müssen die Angehörigen über die Spende entscheiden. Acht Jahre warten auf eine neue Niere
„Egal ob für Eltern, Kinder oder Großeltern, es ist für alle Beteiligten immer eine absolute Ausnahmesituation mit ganz viel Verunsicherung“, sagt Ärztin Ina Vedder. Denn nur in wenigen Fällen sei klar, was sich der Patient gewünscht hätte, wenn es für ihn keinehoffnungmehrgibt.sich darüber Gedanken zu machen, dafür werben sie, Bach und auch Dorina Zeiger. Dass mit der Fachkrankenschwester für Anästhesie und Intensivpflege auch jemand aus der Pflege zum festen Team gehört, sei sehr selten und in Bielefeld einzigartig.
Umfragen zeigten, dass deutlich mehr Menschen grundsätzlich bereit wären, ihre Organe zu spenden. „Die Bereitschaft muss aber bekannt sein und im Idealfall schriftlich festgehalten werden“, sagt Bach. Denn Organe dürften nur entnommen werden, wenn die Person zu Lebzeiten aktiv zugestimmt hat, oder Angehörige das nach ihrem Tod machen.
Von acht Organen, die im Jahr 2018 am EVKB gespendet wurden, ist die Anzahl auf 50 im Jahr 2022 angestiegen. 2023 waren es wiederum nur 32, zumeist von Patienten, denen nach schwersten Hirnblutungen oder Schädel-hirntraumata nicht mehr geholfen werden konnte. Das sind oftmals Opfer von schweren Verkehrsunfällen, aber auch ältere und hochbetagte Menschen. „Hinter jedem Hirntod steht ein schicksalhafter Prozess, den wir nicht beeinflussen können und wollen“, sagt Bach. „Wir sind dann für die Familien da und erklären ihnen die Krankheitszusammenhänge und die Möglichkeit einer Organspende – natürlich immer wertneutral.“
Wer etwa eine neue Niere braucht, warte in Deutschland im Schnitt rund acht Jahre auf ein Spenderorgan und damit deutlich länger als in anderen europäischen Ländern. Die Wartezeit sei eine große Belastung für die Betroffenen und ihre Angehörigen, sagen die Transplantationsbeauftragten des EVKB. Dass ein anderes Leben durch die Organspende gerettet werden kann, könne Angehörigen auch helfen, ihren schmerzhaften Verlust besser zu verkraften und ihnen Trost geben, ergänzt Vedder. „Gerade auch, wenn junge Menschen sterben, deren Tod sonst noch sinnloser erscheint.“
Bach, Vedder und Zeiger schulen auch Kollegen, beraten Patienten und Angehörige rund ums Thema Organspende. Und werben dafür, sich im Sinne aller, mit dem Thema zu beschäftigen und für sich eine Entscheidung zu treffen. Letztendlich sei Organspende eine Gewissensfrage, eine humanitäre Aufgabe jedes Einzelnen. Man könne seinen Willen dazu auch in der Patientenverfügung notieren – und die Spende auch auf einzelne Organe beschränken.
Wer die am EVKB gespendeten Organe dann bekommt, wissen die drei nicht. „Sie werden von speziell geschulten Chirurgen entnommen; transplantiert werden sie anderswo in den entsprechenden Zentren“, ergänzt Bach. Die Vergabe erfolgt über den Eurotransplantations-verbund. „So kann es sein, dass ein Herz aus Bielefeld dann einem Menschen in Wien ein neues Leben schenkt“, sagt Bach. nd