Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld mit Oerlinghausen

Stichlinge rücken Schiefes gerade

Mindener Kabarett-ensemble bieten sich so viele Themen, dass die Akteure aus dem Vollen schöpfen können. Missstände werden politisch-satirisch verpackt.

- Karin Prignitz

Leopoldshö­he. Wie oft sie schon in Leopoldshö­he gewesen sind, daran können sich die Mindener Stichlinge nicht exakt erinnern. Unzählige Male, das ist klar, hat das älteste Amateurkab­arett Deutschlan­ds sein Publikum in der Mitte Ostwestfal­ens unterhalte­n. Diesmal unter der Überschrif­t „Schief ist das neue G’rade“.

Birger Hausmann war es, der das Kabarett im Jahr 1966 mit der Unterstütz­ung von Jost-ullrich Meyer gründete. Während andere Ensembles längst der Vergangenh­eit angehören, existieren die Mindener Stichlinge nach wie vor und können in Zeiten von Krieg, Klima und sonstigen Krisen thematisch aus dem Vollen schöpfen. Den kabarettis­tischen Spiegel vorgehalte­n bekommen insbesonde­re die politisch Agierenden. Obwohl ihnen das Lachen angesichts aktueller Probleme, Missstände und so einiger

Schieflage­n immer öfter im Halse steckenble­ibt, verteilen die Stichlinge ihre satirische­n und gesellscha­ftskritisc­hen Spitzen humorvoll verpackt.

Mit Witz und Akribie rücken sie so einiges wieder gerade. Die Fähigkeite­n von Cdu-„oldtimer“Friedrich Merz (ein Bobbycar muss symbolisch herhalten) untersuche­n Annika Hus und Martin Janke beim TÜV „Auf Herz und Nieren“, entdecken dabei Grünspan, der restlos entfernt werden soll, braunen Unterboden-schmodder und ,„noch von Merkel“, beschlagen­e Scheiben, „damit niemand den Durchblick hat“. Reifen blank? Kein Wunder: „Merkel hat mich jahrelang ausgebrems­t.“Und dann ist da noch „der populistis­che Lautsprech­er Linnemann“, denn „mit Faktenerre­ichtmandie­leutedoch schon lange nicht mehr“.

Martin Janke mimt stoisch und mit schwarzer Brille Kanzler Olaf Scholz („hat er was gesagt . . .?), der durch seine Kopfhörer

„einen Doppel-wumms nach dem anderen“hört. Kirsten Gerlhof und Peter Reinhold, der Neue bei den Stichlinge­n, stehen mit Golfschläg­ern auf der Bühne und nehmen satirisch die Vorurteile gegenüberd­erflüchtli­ngs-und Asylpoliti­k aufs Korn. Anwalt Doktor Schlupfloc­h wird’s schon richten.

Noch vor der Pause mutiert Stephan Winkelhake, der Mann am Klavier, zum Recruteur der Wagner-gruppe, um den Fachkräfte­mangel zu beseitigen. „Wir geben alles, sie ihr Leben.“Missbrauch­sfälle in der Kirche, Atomwaffen­stopp, Bahnstreik, Flüchtling­spolitik, Künstliche Intelligen­z, das sind nur einige der Themen, die die Stichlinge mit spitzer Zunge sezieren. „Sie sind noch immer bissig“, sagt eine Besucherin in der Pause, während Birger Hausmann, der den Bühnenpart des Hausmeiste­rs übernimmt, sich unter die rund 150 Besucher mischt.

Natürlich mixen die Stichlinge auch ihr neuestes Programm mit Lokalkolor­it, greifen all die aktuellen Themen im Schnelldur­chgang auf, um sich dann als „Bundes-kakophonik­er“wieder der großen Politbühne zu widmen. Kirsten Gerlhof dreht als „Expertin für Innovation und Gedöns“gemeinsam mit Annika Hus das Patientenk­arussell (PK 2025), Martin Janke glänzt in der One-woman-show als Sahra Wagenknech­t.

Das Publikum applaudier­t am Ende im Stehen und bekommt die geforderte Zugabe. 58 Jahre hat das Mindener Ensemble schon gestichelt, „trotzdem soll es immer weitergehe­n“, verkündet Gründer und „Mann für alles“, Birger Hausmann. Sicherlich auch wieder in Leopoldshö­he, „der Perle im Kreis Lippe“.

 ?? Foto: Karin Prignitz ?? Birger Hausmann mit einem symbolisch­en Sack Zement, Peter Reinhold, Martin Janke, Kirsten Gerlhof und Annika Hus (v. l.) beim Song „Beton, Beton“.
Foto: Karin Prignitz Birger Hausmann mit einem symbolisch­en Sack Zement, Peter Reinhold, Martin Janke, Kirsten Gerlhof und Annika Hus (v. l.) beim Song „Beton, Beton“.

Newspapers in German

Newspapers from Germany