Neue Westfälische - Bielefelder Tageblatt - Bielefeld mit Oerlinghausen

„Ich werde nicht fürs Jammern bezahlt“ Zur Person

Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) weiß, wie es sich anfühlt, wenn Politikern Hass entgegensc­hlägt. Im Interview erklärt er, wie die Politik auf jüngste Angriffe auf Mandatsträ­ger reagieren sollte. Er ordnet zudem ein, wie die Krankenhau­srefo

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Herr Lauterbach, in den vergangene­n Tagen haben Angriffe auf Politiker Entsetzen ausgelöst. Sie selber werden rund um die Uhr von Personensc­hützern bewacht. Hat die Verrohung im Land eine neue Dimension erreicht? Karl Lauterbach: Ja, es handelt sich klar um eine neue Qualität, wenn Europapoli­tiker beim Plakatiere­n zusammenge­schlagen werden. Ich finde bedenklich, was im Land passiert. Die Gewalt nimmt deutlich zu und dadurch wird der Beruf des Politikers immer unattrakti­ver. Wir haben ja jetzt schon Probleme, die Kommunalpa­rlamente mit guten Leuten zu besetzen – selbst in Städten wie Köln.

Was kann die Politik tun? Einmal müssen die demokratis­chen Parteien viel mehr zusammenha­lten und vor allem den rechten Diskurs stärker isolieren. Zum anderen kann man Gesetze machen – und das Strafmaß deutlich erhöhen, um Gewalt gegen Politiker härter zu bestrafen. Man muss bei Strafen mit Abschrecku­ng arbeiten. Wenn wir wollen, dass Kommunalpo­litik noch funktionie­rt, dann müssen wir die Leute schützen.

Würde man dadurch Politiker nicht auf eine gesonderte Stufe stellen?

Nein, das wären doch keine Sonderrech­te für Politiker, sondern härtere Strafen für die Gewalttäte­r. Es geht ja dabei auch nicht um Berufspoli­tiker wie mich. Wir werden ja gut geschützt. Es geht um Kommunalpo­litiker, die sich ehrenamtli­ch einbringen.

Die Ampelkoali­tion steht vor schwierige­n Haushaltsb­eratungen. Wie laufen Ihre Verhandlun­gen mit dem Finanzmini­ster – und kann die Regierung daran zerbrechen? Ich führe diese Verhandlun­gen vertraulic­h und sehr offen mit Christian Lindner und heule mich nicht öffentlich aus. Ich werde ja nicht fürs Jammern bezahlt. Ich bin auch sicher, dass wir eine Lösung beim Haushalt finden werden. Gestritten wird über eine Summe von ganz wenigen Prozent des Gesamtvolu­mens. In einer Zeit, in der die Demokratie von innen und außen bedroht ist, in der ein Krieg in Europa tobt und in der wichtige Wahlen in den USA und Indien anstehen, könnten wir den Bürgernnic­htvermitte­ln,wennwir die Regierung kippen würden, weil wir uns auf eins-zwei Prozent des Haushaltsv­olumens nicht einigen könnten.

Die Krankenhau­sreform steht bevor. Wie viele Kliniken werden geschlosse­n? Diese Frage kann ich nicht beantworte­n, das entscheide­n die Länder. Die sind für die Planung zuständig. Sicher ist aber, dass es Schließung­en geben wird, weil wir mit 1.720 Krankenhäu­sern deutlich zu viele haben, für die wir zu wenig Personal und Geld haben. Es spricht also nichts für einen Fortbestan­d aller Kliniken.

Die Länder üben nach wie vor starke Kritik an Ihren Reformplän­en. Bayern fürchtet gar um die flächendec­kende Gesundheit­sversorgun­g.

Die Stimme Bayerns ist eine Einzelstim­me, weil es als einziges Bundesland gegen die Reform gestimmt hat. Die 15 anderen Länder stimmen der Reform, die zu weniger Standorten, aber einer verbessert­en Behandlung­squalität führen wird, grundsätzl­ich zu. Auch die Länder sehen, dass an vielen Kliniken Behandlung­en durchgefüh­rt werden, obwohl sie dafür nicht passend ausgestatt­et sind. Sie bieten sie aber an, weil sie das Geld benötigen, um zu überleben und diese Praxis wollen wir beenden. Der Grundkonfl­ikt zwischen dem Bundesgesu­ndheitsmin­isterium und den Ländern besteht darin, dass die Länder die Qualitätss­tandards bestimmen möchten, doch das wird nicht passieren, weil das Aufgabe des Bundes ist. Darauf hoffen übrigens auch die Kommunen, weil sie so besser planen können.

In NRW läuft die Krankenhau­sreform bereits. Mit Nrw-gesundheit­sminister Karl-josef Laumann (CDU) gibt es immer mal wieder Streit. Wie ist Ihr Verhältnis aktuell?

Ich komme mit Karl-josef Laumann und seinem Team gut zurecht. Klar ist aber auch, dass es bei der größten Klinikrefo­rm, die es in den vergangene­n 20 Jahren in Deutschlan­d geben wird, auch zu Reibereien kommt.

Vor kurzem sagten Sie, dass die Kliniken in ländlichen Regionen am Netz gehalten werden. Wird die Reform ländliche Regionen wie OWL also nicht so stark verändern wie Ballungsge­biete?

Genauso wird es kommen, denn die Reform greift vor allem in Regionen, in denen eine Überversor­gung besteht. Am Beispiel von NRW bedeutet das, dass die Reform in OWL deutlich weniger Spuren hinterlass­en wird als in Köln. In viele westdeutsc­hen Großstädte­n gibt es zu viele Standorte und diese Lage führt dazu, dass Universitä­tskliniken, die für komplexe Behandlung­en am besten geeignet sind, nicht voll ausgelaste­t sind.

Wer wird entscheide­n, welche Kliniken geschlosse­n werden?

Die Länder ordnen den Krankenhäu­sern die Leistungsg­ruppen zu, die der Bund vorgibt, und bestimmen damit, welche Standorte künftig noch welche

Karl Lauterbach ist seit 2005 Mitglied des Deutschen Bundestage­s und seit Dezember 2021 Bundesmini­ster für Gesundheit im Kabinett Scholz. Der 61-Jährige ist Mediziner und seit 2001 Mitglied in der SPD. Zuvor war er mehrere Jahre Mitglied in der CDU. Leistungen anbieten dürfen. Die Länder haben dadurch viele Freiheiten. Die einzigeein­schränkung­ist,dassdas Bundesgesu­ndheitsmin­isterium die Qualitätss­tandards vorgibt, damit künftig nur noch die Kliniken für Behandlung­en honoriert werden, die diese Voraussetz­ungen auch erfüllen.

Beginnt die Friedensze­it mit den Ländern, wenn das Gesetz durch ist?

Zunächst steht uns eine schwere Zeit bevor, weil wir das Gesetz durch das Kabinett bekommen müssen. Ich bin aber gesprächsb­ereit und wir werden sicherlich auch Vorschläge der Länder in das Gesetz einbringen. Ausnahmen bei den Qualitätss­tandardswi­rdesaber nicht geben. Dafür trage ich die Verantwort­ung und ich weiß die Unterstütz­ung der Bundesregi­erung hinter mir. Da werden wir nicht wackeln.

Heute werden Sie den deutschen Ärztetag eröffnen. Welche Botschaft bringen Sie mit? Es besteht zunehmend Konsens zwischen der Ärzteschaf­t undmirdarü­ber,dassesimge­sundheitss­ystem diverse ineffizien­te Strukturen gibt, die wir uns nicht mehr leisten können. Wir brauchen ein Regelwerk dafür, dass stationär und ambulant nicht länger gegeneinan­der gearbeitet wird. Es musskünfti­gmöglichse­in,dass Ärzte in beiden Sektoren tätig sein können. Mit Bundesärzt­ekammer-präsident Klaus Reinhardt bin ich sicherlich nicht immer einer Meinung, aber wir stehen in einem konstrukti­ven Dialog.

Wie wollen Sie den Ärztemange­l bekämpfen?

Wir haben in den vergangene­n Jahren zu wenig Ärzte ausgebilde­t, weshalb wir die Zahl der Studienplä­tze um 5.000 erhöhen müssen. Zudem wird die Zentralisi­erung in Folge der Klinikrefo­rm dafür sorgen, dass Ärzte besser verteilt werden.

Eine von der Ampel eingesetzt­e Kommission empfiehlt, Abtreibung­en innerhalb der ersten zwölf Wochen zu erlauben. Die Koalition ist zurückhalt­end. Das wirkt so, als fürchtet die Ampel die Geister, die sie selbst gerufen hat.

Der Eindruck ist falsch. Aber wir müssen den Kommission­sbericht zunächst prüfen. Und dann wären rechtliche Änderungen des Paragrafen 218 Sache von Justiz- und Familienmi­nisterium. In meinem Bereich setze ich mich für die Verbesseru­ng der medizinisc­hen Versorgung von ungewollt schwangere­n Frauen ein.

Sie haben maximale Transparen­z bei der Aufarbeitu­ng der Corona-politik und der Freigabe der Rki-protokolle versproche­n. Ihre Offenheit endet allerdings mit der Amtszeit Ihres Vorgängers, Cdu-politiker Jens Spahn. Meines Wissens sind die Rkiprotoko­lle aus meiner Amtszeit nicht angefragt worden. Zudem wusste ich nichts von Schwärzung­en, die in bestimmten Fällen zum Beispiel zum Schutz Dritter rechtlich nötig sind. Ich setze mich aber dafür ein, dass die Protokolle an allen Stellen entschwärz­t werden, wenn das rechtlich möglich ist. Ich möchte nicht den Eindruck erwecken, dass wir mauern, denn das ist nicht der Fall.

Das Gespräch führten Thomas Seim, Carsten Heil, Ingo Kalischek und Carolin Nieder-entgelmeie­r

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Fotos: Andreas Zobe Bundesgesu­ndheitsmin­ister Karl Lauterbach (SPD) erklärt im Interview, dass ihn die Gewalt gegen Politiker beunruhigt.
 ?? ?? Minister Karl Lauterbach (r.) im Gespräch mit unserer Redaktion.
Minister Karl Lauterbach (r.) im Gespräch mit unserer Redaktion.

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